Ruckedigu

Gedicht zum Thema Abgrenzung

von  Isaban

In schweren Riesenflocken fällt
der Schlaf aufs Dorf, in meine Welt.
Nur schwach erhellt Laternenschein

das Dämmerweiß mit einem Kreis
aus blauem Licht. Mein Baum trägt Eis
und trauriggrau und taubenklein

sitzt dieser Vogel auf dem Sims.
Mit altem Müsli, Popcornmais
und trockengelbem Gesternreis

kauf ich mich frei. Er hungert nicht.
Ihm ist nur kalt. Er ist allein.

Ich möchte keine Taube sein.

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (25.01.17)
Ich auch nicht. Gelungen. LG

 Irma (25.01.17)
Wir sehen immer nur einen begrenzten Ausschnitt der Welt. Aber manchmal rückt auch etwas in den Lichtkreis unserer Wahrnehmung („meinen Baum“), was wir vielleicht gar nicht sehen möchten („au, au“, arme Taube). Doch statt zu geben, kaufen wir. Wir kaufen uns ganz einfach - ruckedizuck - frei. Mit dem, was wir nicht mehr brauchen, was uns selbst nicht zu unserem Wohlbefinden fehlt. Die alten Klamotten (nicht die Gerste, sondern der "Gesternreis", Z.9) wandern nicht in die Mülltonne, sondern in die Altkleidersammlung, wo sie angeblich noch wohltätigen Zwecken zu Gute kommen.

Wer muss denn heutzutage denn noch hungern in unserem Lande? Klar, dem Obdachlosen wird kalt ("nur" Z.11) sein bei diesen Temperaturen. Einsam vegetiert er dahin (Reimwaisen „Sims“, V. 7 und „nicht“, V.10). Tauschen möchte ich nicht mit ihm. Aber wer kann schon (außer Tim Bendzko) mal schnell die Welt retten? Und schließlich habe ich ja mein Scherflein gegeben!

Ich bin müde angesichts des vielen Elends in der Welt. Und mache getrost meine Augen zu, dämmere beruhigt weiter dahin in meinem begrenzten, behaglichen Sonnenkreissystem. Scheiß mir bloß nicht in die Suppe, du olle Taube!

Klasse Gedicht, Sabine! LG Irma
(Kommentar korrigiert am 25.01.2017)
Graeculus (69)
(25.01.17)
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 monalisa (25.01.17)
Irma hat ja schon ganze Arbeit geleistet und vieles von dem angeführt, das auch mir ins Auge gestochen und in den Sinn gekommen ist.
Mir gefällt deine behutsame Einleitung ganz besonders gut, die ’schweren Flocken Schlaf’, die auf das friedliche Dorf, die kleine Welt des LI fallen, die fast ein wenig idyllisch weitgehend in Ordnung ist. Aber selbst hier in dem sehr begrenzten Raum (Kreis), den die Laterne auszuleuchten vermag, findet sich Elend in Gestalt einer hungernden und frierenden Taube. Diese Not zu sehen und zu lindern zu versuchen, ist schon mal gar nicht so schlecht, auch wenn ’s nicht wirklich an die Substanz geht, man die Taube nur mit Resten/Abfällen ’abspeist’, sich nicht weiter auf sie ein-, sondern sie draußen in der wie auch immer gearteten Kälte (emotional, sozial etc.) stehen lässt, ausgrenzt, verdrängt. Immerhin muss sie nicht hungern.
Der isoliert stehende Nachsatz: ’Ich möchte keine Taube sein’, macht klar, dass LI auch weiß, dass es immer noch privilegiert, in Wohlstand, um Welten besser hat als das ’taubenkleine’ Wesen, obwohl beide in ein und derselben überschaubaren, von einer Laterne aufgeleuchteten, Welt zusammenleben.

Da klingt sehr viel an, schimmert in vertrauten Bildern durch, ganz ohne Holzhammer. Und das gefällt mir ausgesprochen gut :).

Liebe Grüße
mona
bleibronze (65)
(28.01.17)
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