Ach, ihr seid auch noch am leben!

Erzählung zum Thema Gleichgültigkeit

von  franky

Es war dies kein spezieller Luftschutzraum, nur ein normaler Vorratskeller. Krankenschwestern trugen Kinder herunter in den Raum und verstauten sie in den Wänden verankerten Regalen, die sonst Obst und andere Früchte beinhalteten.
Boden und Wände vibrierten bei den dicht aufeinander folgenden Angriffswellen der Amerikanischen Bomber auf den Brucker Bahnhof. „Ob der einfache Kellerraum einer Fliegerbombe auch standhalten würde?“ Da blieb ein großes Restrisiko. 

Meine Schwester Franziska fühlte sich mir moralisch sehr verbunden. Deshalb ging sie auch mit Mutter auf die lange, beschwerliche Reise zu mir ins Brucker Spital. Nach Beendigung des Fliegeralarms machten die Beiden sich wieder auf den Heimweg. Wenn sie Glück hatten, wurden sie von einem Militärfahrzeug ein Stück mitgenommen.

Wieder im Zimmer sieben angekommen, wurde ich in das zweite Bett neben Brunschko gelegt. Der hatte einen künstlichen Darmausgang, deshalb sein Bett neben dem Eingang, um rasch ins WC zu gelangen.
Mir wurde wegen der Schmerzen am amputierten Bein regelmäßig Morphium gespritzt. Weiß nicht wie lange ich so dahingedöst habe.
Ohne besonderer Vorankündigung spürte ich wie am Kopf und Fußteil meines Bettes ein Fahrbares Gestell angebracht wurde. Mit dieser Vorrichtung am Bett schob man mich in die Hauskapelle, wo mir die letzte Ölung verabreicht wurde. Ich kannte die Zeremonie aus dem Religionsunterricht. Dort wurde uns gelehrt, dass man sterbenden Menschen dieses Sakrament verabreichen würde.
Mir ging durch den Kopf: „Hat sich da der Schutzengel zu wenig für mich eingesetzt?“ „Ich war auf keinen Fall bereit, so kampflos die Segel zu streichen!“
Nach einer kurzen Gewissenerforschung wurde mir die Beichte abgenommen. Das überstieg total meinen kleinen Kinderhorizont. Ich hatte ja noch gar nicht die erste Kommunion erhalten! Da soll ich jetzt schon die letzte Ölung mit Kommunion bekommen.
An der ekelhaften Beichte stolperte ich über das sechste Gebot: „Du darfst nicht Unkeuschheit treiben. “Auf keinen Fall wollte ich mich wegen des Tökterli spielens mit meiner Kusine zu einer Schuld bekennen. Und siehe da! Der liebe Gott hat es mir verziehen, hat nicht wütend einen riesigen Stein nach mir geworfen. Mich überfiel eine unendliche Erleichterung.

Zurück im Zimmer sieben, ging es mir erstaunlich gut, die letzte Ölung hatte mir gut getan. Ich schwamm weiter in einer undefinierbaren Gefühlssuppe, die kein Ende zu haben schien. 
In wachen Momenten erzählten mir Mitpatienten, dass ich in meinen morphösen Träumen recht intensive und wortlaute Gespräche mit meinen Verwandten und Bekannten geführt habe. Sang auch Hitlerlieder, was bei der nazistischen Einstellung meiner Verwandten kein Wunder war.

Dann heulten wieder die Sirenen. Ein weiterer Fliegerangriff auf den Brucker Bahnhof wurde erwartet. Alles was halbwegs gesunde Beine hatte, stürzte sich kopflos in den schützenden Keller.
Neben mir stand keine Schwester Franziska und Mutter, die mit mir auch in den Keller gelaufen wären. Ich war denen hier nichts wert und werde nach deren Ansicht sowieso bald sterben.   
Nach einer Vase von relativer Ruhe, näherte sich ein unheimliches Dröhnen in der Luft. Die Bomberformationen steuerten das Bahnhofsgelände an. Und dann stürzten sich die Flugzeuge einzeln in die Tiefe. Mit unheimlichem Motorgeräuschen näherten sie sich den Bahnhofsgelände und klinkten ihre Bombenlasten aus. Dann rasch wieder nach oben, damit der Nächste sein Werk vollbringen konnte. Die Explosionen waren so heftig, dass die Fensterscheiben klirrten, ich fürchtete, sie würden beim nächsten Knall zerspringen.   
Meine Angst kroch mir bis in die letzte Haarspitze. Es war niemand da, der meine Hand gehalten hätte und für mich ein tröstendes Wort gesprochen hätte.
Visavie an der Fensterreihe lag noch ein Patient, der auch wie ich, dem Tode geweiht war.

Als der nächtliche Rummel vorüber war, stellten sich die Insassen des Zimmer sieben wieder ein. „Ach, ihr seid auch noch am leben?“ scherzte ein gefühlsloser Galgenvogel.

© by F. J. Puschnik

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Kommentare zu diesem Text

Bette (70)
(28.03.17)
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bbx (68)
(28.03.17)
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 Dieter_Rotmund (13.02.19)
Lustiger Vertipper: "Nach einer Vase von relativer Ruhe ..."
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