Nachkriegsgeschichten. Und wenn der Hoffnung letzter Anker bricht...

Erzählung zum Thema Hoffnung/Hoffnungslosigkeit

von  EkkehartMittelberg

In den 50er Jahren verbrachte ich meine Ferien gerne bei einer Tante, die als Voll-erwerbslandwirtin einen Bauernhof in Norddeutschland bewirtschaftete. Das Letzte, was sie von meinem Onkel wusste, war, dass er gegen Ende des Krieges an die zurückweichende Front nach Rumänien eingezogen wurde.
Die humorvolle und lebenstüchtige Frau hat ihr Schicksal trotz der harten Arbeit als Bäurin – sie hatte nur eine Kusine als Hilfe -  nie beklagt. Im Gegenteil, sie nutzte ihre äußerst geringe Freizeit zu Späßen, um meine jüngere Kusine und mich aufzuheitern.                                                              Wir badeten im Sommer in einem Bach, der weit entfernt durch eine ihrer Wiesen floß und vergaßen über unseren Spielen das Abendessen und die Zeit.
Es dämmerte schon, als wir uns auf den Heimweg machten, der an einem Wäldchen vorbei führte.
Plötzlich stürzten zwei Räuber aus dem Unterholz mit Knüppeln bewaffnet auf uns zu. Ich hatte zum Angeln einen Blecheimer mitgenommen, den ich ihr im Reflex entgegenschleuderte und sie damit an der Brust traf. Als ich sie und meine ältere Kusine erkannte, wollte ich eine Entschuldigung stammeln, aber meine Tante, die das Gesicht schmerzhaft verzogen hatte, lachte schon wieder. Kein Vorwurf, sie machte uns nur darauf aufmerksam, dass der einsame Weg zur späten Abendzeit nicht ungefährlich war.
Später besuchte ich sie unangemeldet mit einem Freund, ohne zu wissen, dass in dem Dorf das Schützenfest gefeiert wurde und deswegen niemand zuhause war. Ich erinnerte mich, dass zu diesem Anlass jeder seine beste Sonntagskleidung angelegt hatte.  Wir aber waren, inzwischen 18 Jahre alt, in Shorts gekommen. Mein Freund, der sehr gut Englisch sprach, schlug vor, dass er sich als Amerikaner ausgeben würde, die damals als Vorbild für unkonventionelles Verhalten galten.
Wir tanzten mit den Dorfschönen, und es dauerte nicht lange, bis unser Schwindel entlarvt wurde. Das hinderte meine Tante aber nicht daran, am anderen Tag eine Torte für uns und unsere Tänzerinnen zu backen, auf der sie mit Sahne geschrieben hatte: „Happy American life“.
Meine Tante besaß ein kleines Radio, das selten zu den Mahlzeiten angestellt wurde. Sie unterhielt sich lieber mit uns über unsere Spiele. Doch es gab eine Ausnahme. Sie hörte regelmäßig den Suchfunk des Roten Kreuzes, weil sie den Gedanken nicht aufgegeben hatte, dass ihr Mann doch noch zurückkehren würde.
Sie besaß mehrere Tassen, die mit Sinnsprüchen beschriftet waren. Als sie den Glauben aufgegeben hatte, dass mein Onkel überlebt hatte (Sie sprach übrigens nie darüber), trank sie jahrelang aus einer Tasse, die mit den Worten beschriftet war: „Und wenn der Hoffnung letzter Anker bricht, verzage nicht.“

Meine Tante hat später noch mehrere Heiratsanträge erhalten, die sie alle ausschlug.  Sie hatte damals meinen Onkel, den Nachbarsjungen, geheiratet, eine geplante Vernunftehe, aber meine Verwandten, die ich noch in dieser Gegend hatte, erzählten mir, es habe sich um eine große Liebe gehandelt.

© Ekkehart Mittelberg, Oktober 2017

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Kommentare zu diesem Text

rochusthal (71)
(01.11.17)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.11.17:
Merci. Man könnte vermuten, dass die Menschen in der Nachkriegszeit solidarischer waren, weil es nach meiner Information zahlreiche Hörer dieser Sendung gab, obwohl sie keinen Angehörigen verloren hatten.

