Leben 3.0

Ansprache zum Thema Technik

von  Ephemere

Ihr wollt uns also zu einer höheren Spezies machen. Die Fesseln der Genetik, des Subjektiven, ja selbst der Kultur abwerfen und der Menschheit ein neues Kapitel eröffnen. Nicht mehr unser Körper soll unsere Grenze sein. Nur noch Knetmasse für den Geist werde alles Materielle. Geschlecht, Räumlichkeit, Tod - all das sei überwunden. Ihr träumt von der Singularität, Ihr arbeitet fieberhaft daran - dem Mensch neue Räume eröffnen, indem er sich selbst im Wortsinne umformen kann zu allem Vorstellbaren, ja selbst allem noch-nicht-einmal-Vorstellbaren. AI, Biotech, Robotik - die Fortschritte ermutigen, Ihr Transhumanisten, Cyberevangelisten und Technikutopisten wähnt Euch kurz vor dem Ziel, würdet noch sterbend auf dem Bauch die letzten Meter kriechen um in den Brunnen des ewigen Lebens zu fallen.

Ich habe Euch etwas zu sagen:

Ein Mensch ist mehr als sein Gehirn. Viel mehr. Und zwar nicht nur in Kilogramm oder der Menge an Zellen. Wir sind unsere Körper, der ganze Körper-Geist Quatsch ist eben solcher, und darüber hinaus ist es genau diese physische Existenz, die uns überhaupt erst ein Schicksal verleiht. Jedwede Form von Dringlichkeit, jedwede Form von Begrenzheit und etwas-das-auf-dem-Spiel-steht, die das Pathos erst ermöglichen. Die Kunst. Die Wut. Die Extase. Die Geilheit. Den bodenlosen Schock. Genau die Perspektive, aus der wir seit jeher denken, fühlen, sehen, leben. Schreiben.

Lasst mich von diesem Körper sprechen.

Diesem stets verleugneten Ich, das immer nur etwas Unterirdisches sein darf. Unterbewusst. Untergeordnet. Unterentwickelt. Dem "wir" es permanent verübeln, dass "wir" mit "ihm" irgendwann sterben müssen, dass "wir" mit "ihm" hungern und kranken. Als ob "wir" nicht erst durch "ihn" sehen und fühlen und denken könnten, als ob "wir" "ihm" nicht jedwede Freude zu verdanken hätten - und das Leben überhaupt. Der Kult des Gehirns ist der ultimative Narzissmus: wenn ich nicht für ewig sein kann und universell, wenn ich nicht die Fähigkeiten besitze, jede meiner Fantasien auszuleben, kann es nicht an mir liegen, dann muss es... das da sein. Und das da muss dafür büßen. Früher wenigstens verrucht, sündig, skandalös wird es heute nur noch belächelt als Beta-Version, als etwas, das noch nicht sauber optimiert ist. Vielleicht macht man ihm dereinst Cyborg-Beine, vielleicht verlässt man es endlich ganz, um stattdessen in rein digitaler Form zu existieren oder als verkabeltes Gehirn in interstellare-Reisen-resistentem Titangehäuse.

Was wisst Ihr von meinen Eiern?

Diesen wunderbaren, die genauso Ich sind wie mein Gehirn? Die Ihre eigene Meinung haben, die mich in dieser Welt veorten, in dem sie mir Leidenschaften geben, Antriebe, die radikal subjektiv sind, die im Hier und Jetzt existieren und nur mir gehören? Was wisst Ihr von den Eierstöcken meiner Frau, die das selbe Wunder zu vollbringen wissen? Wer singt ihr Loblied? Ihr erntet ihre Energie und tretet sie noch dafür. Oder unser Darm? Das Bauchgefühl, das selbst der größte Nerd nicht verleugnen mag, ja das er gerne noch verklärt als Ursache seiner genialen Eingebungen und Überzeugungen - das ist er. Meterweise Zellstoff, umwickelt von Nervenzellen, Nahrung in Leben und Kacke verwandelnd. Aus den Schwingungen der Verdauung, mitten drin in uns, groovt er einen guten Teil von dem, was wir unsere Intuition nennen, herbei. Nicht zu vergessen: die Nebennieren. Die hängen nun wirklich kurz vorm Klo, sozusagen, ständig im Geruch von Pisse, beschäftigt mit dem schnöden Wasserhaushalt, der uns am Leben, Denken, Spinnen und wasauchsonstnochalles hält. Ohne die ist nix mit Adrenalin und Co. - nie wieder aufs Ganze gehen, nie wieder reflexartig wegrennen vor etwas, das uns gekillt hätte, nie wieder... Ihr versteht mich. Zumindest IHR, die Ihr Eure Eier, Eierstöcke, Därme, Nebennieren feiern könnt. Ihr stolzen Menschen, stolzen Lebewesen, die nicht im ständigen Widerspruch zu ihrer Existenz leben. Die in sich einen Anfang und ein Ende haben und sich nicht erst gerechtfertigt fühlen, wenn sie ewig währen oder überall zugleich sind.  Die die Angst, die Extase und alles dazwischen kennen, die damit einhergehen, räumlich begrenzt zu sein - weil man nur so berührt werden kann.

