Wahlkampf

Erzählung zum Thema Politik

von  Wortsucht

Bedrohliche Szenerie heute Morgen am Bahnhof. Dunkel, Regen, Wind, Kalt. Hitchcock hätte seine Freude daran gehabt. Zwei dunkle Gestalten traten aus dem Schatten, versuchten, sich mir in den Weg zu stellen. Es gelang mir aber, den beiden auszuweichen. Die nachfolgende Person hatte weniger Glück. Ich verlangsamte, um im Notfall einschreiten zu können. Da hörte ich eine der zwei Gestalten sagen: „Darf ich ihnen etwas zum Lesen mitgeben?“
Etwas zum Lesen? Die Zeugen Jehovas? Klar, die Uhrzeit hätte gepasst – aber es war ja gar nicht Sonntag …
„Wer sind sie denn?“, fragte die Angesprochene. „Ich kandidiere für den Gemeinderat!“, gab sich die Gestalt zu erkennen, ohne den Namen zu nennen.
Haben wir nicht gerade gelernt, dass man den eigenen Namen nicht oft genug sagen kann, wenn man gewählt werden will?

Die Herangehensweisen im politischen Wahlkampf sind so verschieden, wie die Menschen, die sich für die Ämter zur Verfügung stellen. Während die einen mehr Geld in ihre Kampagnen stecken als manche Volkswirtschaft an Bruttosozialprodukt zu generieren vermag, so wird der Wahlkampf bei uns im Dorf schon etwas simpler geführt. Eine Partei hatte die kreative Idee, Taschentücher mit einem aufgeklebten Logo am Bahnhof zu verteilen. Meine Frage, ob ihre politische Ausrichtung zum Weinen sei, konnte oder wollte mir keiner der Anwesenden beantworten. Dennoch schienen sie etwas daraus gelernt zu haben.
Neulich stand wieder ein Anhänger (oder treffenderweise „Jünger“) jener Partei am Bahnhof. Er verteilte Äpfel mit aufgeklebtem Parteilogo. Gut. Kann man machen. Ich fragte denn Mann, ob er sich denn mit der Bibel auskenne. Typisch Politiker, beantwortete er die Frage nicht mit ja oder nein, sondern mit einer Gegenfrage. „Wie meinen Sie das?“, wollte er wissen.
„Naja,“ entgegnete ich, „bekanntlich hat die Schlange Eva dazu verführt einen Apfel zu nehmen und deshalb sind wir aus dem Paradies geflogen! Wollen sie mir mit dem Apfel andeuten, wenn ich ihre Partei wähle, dass wir aus dem Paradies müssen?“
Er schien erleichtert, dass mein Zug gerade ankam und ich mich ohne eine Antwort seinerseits abzuwarten aus der Diskussion entfernte.

Genau wegen Leuten wie mir, würde ich mich nicht an den Bahnhof stellen wollen und in der Dunkelheit für eine Partei Werbung machen.

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Kommentare zu diesem Text


 tueichler (11.11.16)
Mit dieser Einstellung wirst Du nie Präsident des Teils der Straße in Vorort jenes Dorfes in welchem Du wohnst 😎

 Wortsucht meinte dazu am 11.11.16:
Dann lass ich es

 Dieter_Rotmund (11.11.16)
Ein wenig habe ich den Verdacht, der Protagonist triebe es gerade in die Arme von Pegida und AfD...?

 TassoTuwas (11.11.16)
Nun lässt es sich kaum bestreiten, dass es immer schwieriger wird zwischen finsteren Gestalten und Volksvertretern zu unterscheiden.
LG TT
unfrankiert (52)
(11.11.16)
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Graeculus (69)
(31.01.17)
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