Wie ich einmal das schwäbische Schweigen kennen lernte

Tagebuch

von  tulpenrot

Ich laufe schnurgerade auf sie zu. Ich kann es nicht vermeiden ohne unhöflich zu sein.
Nun stehen wir gemeinsam vor einer Baustelle, einem tiefen Loch im Boden. Etwa zehn auf zehn Meter groß und mindestens fünf Meter tief.

„Was wohl hier gebaut wird?“, frage ich sie.
„So ein tiefes Loch“, sagt sie.
„Eine Tiefgarage?“
Sie schweigt.
„Und darauf ein Haus?“
Keine Antwort.
„Aber wenn, dann anscheinend ein quadratisches. Seltsam“, überlege ich weiter.
Das Wort quadratisch ist wahrscheinlich zu schwer für sie, vermute ich, denn sie sagt immer noch nichts. Ich mit meinem gestelzten Hochdeutsch!

Auch ich stehe nun wortlos neben ihr, auf meine Walkingstöcke gestützt. Ich gewöhne mir gerade an, die Leute nicht immer voll zu quatschen und lieber auch mal zu schweigen.
„Sie sind noch ein bisschen unterwegs?“, fragt sie nach einer Weile unvermittelt.
„Ja, wegen meinem Rücken*, gegen die Schmerzen. Ich sitze zu viel“, lass ich sie bereitwillig wissen.
Wir kennen uns eigentlich nicht, sehen uns nur manchmal im Gottesdienst. Da begrüßt sie mich hin und wieder im Vorbeigehen mit einem laschen Händedruck und regungslosem Gesicht. Ich weiß, dass sie in dieser Straße wohnt und angeblich immer hinter der Gardine am Fenster sitzt, um die Leute zu beobachten. Trude sagte mir, sie wisse mehr als andre. Aber in diesem Fall, nämlich was mit der Baustelle los ist, wohl nicht.

„Es hat viel geregnet“, meint sie.
„Jetzt kann man nicht mehr im Garten arbeiten“, antworte ich und will damit das Gespräch auf ihren Garten lenken.
Ich weiß, dass sie viel und gerne in ihrem Garten und in ihrem „Stückle“, wie man hier sagt, arbeitet und alles immer in Ordnung hat im Gegensatz zu mir. Ich stamme nicht aus dieser Gegend und die schwäbische Lebensart ist mir fremd. Auch meine Sprache ist eine andere.
„Meine Dahlien müssen noch raus. Ich hab voriges Jahr eine Dahlie übersehen – sie hat den Winter überstanden und blühte dies Jahr“, erzähle ich freimütig.
Sie antwortet nichts, und ich schweige auch.
Vielleicht hat sie aber auch an die Baustelle gedacht, die ganz verwaist vor uns liegt. Die Bauleute sind längst zu Hause.

Im Grunde wissen wir nicht, worüber wir uns unterhalten sollen.
Ich will ja eigentlich auch laufen, wegen meines schmerzenden Rückens, und nicht rumstehen.

„Die Trude hat es heute gut gemacht. Heute Nachmittag“, sagt sie.
Ich erinnere mich.
„Ach ja, es war ja vorhin Frauenkreis.“
Das ist eine knappe Stunde her, denke ich. Und nun steht sie hier vor der Baustelle.
„Ja, die Trude gibt sich immer viel Mühe“, pflichte ich ihr bei und ergänze: „Ich komme auch mal wieder in den Frauenkreis, im November, und halte einen Vortrag.“
Sie guckt schweigend an mir vorbei. Aber ich bereite mich doch auch immer gut vor, denke ich bitter.

„Ich gehe mal weiter. Mein Rücken.“ Ich unterstreiche meine Ankündigung durch ein schmerzverzerrtes Gesicht. Das Stehen macht mir wirklich zu schaffen.
„Schöner Abend “, sagt sie zum Abschied.
„Ebenso.“
Ich werde mich nie an das „schöner Abend“ gewöhnen.


Anmerkung von tulpenrot:

* ich wollte nicht UNBEDINGT "wegen meines Rückens" schreiben
;-). SO! rede ich nun auch wieder nicht.