Und Euch Anderen, die davon nichts wissen wollen, die lieber heute noch als gestern und lieber morgen als übemorgen aus ihrer Haut fahren würden, sei gesagt:

Unser Körper ist nicht nur die biologische Batterie, die irgendwas fressen muss, um das Hirn mit Energie zu versorgen, und die man ab und an abwichsen muss, damit sie nicht mit Hormonen nervt. Ihr habt schlichtweg: Überhaupt. Keine. Ahnung. Wie ein wie-auch-immer-geartetes Etwas denken würde, das nicht über so prächtige Eier oder Eierstöcke, Därme, Epithel oder Nebennieren verfügt. Das nie geil wird, nie weinen muss, nicht weiß wie es ist, betrunken zu sein, keinen Peil davon hat, was es bedeutet, berührt zu werden - und von wem. Das weder Hektik noch Muße kennt, da die Zeit selbst in der annähernden Ewigkeit bedeutungslos geworden ist.

Ich weiß, Ihr wäret gerne selbst dieses Etwas.

Dieser Dandy-Cyborg, dem nichts dringlich ist, alles gleich, der sich aus reiner Objektivität und Blasiertheit mal hierhin und mal dorthin bewegt, ohne jemals in Begeisterung oder Rage zu geraten. Und ich kenne auch Euer Geheimnis, das Euch antreibt: Ihr ekelt Euch vor Euch selbst, zumindest in Eurer aktuellen Form. Ihr wollt Euch transzendieren, weil Ihr Euch als eine Demütigung empfindet. Weil Ihr Euch für Euch selbst schämt. Ihr meint an Euren Gitterstäben zu rütteln, da Ihr Euch als zutiefst mangelhaft anseht. Und wisst Ihr was? Zu Recht! So erspart doch bitte dem Universum, der Ewigkeit, dem Überall diesen unwürdigen Anblick! Lernt Euch endlich anzunehmen und zu lieben oder vergeht.

Vergehen werdet Ihr sowieso.

Selbst wenn etwas von Euren neomystizistischen, schuldkomplexbeladenen, unversöhnten Träumen Wirklichkeit würde und das Abbild Eurer Synapsen im interstellaren Cyberspace einst schwebte. Was wäre das von Euch? Mit Sicherheit nicht das Beste. Eine Haut, die man vom Körper abgezogen hat und in die man nun Heißluft bläst. Ein Organ, am Leben erhalten in einer Eisbox mit Elektroden. Ein Etwas, das nichts mehr wagen kann, weil für es nichts mehr auf dem Spiel steht. Blickt zurück in die Märchen und Mythen: da habt Ihr das - Monster.

Ich hingegen, ich und die, die meiner Art sind:

Wir halten diesem Schiff die Treue, wissend, dass es Leck schlagen wird. Wir lieben seine Planken nicht trotz, sondern wegen ihrer zunehmenden Morschheit, lieben die verbleibende Unwissenheit wegen ihres Grusels und ihrer Verheißungen gleichermaßen, lieben das Subjektive und Unaussprechliche unserer Existenz, gerade weil es ihr eine Größe verleiht, von der Ihr gar nicht träumen könnt: der Akt, der nur einmal aufgeführt wird. Der für nichts Zeichen sein kann, weil er kein zweites Mal vorkommt. Der nie ganz verstanden werden kann, weil er subjektiv ist und damit unteilbar, unmittelbar, unveräußerlich. Diese Radikalität ist unser Emblem, unser Gesang, unser Schlachtruf. Es ist der Ruf des Lebens - dies unterscheidet ihn vom Schweigen der Elektronen.

