Die Sofisten werden popolär

Kurzprosa

von  Janoschkus

Die Sofisten werden popolär

„Mama? Was sind eigentlich Sophisten?“, fragte die achtjährige Thorsten ihre unerheblich ältere Frau Mutter, die sich gerade eine Dose Kinderknete ins Gesicht drückte, um aus ihren hohlen Wangen ein Relief zu formen.
„Ich weiß ja, was Philosophen sind – die interpretieren die Welt und sind so berühmt, dass sie kostenlos Taxi fahren dürfen. Aber Sophisten? Das klingt doch irgendwie ähnlich?! Besteht da vielleicht ein Zusammenhang?“
Ihre Mutter, die beinahe regelmäßig zur Schule ging, bürstete mit einem Drahtschwamm ihre verkrusteten Wimpern, wandte sich zu dem Produkt ihrer präpubertären Experimentierfreudigkeit und sprach mit rauchiger Stimme:
„Sofisten? Das waren doch diese Märchenonkel aus der Antike, die sich künstlich aufbliesen, um die geistige Höhe echter Philosophen zu simulieren. Die zur Durchsetzung ihrer mittelmäßigen Standpunkte die Lügenkeule schwangen und ihre Gesprächspartner mürbe quasselten. Und die zur zusätzlichen Verwirrung bevorzugt von Sofas aus argumentierten, damit sie während einer Debatte gestenreich aufs Polster klopfen und ihre Fäuste dann und wann in den Sofaritzen verschwinden lassen konnten. Ein höchst subtiler wie wirksamer Akt der Manipulation, der auch zu ihrem Namen führte: Sofisten! Ethikunterricht Klasse 10.“
Die achtjährige Thorsten erschrak und zog die Hand aus ihrer Puppe. Seitdem sie denken konnte, postulierte sie Wahrheit und Authentizität. Sie berief sich auf ihren gesunden Menschenverstand, wenn sie das Pokemon-Kartendeck ihrer Klassenkameraden demontierte oder die Frau Mutter anherrschte, sich vor dem Essen die Hände zu waschen. Keinerlei Hütchenspielertricks waren vonnöten, wenn sie etwa ihren Standpunkt zum Thema „Auswirkungen der historischen Völkerkissenschlacht bei Leipzig auf das Aggressionspotential von Jugendlichen beim Daddeln von Ego-Shootern“ in der Hofpause vertrat. Sie begegnete ihren Mitschülern mit Respekt und überzeugte mit schlüssiger Argumentation, die sie gekonnt und tiefenentspannt über die Bühne brachte.
Die Sofisten hingegen verschossen ihre Meinung wie Spinnenfäden, wickelten ihre Gesprächspartner um den Finger und kniffen ihnen rhetorisch in die Wange. Sobald sie jedoch drohten in einer Debatte zu unterliegen, was sie etwa anhand gegen sie gerichteter Naserümpf- oder Räusperattacken bemerkten, gerieten sie in Panik. Um von ihrer Unfähigkeit abzulenken, fuchtelten sie nun zur Untermalung ihrer Rede noch vehementer mit Armen und Beinen und ließen an Wendungen, die sie für besonders prägnant formuliert hielten, ihre geballten Fäuste in den Ritzen des Sofas verschwinden. Je beherzter sie in die gepolsterte Spalte eintauchten, desto konfuser zeigte sich ihr Gegenüber, dem anhand der willkürlich wie faszinierend erscheinenden Penetration über kurz oder lang die Argumente komplett vergingen. Es funktionierte sehr gut – und der Aufstieg der Sofisten, der Sieg der Performance über den Inhalt, schien unaufhaltsam.
Eines historischen Tages jedoch fand sich ein Gesprächspartner, der es so faustdick hinter den Ohren hatte, dass er es mit den inzwischen allseits angesehenen Sofisten aufnehmen konnte: Ein scharfsinnig daherschwadronierender Philosophiestudent, der seine Augen hin und wieder ritzenartig zusammenzog, um seiner vortrefflichen Intelligenz auch optisch Ausdruck zu verleihen. Da er die Selbstreflexion mit Löffeln gefressen hatte, fiel es ihm nicht allzu schwer, von seinem manipulativen Wesen auf das der Sofisten zu schließen und deren Masche zu entlarven. Dazu nahm er – gewieft wie er war - ein Stück Maschendraht, packte die Sofisten im Gespräch an den Armen und band jene hinter deren Rücken zusammen, auf dass die Fäuste verstummten und er selbst argumentativ triumphieren konnte.
