Hausmädchen in unserem Hause

Erzählung zum Thema Betrachtung

von  EkkehartMittelberg

Ich möchte hier von Mädchen erzählen, die in unserem Hause als Haushaltshilfen tätig waren, dort in einem eigenen Zimmer schliefen, freie Kost und einen bescheidenen monatlichen Verdienst hatten. Ich erzähle von der Zeit von 1942-1960.
Irmgard hieß das erste Mädchen, an das ich mich erinnern kann. Sie war 1941-1943 bei uns. Irmgard hatte einen Freund namens Engel, der sie mit Duldung meiner Mutter bis 1942 in unserem Hause regelmäßig besuchte. Dann kam er nicht mehr und ich vermisste ihn, weil er mich mit seinen Scherzen erheiterte und mir immer Süßigkeiten mitbrachte. Als ich Irmgard und meine Eltern nach dem Grund seines Fernbleibens fragte, erhielt ich ausweichende Antworten. Aber dann entnahm ich aus einem geflüsterten Gespräch meiner Eltern, dass Engel Jude war. Ich vermochte als Vierjähriger damit nichts anzufangen, wagte aber damals nicht nachzuhaken. Irmgard war meinen Eltern wegen ihrer Toleranz gegenüber Engels Besuchen sehr dankbar und hat uns noch viele Jahre nach ihrem Weggang aufgesucht.
Die Nachfolgerin von Irmgard war Maria. Sie beeindruckte mich durch ihren Mut und ihre Treue.
Ab März 1944 bis zum Kriegsende gab es mehrere Luftangriffe auf meine Heimatstadt Hamm (Westf.). In Hamm gab es damals mehrere Bergwerke, und ein großer Teil der Bevölkerung fuhr bei beginnendem Fliegeralarm in die Bergwerke ein, die gegenüber Bombenangriffen als sicher galten.
Maria hätte das als Tochter eines Bergmanns auch machen können, zumal meine Mutter es ihr nachdrücklich empfahl. Aber sie wollte lieber bei ihr und ihren drei Kindern bleiben. Wir suchten Schutz im Keller unseres zweistöckigen Hauses, der unser Überleben wohl kaum gesichert hätte, wäre das Haus von einer Bombe getroffen worden. Wir wohnten am Stadtrand von Hamm, etwas 6 km vom Zentrum entfernt. Aber wenn die Hammer Innenstadt bombardiert wurde, wackelten trotz der Entfernung zur Peripherie die Wände unseres Kellers so, dass sich wohl jeder gefürchtet hätte, wusste man doch nie, wo die Bomben einschlugen. Maria verzichtete auf ihre Sicherheit, weil sie es nicht übers Herz brachte, uns allein zu lassen.
Als Maria heiratete, folgte ihr Elli, eine Ostpreußin mit einer sehr schönen Stimme. Elli kannte nahezu alle Volkslieder und sang diese beim Spülen. Um kein Lied zu versäumen, trocknete ich regelmäßig das Geschirr ab und lernte von Elli die Melodien und Texte der Lieder.
Erst später wurde mir bewusst, dass sich unter den von Elli vorgetragenen Volksliedern auch anspruchsvollere befanden, wie zum Beispiel das von Hoffmann von Fallersleben gedichtete und von Johann Christian Heinrich Rinck komponierte „Abend wird es wieder“ oder „Die Gedanken sind frei“ („Um 1780 wurde der Text zum ersten Mal auf Flugblättern veröffentlicht. Im Zeitraum zwischen 1810 und 1820 entstand die Melodie dazu, und das Lied wurde in der Sammlung Lieder der Brienzer Mädchen in Bern gedruckt. Im Jahr 1842 wurde das Lied in Schlesische Volkslieder von Hoffmann von Fallersleben und Ernst Richter veröffentlicht.“ Quelle: Wikipedia)
Das regelmäßige Singen mit Elli sorgte für seelische Ausgeglichenheit und ich habe diese Zeit von meinem 8.-10. Lebensjahr als heile Kindheit in Erinnerung.
Ellis Nachfolgerin Hilde war ganz anders als die ruhige Ostpreußin.  Hilde war sehr temperamentvoll. Sie hatte mit 16 Jahren in der Nachbarschaft schon einen festen Freund, was in der prüden Zeit der 50er Jahre ungewöhnlich war. Ich war damals 11 Jahre alt und Hilde hielt mich für noch harmloser als ich tatsächlich war. Deshalb machte sie sich gar nichts daraus, beim Bügeln inbrünstig ihre freizügigen Lieder zu singen. Besonderen Spaß machte ihr ein Schlager, der damals in Mode war:
Meine kleine Frau kann alles,
Montags fährt sie Rad,
Dienstags spielt sie Tennis
Mittwochs klopft sie Skat.
Donnerstags wird gehäkelt,
Freitags wird gestrickt,
Samstags wird gebadet,
Sonntags wird gefickt.
Nachdem sie das gesungen hatte, fiel Hilde für mich aus dem Rahmen der anständigen Mädchen, aber ich mochte sie trotzdem, weil sie meine strengen Eltern parodieren konnte und mich damit zum Lachen brachte.
Hildes Freizügigkeit zahlte sich aus. Sie wurde bald geheiratet und verließ uns schon nach einem Jahr.
Auf Hilde folgte Gerda. Ich hatte kein besonderes Verhältnis zu ihr, wohl aber zu ihrem Freund, einem Roma, der seine Geige, die er bei uns deponiert hatte, wunderbar spielen konnte. Gerda feierte ihre Verlobung in unserem Hause, eine feucht-fröhliche Party, bei der ihr Verlobter durch sein Geigenspiel die Gäste in Stimmung brachte, indem er sie nach ihren Lieblingsliedern fragte und sie ihnen persönlich ins Ohr fiedelte. Die Gäste waren alle mehr oder weniger beschwipst und bester Laune.
Gerda hat meinen Eltern die Zuwendung nicht gedankt. Sie war das einzige Mädchen, das sie gekündigt haben, weil sie Wäsche stahl.
Unter unseren Haushaltshilfen waren einige gescheite, die mir manchmal sogar bei meinen Schulaufgaben helfen konnten, obwohl sie nur einen Volksschulabschluss hatten. Damals hatten nicht alle Mädchen das Ziel, einen Beruf zu erlernen. Sie wollten heiraten und konnten sich als Hausmädchen Grundkenntnisse der Haushaltsführung aneignen.

