Minsk

Skizze zum Thema Krieg/Krieger

von  blauefrau

Es war einmal ein Mann, der lebte in einer kleinen Stadt in Deutschland.
Er hatte einen Vater, der oft monatelang nicht mit der Mutter und den Kindern sprach, eine Mutter, die in zweiter Ehe mit diesem verheiratet war und zahlreiche Geschwister und Halbgeschwister.
Die Halbgeschwister waren auf Höfen der weit verzweigten Verwandtschaft untergebracht, um Raum für die neue Familie zu schaffen, dem Stiefvater nicht auf der Tasche zu liegen und um später einen Hof zu übernehmen, der sonst keinen Erben hätte.
Eine Schwester des Mannes wurde in einem Heim untergebracht. Eines Tages legte sie sich in ihr Bett  und wollte nicht mehr aufstehen. Später holte der Vater die Schwester aus dem Heim, "damit ihr nichts passiert." Was, wusste der Mann nicht.

Der Mann hängte sich ein Plakat mit dem Bild eines kleinen Mannes mit kleinem Bart an die Wand. Er bewunderte ihn sehr. Mitschüler sagten über ihn, dass er nie lachte.
Eines Tages waren nicht mehr genug Soldaten im Krieg, und der Mann legte ein Not-
abitur ab, um kurz danach als Soldat nach Russland aufzubrechen. Er musste gehen, weil er eingezogen wurde, der Vater wollte es so, und er selbst war hin - und hergerissen. Später wollte er für sein Land  kämpfen.
Dort lernte er, auf Menschen zu schießen, denn diese Menschen schossen auch auf ihn.

Nach schweren Gefechten hatte sich seine Truppe in eine Höhle zurückgezogen. Den meisten Verletzten konnten die Kameraden helfen. Ein Mann schrie ununterbrochen. Ihm war nicht mehr zu helfen. Die Truppe zog los und ließ den Verwundeten zurück.  Er zögerte. Er war ein Freund des Mannes. ,,Los, Los", riefen die Truppenchefs,
,,Wir müssen hier weg. Er verrät uns sonst." Die Schreie verfolgten ihn über lange Strecken bis in seinen Tod hinein.

Im Rücken hatte der Mann ein  kraterförmiges Loch, in das die Kinder und Enkelkinder ihre kleine Faust legten, während er sich mit nacktem Oberkörper rasierte. Die Kinder lachten dann immer.
Das Loch hatte sich der Vater durch einen Granatsplitter, der ihn bei einem Bombenabwurf in Russland erwischt hatte, zugezogen. Er wurde ausgeflogen und kam in ein Lazarett. Fast wäre er an seiner Verwundung gestorben, 
Angekleidet sah man ihm seine Verletzung nicht an.

In einem Lager erlitten die Soldaten Hunger und Durst.
Der Mann und sein Vorgesetzter manipulierten daraufhin immer wieder  Stromleitungen. Sie setzten sie erst dann wieder in Stand, wenn sie um den Preis weiterer Lebensmittel damit beauftragt wurden.

Ein Vorgesetzter hatte Geburtstag und eine Torte wurde für ihn gebacken. Unter  Androhung von Gewalt durfte kein Soldat sich dieser Torte nähern.
Mit dem Schwert zerteilten der Mann und sein Kamerad die Torte solange mit einem Schwert, bis kein Brösel mehr vorhanden war. Stück für Stück verzehrten sie sie. Die elefantöse Brüllerei des Kochs und seines Vorgesetzten hörte man über viele Tage . Die Täter wurden nie entdeckt.

Gelegentlich erhielt der Mann einen Brief oder ein Päckchen von der Mutter. Der Vater meldete sich nicht.

Später warf der Mann das Bild mit dem kleinen Mann weg.
Als der Krieg zu Ende war, ergriff der Mann einen soliden Beruf. Er gründete eine Familie und baute ein Haus. Er vertraute auf Gott und wurde vom Alltag aufgefressen. Er umgab sich mit unsichtbaren Wänden und wurde zu "Eisenhans". Nichts berührte ihn, keine Worte und keine Gefühle.
Sein Schweigen und seine Wände zingelten das Feuer der Gefechte und die Schreie der Sterbenden ein.

Beim Kauen rann  Schweiß an seiner linken Gesichtshälfte herab. Ursache waren Splitter, die er sich bei dem späteren  Marsch auf Berlin zugezogen hatte.
Während seiner Todesstunden klackerte es in seinem zahnlosen Mund. Die Splitter drangen im Zustand der allgemeinen Auflösung aus seinem Zahnfleisch.

Noch während er starb, rief der Mann ,,Feurio", weil er das Feuer sah, das bei den Gefechten aufloderte. ,, Feurio".
Er starb an den Folgen seiner Demenz, doch es war der Feuertod, der seine Augen in Echsenaugen verwandelte.
Durch das Fenster des Sterbezimmers leuchteten rote Klatschmohnblüten.
Sein Herz kämpfte tagelang, bis es schließlich aufgab.

Und wäre er nicht gestorben, so würde er heute im Feuer stehen.

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Kommentare zu diesem Text


 AZU20 (18.09.17)
Besser kann man nicht gegen den Krieg schreiben. LG
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