Mein Bett als Treibgut im Meer.

Predigt zum Thema Realität

von  SunnySchwanbeck

Es ist auf einer Party zu sein und Gesprächen nicht folgen zu können, den roten Faden nicht mehr zu sehen, weil alles plötzlich schwarz weiß ist und du als einzige durch diesen Filter siehst. Es ist „Ich muss mal kurz raus.“ und auf dem Balkon alleine rauchen, bis die heiße Glut deine Fingerkuppen erreicht und du die Kippe fallen lässt.

Es ist früher gehen und Kapitulation in der Straßenbahn. Es ist alleine nach Hause laufen und die Musik so laut durch die Kopfhörer rauschen zu lassen, dass die Gedanken im Keim erstickt werden. Es ist ersticken.

Es ist Zuhause ankommen und nicht die Kraft haben sich abzuschminken, die Haare zu kämmen. Es ist das Brennen der Augen am nächsten Morgen und der abgestandene Geschmack von Bier und Aufgeben im Mund.

Es ist das liegen bleiben, das umdrehen, das wegsehen, es ist meine Mutter wie sie im Türrahmen steht, mich ansieht und fragt wie es weiter gehen soll. Es ist nicht weiter gehen, sondern stehen bleiben. Es ist mein Handy und unbeantwortete Nachrichten, weil ich nicht weiß was ich auf „wie geht es dir?“ und „wann hast du wieder Zeit für mich?“ antworten soll. Es ist Hilflosigkeit.

Es ist vergessen zu trinken und Kopfschmerzen, das Gefühl keinen Fuß vor den anderen setzen zu können. Es ist in der Schultoilette heulen und das kalte Wasser was man sich danach ins Gesicht spritzt. Es ist haltlos, es ist bodenlos und doch bist du angekettet.

Es ist Busfahren und aus dem Fenster starren, die Haltestelle verpassen und sich nicht darüber zu ärgern. Es ist warten. Es ist das ausgefallene Frühstück und das dreckige T-shirt das man überzieht, es ist grau.

Es ist die Konzertkarte an der Pinnwand und das Absagen kurz vorher, es ist versetzen, sich, andere, den Alltag. Es ist Luftanhalten und Schwindel, die Ärmel über die Hände schieben. Es ist Kette rauchen und mein Bett als Treibgut im Meer.

Es ist gezwungenes Mundwinkel hochziehen wenn man auf Familienfeiern ist und sich zusammenreißen muss, weil man aus dem Alter raus ist, in dem man das alles noch Pubertät nennen konnte. Es ist den ganzen Tag das selbe Lied hören, während man abwechselnd heult und schläft. Es ist schlafen.

Es ist kalter Kaffee auf deinem Nachttisch und Pizzakartons auf dem Boden, es ist der Geruch von Schimmel und der fehlende Ekel. Es ist deine unrasierte Achsel und der vollgestopfte Briefkasten, es ist das Klingeln des Telefons und das Durchatmen sobald die Stille einsetzt.

Es ist dunkel und kalt und ungemütlich, es ist eine Höhle im Winter, ohne Feuersteine und Holz, es ist der Versuch zu überleben ohne Werkzeug und Wärme, obwohl außerhalb der Höhle ein Lidl ist und ein Heizungsmonteur.

Es ist Metall in meinen Adern und der Magnet in meinem Bett, es ist ungekämmtes Haar und abgeplatzter Nagellack, es ist die Nägel in die Handrücken rammen, das Gefühl man hätte einen Tennisball im Halse stecken, es ist das Kribbeln in der Nase, kurz bevor man heult, es ist heulen.



Es ist nicht der Wunsch zu sterben, es ist der gescheiterte Versuch zu leben.

Das müde sein vom Anlaufnehmen, das Gefühl wieder sechs Jahre alt zu sein, auf dem fünf Meter Brett im Schwimmbad, runter zu schauen, das blaue Wasser und die Angst, Gänsehaut und Kälte,

sich umdrehen
und



gehen.

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Kommentare zu diesem Text


 Judas (04.12.17)
Wow. Am Anfang war ich noch so "hmm meh", als es um Party und alleine Rauchen ging, aber dann hat der Text mich mit jedem Absatz mehr hinein gezogen und wurde gegen Ende dann einfach unglaublich stark.

Eine treffende Beschreibung darüber, was es wohl bedeutet depressiv zu sein, sofern ich das als jemand beurteilen kann, der darunter nicht leiden muss, aber... so stell ich's mir vor.

 SunnySchwanbeck meinte dazu am 04.12.17:
vielen dank! das bedeutet mir sehr viel, ich hatte gehofft dass es menschen erreichen kann, die sowas (gottseidank) nicht kennen.

viel liebe,
s.

 Judas antwortete darauf am 04.12.17:
Wenn das deine Intention war, ist es dir wirklich sehr gut gelungen!

 Songline (13.01.18)
Es ist so eindringlich beschrieben, dass jedes Bild nachwirkt. Sehr starker Text!
Liebe Grüße
Song
Marjanna (68)
(13.01.18)
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 Dieter_Rotmund (21.06.18)
Hallo.

Ich verstehe schon, trotz zweimaligen Durchlesens desselben, den ersten Satz nicht und musste dann aufgeben.
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