 TrekanBelluvitsh (01.11.17)
Deutschland war ab dem 8./9. Mai 1945 voll von entwurzelten Menschen, im offiziellen Sprachgebrauch Displaced Persons. Damit war aber die räumliche Entwurzelung gemeint. Der Seele konnte es jedoch ähnlich ergehen, jedoch wurde erwartet, dass man/Frau das ertrug. Die psychische Kraft der Menschen war damals nicht größer, als sie es heute ist. Aber in der guten alten Zeit hätte eh niemand zugehört...

 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 01.11.17:
Danke, Trekan. Ja, tatsächlich war in dieser Zeit die Erwartung hoch, dass man physisches und psychisches Leid ertrug und die große Mehrheit ertrug es klaglos, vielleicht in demBewusstsein, noch schlimmerem Leiden entkommen zu sein.

 Didi.Costaire (01.11.17)
Ich finde es immer wieder interessant, von solchen Erlebnissen und Eindrücken aus sehr alter Zeit zu lesen.
Schöne Grüße, Dirk

 EkkehartMittelberg schrieb daraufhin am 01.11.17:
Merci, Didi, scheinbar macht der Zeitfilter die Geschichten aus alter Zeit besonders lesenswert.
Schöne Grüße zurück
Ekki
Sätzer (77)
(01.11.17)
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 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 01.11.17:
Ja, die Frau war stark. Es gab viele Heldinnen des Alltags unter den Frauen, die nach dem Kriege allein ihren Mann stehen mussten. Danke, Uwe.
LG
Ekki

 TassoTuwas (01.11.17)
Heute kann man über den Nachkriegsalltag schmunzeln.
Deine Geschichte erinnert mich an Schulspeisung, Lebertran, Care-Pakete.
Die Caritas hatte Kleidung aus USA erhalten, für mich wurde eine Hose ergattert. Meine Großmutter, des Englischen unkundig, besah sich das merkwürdige Textil, rümpfte die Nase und sagte,
"Das sind also Pluschin...", griff entschlossen zum Bügeleisen Und setzte fort, "...ohne Bügelfalte ziehst du das Ding nicht an!"
Je schlimmer die Zeiten, umso reicher an Anekdoten.
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 01.11.17:
Merci, Tasso, du erweiterst die thematische Palette. Vielleicht schreibe ich auch noch etwas zu Schulspeisung und Care-Paketen.
Herzliche Grüße
Ekki

 Habakuk (01.11.17)
Habe ich zweimal gelesen, um nicht irgendeinen Schmu von mir zu geben.
Ich finde, es ist dir eine lebendige, atmosphärisch diche Erzählung gelungen, will sagen, die Handlung wird in einem nachvollziehbaren Strang erzählt, die Figuren agieren miteinander und lassen so die Story wirken. Nun ja, der Kommentar hört sich doch irgendwie nach Schmu an. Egal. Klingt aber gut.

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.11.17:
Grazie, Habakuk, sei bitte so wohlwollend dir selbst gegenüber wie du meinen Text siehst.
LG
Ekki
Graeculus (69)
(01.11.17)
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 Dieter_Rotmund meinte dazu am 01.11.17:
Bei mir zeigt sich ein alberner Trennugnsfehler. "Voller-werbslandwirtin" . Außerdem: "mein Kusine".

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.11.17:
@Graeculus: Schön, dass du den beinahe idyllischen Einstieg der Erzählung erkannt hst.
Die beiläufige Vorwegnahme, dass einer der beiden Räuber meine Tante war, ist Absicht. Eine mögliche Irritation klärt sich bald darauf. Merci
@Dieter_ Rotmund: Streng genommen ist es kein Trennungsfehler. Ich habe aber anders getrennt. Danke.

Antwort geändert am 01.11.2017 um 18:03 Uhr

Antwort geändert am 01.11.2017 um 18:03 Uhr

 AZU20 (01.11.17)
Gern und interessiert gelesen. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 01.11.17:
Danke, das freut mich, Armin.
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