Die Hexe von Endor

Essay zum Thema Geister

von  Bluebird


Samuel war gestorben und ganz Israel hatte die Totenklage für ihn gehalten und ihn in seiner Stadt Rama begraben. Saul aber hatte die Totenbeschwörer und die Wahrsager aus dem Land vertrieben.
        Als sich die Philister gesammelt hatten, rückten sie heran und schlugen bei Schunem ihr Lager auf. Saul versammelte ganz Israel und sie schlugen ihr Lager im (Bergland von) Gilboa auf.
    Als Saul das Lager der Philister sah, bekam er große Angst und sein Herz begann zu zittern.
      Da befragte Saul den Herrn, aber der Herr gab ihm keine Antwort, weder durch Träume, noch durch die Losorakel, noch durch die Propheten.
      Daher sagte Saul zu seinen Dienern: Sucht mir eine Frau, die Gewalt über einen Totengeist hat; ich will zu ihr gehen und sie befragen. Seine Diener antworteten ihm: In En-Dor gibt es eine Frau, die über einen Totengeist Gewalt hat. (1. Samuel 28)
Der große Prophet Samuel war gestorben und Israels Erzfeind, die Philister, machten mobil. Sie rüsteten zu einer Entscheidungsschlacht. Und König Saul, schwer geängstigt,  machte das,  was alle großen Führer Israels zuvor und danach getan haben. Er suchte Gott!
  So weit, so gut! Aber nun begann das eigentliche Problem. Gott antwortete nicht! ER schwieg!

Ein Schweigen Gottes ist schwer auszuhalten. Saul verstand sehr wohl, dass es nichts Gutes bedeutete. In seiner Angst und Not fügte er all seinen vorherigen Sünden noch eine weitere, schwere Sünde hinzu. Er suchte die Hilfe einer Totenbeschwörerin.
    Ausgerechnet er, der natürlich die diesbezüglichen Aussagen und Befehle Gottes kannte:

Ihr sollt euch nicht an die Totengeister und an die Wahrsagegeister wenden, ihr sollt sie nicht befragen ...  Und wenn in einem Mann oder in einer Frau ein Totengeist oder Wahrsagegeist ist, sie müssen getötet werden. (3. Mose 19 + 20)  Es soll in deiner Mitte keiner gefunden werden, der seinen Sohn oder seine Tochter durchs Feuer gehen lässt, kein Wahrsager, Zeichendeuter, Schlangenbeschwörer oder Zauberer, kein Bannsprecher oder Geisterbeschwörer, keiner, der Wahrsagegeister befragt oder sich an die Toten wendet. Denn ein Greuel ist dem Herrn ein jeder, der solches tut (5. Mose 18)
und sich ja auch, wie eingangs gelesen, auch daran gehalten hat:
Saul aber hatte die Totenbeschwörer und die Wahrsager aus dem Land vertrieben.
Menschen tun in ihrer Verzweiflung oft schwer nachvollziehbare Dinge. Vielleicht dachte Saul, in Erinnerung an gute alte Zeiten: Wenn ich nur noch einmal mit Samuel sprechen kann, wird vielleicht alles wieder gut!

Bis hierher ist die Geschichte für mich noch einigermaßen nachvollziehbar. Das aber eine dämonisch-okkult verstrickte Frau tatsächlich in der Lage war einen Mann Gottes aus dem Totenreich heraufzubringen, sprengt jeden fromm-christlichen Rahmen. Das ist ungeheuerlich, erschreckend.
    Einen bösen Geist, der den Samuel täuschend echt vorspielt. Ja, so etwas wäre denkbar. Aber Samuel selber. Nein, das passt eigentlich nicht ins christlich-fromme Weltbild. Und doch besteht vom Text her kein Zweifel, dass es wirklich Samuel war!

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Frühere bzw. ältere Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(04.01.17)
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 Bluebird meinte dazu am 04.01.17:
Für Christen sind die Darstellungen des AT durchaus wichtig ... und es ist kaum anzunehmen, dass sich da in Bezug auf Spiritismus und andere okkulte Dinge etwas geändert hat
Graeculus (69) antwortete darauf am 04.01.17:
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 Judas schrieb daraufhin am 04.01.17:
Zu Judentum und Spiritismus: die Juden sind anders mit Nekromantie und der Erschaffung von Unleben umgegangen, siehe die Erschaffung eines Golems/Homunculus, der eine ziemlich jüdische Angelegenheit ist. (zur Erschaffung braucht’s das Wort "emet", zur Zerstörung muss das e gestrichen werden, so dass nur noch "met" (=Tod) übrig bleibt). War aber ’ne verbotene Kunst.
Graeculus (69) äußerte darauf am 04.01.17:
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 Judas ergänzte dazu am 04.01.17:
Viele gut gläubige, vor allem katholische Christen (Luther hat sich sehr früh gegen den Wiedergängerglauben ausgesprochen) war auch noch sehr lange von der Existenz von Untoten überzeugt. Es gibt Belege bis zur Mitte des 20. Jhds, dass es noch Vorkehrungen bei Bestattungen gegen Wiedergänger gab. Aber das nur am Rande, hat jetzt weniger direkt was mit dem Text hier zu tun :D

 Dieter Wal meinte dazu am 04.01.17:
Zitat von Graculus: " die christliche Vorstellung von Gott"

@ Graeculus und Bluebird:

Es gibt weder d i e christliche Vorstellung von Gott, auch wenn Bluebird sie für sich beansprucht, noch viel weniger gibt es d i e jüdische. Sehr stark verschiedene Formen religiösen Denkens und Lebens in beiden Religionen und deren konfessionellen Richtungen.

 Dieter Wal meinte dazu am 04.01.17:
Zitat Graeculus: "Der Golem zieht sich ja durch die jüdische Kultur und Literatur."

Die Legende oder der Mythos vom Golem? E. E. Kisch schrieb eine überaus lesenswerte Reportage über den Mythos vom Golem und wie er die Dachkammer der Synagoge besuchte, wo er entstanden sein soll.

Wie magische oder auch kabbalistische Vorstellungen nicht allein im orthodoxen jüdischen Leben teilweise Eingang fanden, sondern in nahezu sämtlichen jüdischen Formen der Gegenwart, kann in  Joseph Dans "Die Kabbala - Eine kleine Einführung", Reclam, im Detail nachgelesen werden.
(Antwort korrigiert am 04.01.2017)

 Dieter Wal meinte dazu am 11.01.17:
https://www.jmberlin.de/thema-golem
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