Schneeblind

Gedicht zum Thema Andere Welten

von  Isaban

Wenn es nicht schneite, dann könnte ich
die Wälder sehn, die bis zum Himmelsgrau reichen,
den winternden Grünton mit Frühling vergleichen,
dann läge auf allem ganz anderes Licht,

eines, das nicht zwischen Schleiern zerbricht.
Kurz vor dem Waldrand stehn standhafte Eichen,
die nie und nimmer der Witterung weichen;
einzig im Schneesturm, da sieht man sie nicht.

Mein Haus ist leer und ich fürchte mich
jetzt, wo dort draußen die Schneewölfe schleichen,
überall stöbern, um Hausecken streichen,

Beute markieren mit schneeweißem Zeichen,
Reste vergraben in kaltweißer Schicht.
Uns rette ich, Liebster und bette dich
heimlich,  klammheimlich in mein Gedicht.

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (06.01.17)
Sehr schön. Gern gelesen. LG

 Isaban meinte dazu am 06.01.17:
Danke schön!

LG

 niemand (06.01.17)
Wenn man dieses Gedicht zu lesen anfängt, drängt sich einem
zuerst so was wie eine Naturbeobachtung in Winterzeiten auf. Je länger man sich allerdings damit beschäftigt, desto mehr wird einem klar, dass es hier um das Altern geht.
Es ist nicht der Schnee, welcher einem Angst macht, sondern das alterbedingte Ergrauen, bei welchem die Farben nicht nur verblassen, sondern schwinden. Man kann sich des Frühlings kaum noch entsinnen und wünscht sich, man wäre noch im Herbst des Lebens, was ja auch ein Näher zum Frühling bedeutet, näher daran, als im kalten Winter. Die Erinnerung wäre dann lebhafter [der winternde Grünton/ ganz anderes Licht]. Das Haus ist leer, die darin einst wohnten haben jetzt ein eigenes Leben, sind quasi ausgeflogen. Vor den Schneewölfen Angst haben, heißt vor den Stunden der Alterung Angst zu fühlen. Stunden, die den Wölfen gleich, nach Beute [Jugend/Lebenslust/Lebenskraft] gieren, die alle dies auffressen und ihn vergraben, den Rest, welcher von allem Lebendigen bleibt. Die letzten beiden Zeilen sind so was wie das Retten dessen was war [Leidenschaft/Glück] ein Retten durch die Einbettung in Erinnerungen, in etwas was bleiben sollte.
Ein Gedicht schreibt auf, speichert und bleibt vielleicht.
Ein gutes Gedicht, mit schönen, melancholischen Bildern.
Mit lieben Grüßen, Irene

 Isaban antwortete darauf am 06.01.17:
Liebe Irene,

was für eine schöne und umfassende Interpretation! Da bleibt mir kaum noch was zu sagen, außer: Hab vielen lieben, herzlichen Dank für deine Beschäftigung mit dem Text. Ich freue mich riesig über deine herrliche Rückmeldung.

Liebe Grüße

Sabine

 Theseusel (06.01.17)
Der graue Star erkennt den Beleuchter. Starkes Gedicht!

 Isaban schrieb daraufhin am 06.01.17:
Hi du! Danke schön.
Liebe Grüße aus dem Tiefschnee
Sabine

 Irma (16.01.17)
Ich bin einmal bei starkem Schneetreiben auf dem Gletscher skigefahren. Man sah die Hand vor Augen nicht, es war auch fast niemand mehr unterwegs, aber ich wollte noch eine Abfahrt wagen. Obwohl ich das Skigebiet sehr genau kannte, habe ich total die Orientierung verloren. Jeder Kontrast ging verloren. Bäume gibt es dort nicht, nur weite Hänge. Selbst die dunklen Masten des Sesselliftes waren (wie die „standhaften Eichen“ in Z.6) nicht mehr zu erspähen. Also habe ich versucht, nur nach Gehör zu fahren, aber auch das leise Motorengeräusch des Lifts wurde fast vollständig vom Schnee verschluckt.