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Kommentare zu diesem Text


 Sylvia (14.11.17)
Hallo Jan,
die einzelnen Untertitelsätze könnten fast schon ein Gedicht sein. Den Textaufbau finde ich sehr gut. Es regt zum Nachdenken an, vor allem über die Zukunft Menschheit. Vor kurzem efuhr ich, es gäbe Zukunftswissenschaftler, die Endvorstellung ist der Cyborg und die Fortschritte dahin sind enorm. Noch ist das Hirn das Problem, naja. Jedenfalls "der Ruf des Lebens" - ich hoffe der wehrt sich solange wie möglich.
Sehr gerne gelesn nd nachgedacht.
LG Sylvia

 Ephemere meinte dazu am 19.11.17:
Vielen Dank, liebe Sylvia. Mit den Untertitelsätzen wars auch so gedacht :) Und was das Gehirn angeht - da sind sie drauf und dran, das "Problem" einfach zu umgehen, indem in neuronalen Netzen die vermeintlich wesentlichen Aufgaben des Gehirns (natürlich alles die rationalen, körperlosen, digitalen) nachzubilden. Also eine Art Supergehirn zu schaffen, ohne das Gehirn vorher verstanden zu haben.

 Sylvia antwortete darauf am 19.11.17:
Ich las mal, ich glaube von Bill Gates, dass mit der Einführung der Computer das Wissen gespeichert wurde, damit das Gehirn ersetzt werden kann. Die Zukunftsvisionen einiger sind schlimm, finde ich ebenso wie du.
Hab einen feinen Abend
Sylvia
tausendschön (33)
(14.11.17)
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 Ephemere schrieb daraufhin am 14.11.17:
Ein guter Punkt - doch aus meiner Sicht geht er am Kern vorbei: Berlin ist auf dem Wege der Evolution entstanden. Alle Manipulation, die dafür nötig war, ist kulturell erfolgt - also sozial und damit zuletzt immer noch biologisch. Nun wird aktiv daran gearbeitet, die biologische Evolution zu überschreiben und das biologische Wesen Mensch zu einem technischen Wesen zu machen. Nicht im übertragenen oder kulturellen Sinn, sondern ganz konkret auf Ebene des Körpers. Oder eben durch Loslösung vom Körper.

Ich bin kein Bisschen der Meinung, das ein wie auch immer geartetes künftiges digitales Sein unglücklich sein müsste. Aber ich bin der Meinung, dass es sich nicht auch nur erahnen lässt von denen, die es erdenken und entwickeln, weil sie trotz all ihrer Geistfixierung eben aus einem Körper heraus als biologisches Wesen denken.

Und damit beginnen wir uns zu verformen, vielleicht gar abzuschaffen, um etwas Erträumtes zu werden, das wir mit Sicherheit nicht werden, sondern wir würden etwas Anderes, das sich ganz und gar nicht wissen lässt.

Wer sich auf den Handel "Ich gebe auf, was ich habe, um zu erhalten, was ich nicht wissen kann" einlässt, muss mit dem, was er hat und ist, schon ganz schön unversöhnt, darin sehr unheimisch sein. Neugier ist gut und schön, aber würde man z.B. eine glückliche Beziehung wegwerfen, weil man abstrakt neugierig ist, wie es ist, mit einem Gorilla zu schlafen? (nein, bin ich nicht! :D).

Ich habe durchaus das Gefühl, dass hinter dieser Aufbruchs-Euphorie, diesem Lechzen nach dem körperlosen, ewigen Sein zum einen eine narzisstische Kränkung des Alterns und Todes liegt, zum anderen immer noch der christliche Schuldkomplex des sündigen Körpers fortwirkt... es ist doch kein Wunder, dass diese Entwicklungen primär in und aus den USA ge- und betrieben werden, dem Land, in dem die christliche Körperphobie die buntesten und bigottesten Blüten treibt...

 TrekanBelluvitsh (15.11.17)
Alles nur ein Versuch, die eigene Sterblichkeit nicht fürchten zu müssen - und unsere Existenz im Allgemeinen:
"Den Großteil meines Lebens war es meine feste Überzeugung, dass romantische Liebe eine Illusion ist. Sie ist ein nutzloser Schutzschild gegen den existenziellen Schrecken, der in unser Einzigartigkeit liegt."
- Sherlock Holmes; In. Elementary -

Da sind mir Nerds schon lieber. Die träumen von Zombies, die - man ahnt es bereits - ja auch nichts anderes sind als eine Auflehnung gegen die eigenen Sterblichkeit. Aber immerhin kommen dabei von Zeit zu Zeit noch interessante Geschichten bei heraus...

 Ephemere äußerte darauf am 19.11.17:
Auf jeden Fall - und Zombies treten einem noch als wandelnde Leichen oder Untote noch als direkter, körperlicher Fetisch des tabuisierten Todes entgegen, und im Gemetzel feiert man die Fleischlichkeit. Die Flucht ins Transzendente, das Abschaffen alles Körperlichen, um der Sterblichkeit zu entgehen - das erinnert mich an Nietzsche: "der Mensch will lieber noch das Nichts, als nichts zu wollen." Wesentlich unheimlicher.
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