Sherlektor Holmes ermittelt: Herr Pauerweint und der Konsonanten-Klumpatsch

Text

von  Janoschkus

Es war ein verbrauchter Nachmittag im Büro des wohl sonderbarsten Buchstaben-Detektivs der Weltmetropole London. Sherlektor Holmes drehte sich auf seinem Drehstuhl kontinuierlich im Kreis, runzelte seine Denkerstirn und qualmte besonders starken Tabak - denn der Fall, der ihn gerade beschäftigte, war besonders starker Tobak. Es handelte sich um den freien Fall, den er nach seiner letzten Base-Jumping-Erfahrung physikalisch zu ergründen suchte. Wie konnte es sein, dachte Holmes, dass sich die Moleküle eines Körpers beim Fallen nach unten und nicht nach oben bewegten? Und wo war die Schwerkraft in der Nacht von Samstag auf Sonntag zwischen 22 Uhr und 3 Uhr als er sich während eines mehrstündigen erotischen Abenteuers leicht wie eine Feder fühlte? Hatte die Schwerkraft ein Alibi?
Dr. Watson starrte nichtssagend in der Gegend herum und war sichtlich bemüht, selbst beim Denken keine Rechtschreibfehler zu machen. Sherlektors treuer Kollege litt an sogenannter Quattro-Legasthenie. Er las, schrieb, sprach und dachte lediglich, wenn es die Situation unbedingt erforderte. So wie jetzt: „Holnes! Sie haben um 17 Uhr 1 Ternin wollen sie nicht langsan aufhörn sich zu drehn damit sie nicht wieder schwindelig, sind wenn sie den Klient die Hand begrüßen.“
Sherlektor Holmes war sichtlich genervt ob der fehlerhaften Interpunktion in Watsons Satz. Was sich im Folgenden jedoch ereignete, übertraf seine kühnsten orthografischen Albträume. Punkt 17 Uhr schepperte die Türklingel – genauso wie es Watson vorausgesagt hatte. Die Genauigkeit aus dessen Munde kam Holmes überaus verdächtigt vor. Er erhob sich von seinem Drehstuhl, spürte einen Anflug von Schwindel, obwohl gerade niemand gelogen hatte, klatschte hin und rappelte sich äußerst elegant wieder auf. Als sich der Mann hinter der Türschwelle vorstellte, fiel dem peniblen Buchstaben-Detektiv vor Entsetzen die Kinnlade herunter: „Kuden Dak, Herr Sherlegdor Holmes. Tarw ich mich worsdellen? Mein Name ist Pauerweint.“
Sherlektor schüttelte es, als hätte jemand mit Fingernägeln eine Kreidetafel malträtiert. Im ersten Moment wollte er es nicht wahrhaben und hakte nach: „Mh, sie meinen Bauerfeind? Sie sind Herr Bauerfeind, nicht wahr?“
„Kanz rechd. Pauerweint. So fie man’s sbrichd.“
Sherlektor übergab sich innerlich in Kübeln und bot dem dubiosen Sprach-Invaliden einen Platz an.
„Nun“, riss er sich schließlich zusammen, „Herr Pauerweint. Was führt sie zu mir?“
„Es isd wolkentermaßen: Seid gurzem muss ich leiter wesdsdellen, tass mich alle Veld gomisch anschaud, sopalt ich edwas sake. So gommd gein wernünwdikes Kesbräch mehr zusdande, was mich äußersd irridiert. Ich tachde, wielleichd gönnen sie mir als gluker Tedegdiw ja feiderhelwen?“
Sherlektors Ekel vor jenem unsittlichen sprachlichen Gebilde war inzwischen einem wissenschaftlich motivierten Erstaunen gewichen. Wie konnte es sein, dass einer phonetisch dermaßen ins Klo griff, der ja ansonsten geistig auf der Höhe schien? Er ging der Sache auf den Grund.
„Keine Sorge, Herr Pauerweint. Bei mir sind sie richtig. Nun. Erzählen sie mir doch mal ein bisschen über sich. Was beschäftigt sie so?“
„Also, ich pin ein sehr inderessander und sdarger Mann. Ich hape wiele Musgeln und einen eisernen Fillen. Fenn ich mir edfas in den Gopw sedze, tann pegomm ich tas auch. So zum Peisbiel, fenn mir eine Wrau kewälld. Ich keh tann einwach auw die Wrau zu unt sak ihr tas.“
„Alle Achtung“, entgegnete Holmes, „und das funktioniert?“
„Meisdens manchmal wungdionierd es, aber meisdens auch nichd – also eikendlich so kud fie nieh pis kar nichd. Aper haubdsache mein Fillen isd unkeprochen.“
„Da mögen sie recht haben“, pflichtete der angestrengt lauschende Buchstaben-Detektiv mit wohlwollender Geste bei, „aber können sie denn glücklich sein, wenn ihr Wille zwar stark genug ist, immer wieder Frauen anzusprechen, die Erfolgserlebnisse aber gänzlich ausbleiben?“
„Tas isd mir ekal. Solanke niemant midpegommd, tass ich innerlich gabudd kehe! Ich möchde Grafd aussdrahlen, damid mich alle Veld agzebdierd. Auch mein Chew im Püro ergennd tas an, wenn ich sdarg kenuk pin, ihm seine Agden sinnlos turch tie Kekent zu draken. Wielleichd pegomm ich palt eine Pewörterunk!“
Sherlektor Holmes dachte nach. Er hatte sehr zu knabbern... nachdem ihm Dr. Watson ungefragt eine Schale Knabberzeug auf den Schoß gestellt hatte. Eins musste man dem Kollegen lassen: Beim Lesen von Wünschen hatte der Legastheniker das Abitur geschafft. Holmes zog schließlich an einer Salzstange wie an einer Zigarre und brachte Herrn Pauerweint seine Überzeugungen dar: „Nun. Ich fasse zusammen: Aufgrund ihres starken Willens sprechen sie immer wieder Frauen an, obwohl sie stetig daran scheitern. Zudem mimen sie vor ihrem Chef den starken Mann, was aber eher bewirkt, dass dieser sie ausnutzt. Das heißt, ihr Anspruch, vor aller Welt stark zu sein, beißt sich mit ihrer Realität, in der sie augenscheinlich überaus schwach sind, wodurch ihr Gehirn völlig durcheinandergerät – und damit auch ihre Buchstaben!“
„Fas? Tas gann nichd sein!“, entgegnete ein schockierter Pauerweint, „Ich sbreche toch kanz normal!“
„Ich muss sie leider enttäuschen“, legte Holmes die Attitüde des Dorfältesten an den Tag, „In dem Maße, in dem sie versuchen, einen starken Mann zu imitieren, imitieren ihre schwachen Konsonanten die starken – und umgekehrt! Das heißt, aus einem P wird ein B, aus einem G wird ein K und so weiter.“
„Oh nein! Tas isd mir kar nichd auwkewallen!“
„Schauen sie“, fuhr der brillante Sherlektor fort, „sie laufen einem unerreichbaren Ideal von Stärke hinterher und erzeugen so das Gegenteil von dem, was sie sich eigentlich so sehr wünschen: Dass alle Welt sie akzeptiert. Ich kann ihnen nur raten, zunächst sich selbst zu akzeptieren, zu ihren Schwächen zu stehen und aus den Gegebenheiten eine wahrhaftige Stärke zu entwickeln – eine Stärke, die ihnen entspricht.“
Herr Pauerweint, der eigentlich Bauerfeind hieß, stockte der Atem. Schluchzend vor Rührung warf er sich dem genialen Buchstaben-Detektiv um den Hals und weinte bitterlich in dessen Hemdkragen: „Danke, Herr Sherlektor Holmes. Sie haben mich geheilt.“
„Nichts zu danken“, entgegnete ein sichtlich zufriedener Holmes und griff nach einem Erdnussflip, „Schließlich möchte ich nicht, dass Herr Power weint."