© Ekkehart Mittelberg, April 2017

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (24.04.17)
Welkch unterschiedliche Erlebnisse bereits in so jungen Jahren. Fein erzählt. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.04.17:
Merci, Armin, ich meine auch, dass sich mit unseren Hausmädchen zeitgeschichtliche Ereignisse verbinden.

 unangepasste (24.04.17)
Interessante Erinnerungen. Gern gelesen.

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 24.04.17:
Ich freue mich, dass die Erzählung dein Interesse gefunden hat. Danke.

 TassoTuwas (24.04.17)
Das ist wie ein Blick in eine andere Welt, wobei ich ganz bewusst nicht "gute alte Zeit" meine.
Alle Zeiten sind eben so und so.
In jedem Fall zeigt es die Veränderungen in der Gesellschaft auf unterhaltsame Weise.
Nebenbei, aber nicht Nebensächlich bemerkt, konntest du schon frühzeitig entdecken, wie verschieden die Weiblichkeit ist
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 24.04.17:
Gracie, Tasso. Es stimmt, dass ich in meinem Leben schon früh Erfahrungen mit ganz unterschiedlichen Frauen machen konnte. Ich bin dankbar dafür, denn es hat mit in vielen Situationen geholfen.
Herzliche Grüße
Ekki

 Dieter_Rotmund (24.04.17)
Einige wenige kleine handwerkliche Mängel, ansonsten gerne gelesen.