Da sich jene Entwaffnung zufällig in der beliebten 3sat-Sendung „Sternstunde Sofistologie“ ereignete, bekamen die in letzter Zeit nur noch spärlich vom Staat bezuschussten und in kümmerlichen Single-Haushalten darbenden Philosophen dieses Landes Wind davon und gelobten, den verbliebenen Sofisten auf ähnliche Weise das Handwerk zu legen.
Und tatsächlich: Nach und nach zogen die Philosophen ihre Rollläden hoch, stellten ihre Fenster auf Kipp und ließen ihren Worten Taten folgen! Die zahlreichen mit Maschendraht zur Vernunft gebrachten Sofisten zuckten zusammen – traktiert von den starken Argumenten von Sokratestosteron und verKant von Immanuel, der sich in den Wortduellen nicht mal mehr Camus geben musste. Andere Philosophen hingegen zeigten sich engagierter: Der emsige René Dekarrte eine Ladung vergammelter Baguettes vor die Haustüren der Lügenbolde, während Jürgen Haber Maß nahm, um ihnen verbal in die Eier zu treten. Inzwischen sagte sogar Ador No! zu ihnen, schließlich hatten sie auch bei Sartre schon lange keinen Wittgenstein mehr im Brett. Und dennoch glimmte bei den Sofisten nach wie vor ein Fünkchen Hoffnung, zumal sie sich an ihr Credo „Sag niemals Nietzsche“ klammerten, bevor sie schließlich vom Biss der gefletschten Schopen-Hauer intellektuell zerkaut wurden. Die Niederlage ging ihnen durch Marx und Bein und im Grunde gaben sie sich schon geschlagen, als sie plötzlich Heraklitoris mit lullenden Worten noch einmal glauben ließ, sie hätten eine Chance, um sie dann eiskalt abzuservieren und hinter ihren Rücken über sie zu aristotelästern. Darüber hinaus war natürlich auch Sigmunds Freud der Sofisten Leid – dieser allerdings hatte ob der faustmäßigen Penetration von Sofas noch etwas länger an ihrer Daseinsform zu knabbern.
Im Großen und Ganzen aber waren sich die Philosophen einig: Man wusste, welche Knöpfe man drücken und welchen Hegel man umlegen musste, um seine Ansichten durchzusetzen und zu neuer geistiger Strahlkraft emporzusteigen, die endlich wieder wie ein Batmansymbol bei Nacht über den Dächern der Städte hing.


Anmerkung von Janoschkus:

Dieser Text ist Rahmen unserer Lesebühne Kunstloses Brot, zum vom Publikum vorgegebenen Thema "Sofaritze", entstanden.

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (08.11.17)
"Die achtjährige Thorsten"?

 Judas meinte dazu am 18.12.17:
Ist mit einer meiner Lieblingsstellen. Der Hammer.

 Janoschkus antwortete darauf am 18.12.17:
:-)

 EkkehartMittelberg (08.11.17)
Ich habe deinen Text als geistreichen Nonsens gelesen. In Wirklichkeit musste man die Sophisten sehr erst nehmen. Sokrates schaffte es nicht, sie argumentativ zu besiegen. Dialog "Gorgias"
LG
Ekki

 Janoschkus schrieb daraufhin am 08.11.17:
hey ekki, ok, dann verbreite ich wohl gefährliches halbwissen - inwieweit ich es damit den sophisten gleich tue, sei dahingestellt.
gruß jan

 loslosch äußerte darauf am 08.11.17:
man könnte die sophisten lustigerweise vorführen, indem man darauf verweist, dass sie als erste für die wissensverbreitung geld kassierten.

 LotharAtzert (08.11.17)
popoleer war schon immer leer von Scheiße.
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram