Ein Graugesicht sieht in den Spiegel

Gedicht zum Thema Leere

von  GastIltis

Am Spiegelrand zerfledert sich das Rot.
Ein Grau, genannt Gesicht, starrt in die Scheibe.
Doch rechts und links vom Rot ist keine Bleibe,
es ist nur alles grau, wie seine Not.

Die Dämmerung gewinnt den ersten Preis.
Dann folgt ein Schattenschauspiel ohne Ende.
Die Sonne ist nur eine blasse Blende,
doch sie geht unter und dann wird es leis.

Die Jahreszeiten sind ein schwacher Trost.
Sie zeigen nur das Wechselbad der Tränen.
Ein leeres Haus ist wie ein totes Gähnen
und alle Fenster schließen sich erbost.

Die Blumen sind nicht welk und auch nicht grün.
Dazwischen liegen Welten voller Wunder.
Im Keller und im Stall verrottet Plunder;
wer träumt, sieht lauter Gänseblümchen blühn.

Der Arzt und auch der Bäcker machen dicht.
Dass noch ein Zug fährt, kann kein Mensch mehr ahnen.
Man könnte eine Liegewiese planen,
als Flugplatz jedoch brauchte sie schon Licht.

Dass Schwärmer fliegen, dafür hängt der Mond,
ob halb, ob ganz, liegt an verschiednen Dingen.
Wenn Falter schwärmen und Zikaden singen,
bleibt nur, wer melancholisch ist, verschont.

Am Spiegelrand verfällt das Violett.
Das Graugesicht zerschlägt den Rest der Scheibe.
Dann rückt es sich mit anderem vom Leibe.
Die Nebelbank verliert ihr letztes Brett.


Anmerkung von GastIltis:

Empfohlen von:  franky, juttavon, Sanchina, Sätzer, TassoTuwas, Tatzen, tulpenrot, wa Bash.
Vielen herzlichen Dank!

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Kommentare zu diesem Text

Sätzer (77)
(21.09.17)
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 GastIltis meinte dazu am 24.09.17:
Lieber Uwe, nach der Anzahl deiner „e“ im Wort Leere zu urteilen, haben es meine Zeilen in sich. Danke und hoffentlich habe ich mich nicht verzählt. LG von Giltis.

 TassoTuwas (21.09.17)
"Grau treuer Freund ist alle Theorie..."!
Würde der Altmeister noch leben und dieses Werk lesen, er würde dich ans Herz drücken.
So tue ich es stellvertretend ))
LG TT.

 GastIltis antwortete darauf am 24.09.17:
Lieber Tasso, das ist so wohltuend wie es würdevoll und angemessen erscheint. Jedenfalls mir! Der Vorteil ist, dass du das „Werk“, ich habe es vorsichtshalber in Gänsefüßchen gesetzt, noch lesen kannst. Und hoffentlich recht lange. Danke und herzliche Grüße von Giltis.

 Tatzen (26.09.17)
Du zeichnest tatsächlich eine sowohl innerlich wie äußerlich trostlose Welt in deinem Gedicht; sehr schön, wie du den Blick in den Spiegel nutzt, um darin nicht nur das Selbst, sondern auch die Welt zu zeigen - dadurch verschmiltzt beides miteinander und man könnte meinen, das Grau der Welt entsteigt dem Grau des Ichs.
Melancholisch grüßt Daniel

 GastIltis schrieb daraufhin am 26.09.17:
Ja Daniel, der Herbst und die Traurigkeit, sie entsprechen nicht nur meinem momentanen Gemütszustand; es ist mir wahrscheinlich von meiner Mutter in die Wiege gelegt worden. Ihr hatte mein Großvater mal ein plattdeutsches Gedicht „Vör de Grübelers“ gewidmet. Danke + LG von Giltis.

 Tatzen äußerte darauf am 26.09.17:
Oha, das hört sich ja ganz nach münsterländer Genen an Bei mir schlägt da eher der Ruhrpott-Optimismus meiner Mutter durch - es ist noch lange nicht Schicht im Schacht

 GastIltis ergänzte dazu am 10.10.17:
Das Münsterland, lieber Daniel, ist es nicht! Die Altmark. Auch ein interessantes Stück Erde. LG von Giltis.
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