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Kommentare zu diesem Text


 Augustus (09.04.17)
Sehr schön. Originelle Verschmelzung zwischen akribischer Detektivarbeit und dem Zweig der Germanistik, der Sprachwissenenschaften bzw. der Linguistik in Verbindung mit einem Schuss: Psychologie.

Nur, der letzte Absatz, als der Herr Pauerweint nach den einsichtigen Ratschlägen anfängt zu weinen, finde ich, zu übertrieben. Ich würde die einzelnen superlative außerdem weglassen, wie z.b genial. Die Erzählung ist schon superlativ genug.

Es ist mir durchaus bewusst, dass die weinerliche Szene am Schluss das Gegenteil von einem muskelösen Mann zeigen soll, seine Schwäche etc. Jedoch finde ich, ein pragmatischer Schluss würde dem Ganzen mehr wohl tun.

Ave
Augustus

 Janoschkus meinte dazu am 10.04.17:
hey augustus, danke für deinen kommentar inkl. konstruktiver vorschläge. ich glaube, ich werde das ende allerdings so lassen, da mir die schlusspointe mit "herr power weint" am herzen liegt. der text ist eigtl für die bühne entstanden - ich wollte einfach mal gucken, ob er auch gelesen einigermaßen funktioniert.
viele grüße
jan
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