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 24.04.17:
Freut mich, dass es gefallen hat, Dieter.
Graeculus (69)
(24.04.17)
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 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 24.04.17:
Merci. Du hast Recht mit der Selbstzensur. Ich habe mich schon so an die Sanktion von Zigeuner gewöhnt, dass mir der Ausdruck heute sehr abwertend vorkommt. Da Gerdas Freund vornehme Manieren hatte, habe ich es nicht über Herz gebracht, ihn Zigeuner zu nennen.
Graeculus (69) meinte dazu am 24.04.17:
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Graeculus (69) meinte dazu am 24.04.17:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.04.17:
Deinen Ausführungen zu der Bezeichnung "Zigeuner" und zur sprachlichen Korrektheit im weiteren Sinne stimme ich gerne zu.
LottaManguetti (59)
(24.04.17)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.04.17:
Ja, Lotta, diese Vergangenheit ist selbst für mich, der ich sie doch erlebt habe, weit entrückt. Gracie.
Liebe Grüße
Ekki

 GastIltis (24.04.17)
Hallo Ekki, das Lesen war mir eine Freude. Warum? Unsere Tochter, sie neigt zur Übertreibung, meint gelegentlich, sie stamme aus gutem Hause. Das habe ich immer versucht zu relativieren. Jetzt kann ich es an Hand eines hervorragenden Beispiels. Ich stelle dies ohne Neid oder Häme fest, sachlich und froh gestimmt. Schicksale sind verschieden und Schlussfolgerungen mag jeder für sich ziehen. Viele liebe Grüße von Giltis.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.04.17:
Merci für diesen Kommentar.
Liebe Grüße zurück
Sätzer (77)
(24.04.17)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.04.17:
Ja, Uwe, die Geschichte der Hausmädchen ist eine Geschichte des Bürgertums. Danke. LG

 toltec-head (24.04.17)
Das Lied ist aber deine Erfindung, schätz ich mal. Wäre jedenfall eine Sonderauskopplung wert. Melodie? Gibt es Fotos zum Hochladen?

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.04.17:
Ich konnte das Lied leider auch nicht googeln. Ich habe es damals nur ein einziges Mal im Radio gehört, natürlich zensiert: "Sonntags wird geflickt."
Lancezarus (52)
(24.04.17)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.04.17:
Ja, Lance, das konnte nur gut gehen. "Der Umgang mit Frauen ist das Element guter Sitten" wie der Altmeister Goethe schon sagte. Das traf zwar nicht immer zu. Aber der Erzähler darf ja auch etwas verschweigen.
LG
Ekki
Gerhard-W. (78)
(24.04.17)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.04.17:
Ich möchte zwar nicht wie in dem Sprichwort behaupten, dass böse Menschen keine Lieder singen. Aber eines ist sicher, dass Singen seelisch ausgleicht. Deshalb lass dich nicht beirren, Gerhard, und singe bei der Hausarbeit und in der Badewanne weiter. Denke dabei an mich. Ich mache es auch so.
Danke und liebe Grüße
Ekki
Stelzie (55)
(24.04.17)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 24.04.17:
Es freut mich sehr, Kerstin, dass du diese Erzählung schätzt, denn zweifelllos waren die Hausmädchen Miterzieher in meinem Leben.
Liebe Grüße
Ekki

 JohndeGraph (25.04.17)
Gerne gelesen, denn es versetzt mich bei dem Lesen in eine andere Zeit. Das gibt Stoff zum Nachdenken, zumal es auch unterhaltsam geschrieben ist. Liebe Grüße J.d.G.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.04.17:
Danke, John. Ich hätte damals, als ich unsere Hausmädchen erlebte, nicht gedacht, dass ihre Tätigkeit so schnell Geschichte werden würde.
Liebe Grüße
Ekki
Hilde (62)
(25.04.17)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 25.04.17:
Vielen Dank dafür Hilde, dass du die typischen Zeitsegmente, die in dieser kleinen Erzählung stecken, bewusst gemacht hast.
Liebe Grüße
Ekki

 kirchheimrunner (26.04.17)
so etwas muss man einfach lesen und weitererzählen..

Wirklich beeindruckend.

Hans

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 26.04.17:
Dein Kommentar freut mich sehr, Hans. Danke.
LG
Ekki
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