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Kommentare zu diesem Text


 Jorge (23.11.16)
Ein authentischer Tagebucheintrag - angenehm unaufgeregt erzählt.
Liebe Grüsse
Jorge

 tulpenrot meinte dazu am 23.11.16:
Danke dir sehr! Es ist tatsächlich so gewesen - Schweigen für Schweigen (oder Wort für Wort).
Ich versteh manches einfach nicht.
LG und "schöner Tag"
Angelika

 AZU20 (23.11.16)
Wenn man so etwas erlebt, muss man es einfach aufschreiben. Gut geschrieben, nachvollziehbar. LG

 tulpenrot antwortete darauf am 23.11.16:
Das muss man. Es ist mir nachgegangen. Inzwischen ist das Fundament und die "Unterfütterung" des Bauwerks hochgezogen. Kein Schild, kein Hinweis, was es werden soll. Es ist sicher nicht zum Wohnen geeignet - eher ein Trafohaus oder sowas?
Danke für deine Empfehlung und LG
Graeculus (69)
(23.11.16)
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 tulpenrot schrieb daraufhin am 23.11.16:
Ob das vielleicht auch am Alter liegt? Und am Altersunterschied zwischen mir und der Gesprächspartnerin und an meiner Fremdheit und am Bildungsunterschied? Womit ich mich in keiner Weise erheben will, ein Bildungsunterschied ist von meiner Seite aus kein Kriterium, um Kontakte zu knüpfen und zu halten, sondern eher eines von der Gegenseite aus gesehen - da steht eine "Studierte" vor einem. Da weiß man nicht, wie man reden soll und was. Unter einander hat man sicher seine Themen. Aber mit so einer Fremden?

Ich rätsele herum, was die Leute auf Abstand hält zu mir. Nicht alle, aber der Großteil schon. Und dieses hier war ein "beredtes" Erlebnis.
Ich habe auch 36 Jahre in Baden gelebt, die Badener sind etwas anders drauf, finde ich.

Danke für deinen Kommentar.
Angelika
Graeculus (69) äußerte darauf am 23.11.16:
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 tulpenrot ergänzte dazu am 23.11.16:
Das ist eine nette Anekdote. Sehr schön. Da hast du Glück gehabt. Hier wird kaum gelacht .
Graeculus (69) meinte dazu am 23.11.16:
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 tulpenrot meinte dazu am 23.11.16:
Die leiden mit Haltung.
Graeculus (69) meinte dazu am 23.11.16:
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 tulpenrot meinte dazu am 23.11.16:
Jetzt rätsele ich zwar ein wenig rum, was jetzt dieser Seitenhieb soll, meine aber sagen zu können, dass er ins Leere trifft.
MeiOmma (60)
(23.11.16)
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 tulpenrot meinte dazu am 23.11.16:
Da hast du es gut! Ich wohne aufm Doooorf Und das schon seit 5 Jahren. Mich kennen viele und ich kenne sie auch - aber so richtig warm werde ich nicht mit denen.
Diese Begegnung war natürlich eine besondere.

Viele Grüße und Danke!
Angelika
Graeculus (69) meinte dazu am 23.11.16:
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 tulpenrot meinte dazu am 23.11.16:
Ich war da schon mal ... in Pforzheim .... lange vor deiner Zeit....
Aber hier gibt es keinen Autorenkreis! Was meinst du, wie ich hier schon rumgefragt hab! Jetzt hab ich nur noch kv - und ab und zu Besuch von Autoren z.B. aus Frankfurt oder eine Wohnzimmerlesung alleine oder mit auswärtigen Autoren , z.B. aus Calw oder Löhne.
(Antwort korrigiert am 23.11.2016)
Graeculus (69) meinte dazu am 23.11.16:
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 tulpenrot meinte dazu am 23.11.16:
na, deswegen kam er ja auch!
Graeculus (69) meinte dazu am 23.11.16:
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 EkkehartMittelberg (23.11.16)
Tulpi, ich will nicht bestreiten, dass es schwäbisches Schweigen wirklich gibt, glaube aber eher, dass es sich um die auf dem Lande häufig anzutreffende Zurückhaltung gegenüber Zugereisten handelt. Die von dir vermutete Scheu gegenüber der Studierten unterstützt das noch.
LG
Ekki

 tulpenrot meinte dazu am 23.11.16:
Land und Leute hier sind mir ein Rätsel - aber diese Begegnung mit dieser Frau war es erst recht. Und die (misstrauische) Zurückhaltung gegenüber allem, was fremd ist, macht mir zu schaffen. Ich hab das noch nie so empfunden wie hier: Schweigsamkeit, Zurückweisung, Ablehnung, sich abschotten - aber ob das wirklich eine nur schwäbische Eigenheit ist, ist sicher fraglich.
Danke dir für deine Gedanken dazu und deine Empfehlung
Angelika
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