Irgendwie wusste ich bald kaum mehr, wo oben und unten ist, verlor das Gleichgewicht und setzte mich mehrmals in den Schnee. Ich wollte einfach nur noch diesen rettenden Skilift erreichen, stellte meine Skier immer wieder talwärts und fuhr im Schneckentempo Meter für Meter weiter. Die leichte Panik, dieses beklemmende Gefühl der Verlorenheit, das einen da beschleicht, kann ich deinem LyrIch also gut nachempfinden.

Zum Inhalt wurde hier, vor allem von Irene, ja schon fast alles gesagt. Interessant finde ich, dass LyrIch hier keine Schwarzseherei betreibt. Bei Schneeblindheit wird die Zukunft von LyrIch nicht schwarzgemalt, sondern weiß. Mit „schneeweißen Zeichen“, die mich sofort an die mit Kreide gezeichneten Gaunerzinken an den Häusern denken ließen, mit denen die Räuber zeigen: ’Hier gibt es etwas zu holen!’ Und ist ein „Schneewolf“ nicht so etwas wie ein Wolf im Schafspelz?

Der „Grünton“ in Z.3 sticht als einzige Farbe befremdlich aus dem weißen Gedicht heraus. Befremdlich auch, weil hier für mein Empfinden eher ein Blauton für das graubläuliche Winterlicht stehen müsste. Der „winternde Grünton“ wirft alles in ein etwas unwirkliches Licht. Als wäre da ein Frühlingserwachen, ein frisches Wachsen und Werden. Allein dieses Wort zieht die Interpretation sehr stark in Richtung ‚Jugend und Alter‘, wie Irene schon dargelegt hat.

Metrisch auffällig ist, dass der einlullende Daktylus an einigen Stellen (Z.7, Z.9) Brüche hat: Senkungen sind verschwunden, verschüttet im Schnee. Und lassen die Aussage dadurch umso stärker herausragen aus dem allgemeinen Weiß. Auch im Strophenbau finden sich diese Brüche. Die konjunktivische Passage „zerbricht zwischen Schleiern“ durch die Leerzeile, die S.1 und S.2 trennt. Während die ersten beiden Strophen noch regelmäßig im umarmenden Reim stehen (männliche Kadenzen umarmen die weiblichen, was in meinen Augen für ein männliches LyrIch spricht), versinken die beiden folgenden im treibenden Reimschnee-Chaos. Der dritten Strophe ist ein Vers verloren gegangen, die Reimfolge ist ungeordnet.

Dennoch bleibt das Gedicht durchgängig bei den beiden Reimen auf „-eichen“ und „-ich(t)“, wobei das an einigen Stellen fehlende ‚t‘ im Reim zum einen das Fehlen der Sicht veranschaulicht, zum anderen aber auch wieder etwas herauskehrt. Das „ich“ (Z.1), das „mich“ (Z.9) und das „dich“ (Z.14) sind auffällig eingebettet: ICH bette MICH und DICH ins Gedicht („uns rette ich“).

Obwohl diese Aussage etwas durchaus Optimistisches (Rettung) an sich hat, bleibt für mich am Schluss ein leichtes Gefühl der Ungewissheit, Unsicherheit bestehen. Denn die Aufnahme von LyrDu durch LyrIch ins Gedicht erfolgt bezeichnenderweise diebisch "heimlich, klammheimlich" (Z.15). Und beim „bette dich“ musste ich wieder unwillkürlich an ein weißes Federbett denken. An jenes Leichentuch, unter dem die „Schneewölfe … Reste vergraben in kaltweißer Schicht“ (Z.13).

Ein tolles Gedicht, Sabine! LG Irma
(Kommentar korrigiert am 16.01.2017)

 sandfarben (16.01.17)
Es ist so, dass ich dich immer bewundere, wie perfekt du Gedichte schreiben kannst: man liest es und da stolpert man über keine Konsonanten oder Laute, die nicht hineinpassen. Dafür einmal ein großes Kompliment!

Inhaltlich ein anderer Blick auf die weiße Landschaft, ein sanftes Klagen über die verschneite Gegend, gefällt mir sehr gut!
christa
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