Nachkriegsgeschichten. "Linkes Auge blau". Schlager der 40er und 50er Jahre

Bericht zum Thema Musik

von  EkkehartMittelberg

In den Nachkriegsjahren spielten Schlager eine größere Rolle als heute. Man hatte noch kein Fernsehen, und Höhepunkte der Unterhaltung waren Schlagerparaden im Rundfunk . So warteten Alte und Junge gespannt auf das damals bekannteste Schlager-Ranking, die „Schlagerparade“, die der NWDR wöchentlich vorstellte.
Zwei Schlager aus den 40er Jahren dominierten jahrelang die Charts: 1948 brachte Karl Berbuer zum Karneval den Trizonesien-Schlager heraus:

„Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien,
Hei-di-tschimmela-tschimmela-tschimmela-tschimmela-bumm!
Wir haben Mägdelein mit feurig wildem Wesien,
Hei-di-tschimmela-tschimmela-tschimmela-tschimmela-bumm!
Wir sind zwar keine Menschenfresser, doch wir küssen um so besser.
Wir sind die Eingeborenen von Trizonesien,
Hei-di-tschimmela-tschimmela-tschimmela-tschimmela-bumm!“
Der selbstironische Unterton des Schlagers traf das Zeitgefühl. Man empfand die Politik der Alliierten als Kolonialpolitik  („Eingeborenen“) und distanzierte sich gleichzeitig vom deutschen Wesen der Nationalsozialisten („Wesien“). Die Formulierung „Keine Menschenfresser“ muss angesichts der Barbarei des Dritten Reichs als zynisch angesehen werden. Aber man überhörte das, weil man wieder zu den zivilisierten Nationen zählen wollte (...küssen umso besser).
Konrad Adenauer teilte anlässlich einer Pressekonferenz am 19. April 1950 in Berlin mit, dass belgische Offiziere beim Abspielen des Songs aufgestanden seien und salutiert hätten, weil sie ihn in Ermangelung einer deutschen Nationalhymne für eben diese gehalten hätten. (Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Trizonesien-Song)
Der andere Schlager waren die „Capri-Fischer“, die der Sänger Rudi Schurike 1949 in Westdeutschland zum Evergreen machte. Ich setze den romantisierenden Text als bekannt voraus. Er verstärkte die Sehnsucht der Deutschen in den 40er und 50er Jahren nach Italien, und seine Beliebtheit provozierte ungemein viele nachahmende Schlagertexte, https://de.wikipedia.org/wiki/Capri-Fischer, von denen ich hier nur einige besonders erfolgreiche erwähne: "Addio Donna Grazia", „Florentinische Nächte“,"Arrividerci Roma", "Mandolinen und Mondschein", "Tiritomba", "Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein", "Volare".
Die Italienschlager waren Ausdruck eines allgemeinen Fernwehs, dem auch Schlager mit exotischen Zielen in unerreichbarer Ferne geschuldet waren. Die Titel sind Legion, und ich nenne hier nur die bekanntesten, zum Beispiel „Wenn der Hein in Rio ist“ (1949, Musik von Kurt Feltz), „Steig in das Traumboot der Liebe, fahre mit mir nach Hawaii“ (1956, Songtext von Catarina Valente), „Die Gitarre und das Meer“ (1959, Musik von Lotar Olias, gesungen von Freddy Quinn). “Nimm mich mit Kapitän auf die Reise“ (1951, Text von Fritz Graßhoff, gesungen von Hans Albers und Freddy  Quinn) fällt durch seinen sorgfältigen lyrischen Text aus dem Rahmen der üblichen Schlager-Stereotypen.
Diesen weltoffenen Schlagern stehen andere gegenüber, die die unpolitische biedermeierliche Gartenlauben-Mentalität der Fünfziger Jahre spiegeln. Auch hier beschränke ich mich auf wenige Beispiele aus Hunderten: „Weißer Holunder“ (1951, gesungen von Gitta Lind), „Das alte Försterhaus“ (1954, Friedel Hensch und die Cyprys), „Köhlerliesl“ (1957, gesungen von Die Heimatsänger) und die Parodie auf diese Schlager „Ein Häuschen mit Garten“ http://lyrics.wikia.com/wiki/Wolfgang_Neuss_%26_Wolfgang_M%C3%BCller:Ach,_Das_K%C3%B6nnte_Sch%C3%B6n_Sein
Ich bin weit davon entfernt, von Schlagern, schon gar nicht von denen der restaurativen 50er Jahre, Emanzipation zu erwarten. Aber es sollte erlaubt sein, nach Beispielen zu fragen, die durch thematische Abweichungen vom Mainstream Liebe und Heimweh oder durch witziges Spiel mit dieser thematischen Schlager-Tradition auffielen. Ich höre heute noch gerne:“Ham Se nicht ne Braut für mich“ (Bully Buhlan,1950), „Pack die Badehose ein“ (Cornelia Froebess 1951), „Ja, Max, wenn du den Tango tanzt...“ (Friedel Hensch und die Cyprys, 1951), „Das machen nur die Beine von Dolores“ (Gerhard Wendland, 1952), Die süßesten Früchte fressen nur die großen Tiere“ (Leila Negra und Peter Alexander, 1952), „Spiel mir eine alte Melodie“ (Rita Paul, 1953), „Ich möcht' auf deiner Hochzeit tanzen“ (Bibi Johns und Paul Kuhn, 1955), „Chanson vom Wirtschaftswunder“ (Wolfgang Neuss 1956, zum Text https://deutschelieder.wordpress.com/2013/08/07/guenter-neumann-lied-vom-wirtschaftswunder/), „Kriminal-Tango“ (Hazy Osterwald Sextett, 1959), „Linkes Auge blau“  (Heinz Erhardt,1959), dazu https://www.youtube.com/watch?v=klj0dztppbU, „Das hab ich in Paris gelernt“ (Chris Howland, 1959).
Ich bin sicher, dass Sie meine Ausführungen lieb und nett finden, aber gerade Ihre Lieblingsschlager aus dieser Zeit vermissen. Wenn Sie Näheres darüber wissen wollen, werden Sie hier fast lückenlos fündig. https://www.was-war-wann.de/1900/1950/schlager/schlager-1959.html
© Ekkehart Mittelberg, November 2017

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Kommentare zu diesem Text


 Didi.Costaire (29.11.17)
Schön war die Zeit...
Zumindest wesentlich besser als die davor.
Liebe Grüße, Dirk

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.11.17:
Danke, Didi. Das meinen Freddy Quinn und ich auch. Zumindest die Schlager der Zeit konnten sich hören lassen.
Liebe Grüße
Ekki
Graeculus (69)
(29.11.17)
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 EkkehartMittelberg antwortete darauf am 29.11.17:
Merci, Graeculus. Ich habe Pa Paloma" deswegen nicht erwähnt, weil es, um 1880 entstanden, schon vor Freddy Quinn mehrfach von anderen interpretiert wurde und eigentlich nicht typisch für die 50er Jahre ist.
Graeculus (69) schrieb daraufhin am 29.11.17:
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 TrekanBelluvitsh (29.11.17)
Dass das betont Unpolitische groß in Mode war, ist durchaus erklärbar - wenn man annimmt, dass irgendetwas unpolitisch ist. Verdrängung jeder Art ist da nur ein Grund. Dennoch würde ich meinen, dass das musikalische eher einen Restauration von Altem war. Aber direkt nach dem Krieg war der größte Teil der Bevölkerung bestimmt noch nicht bereit für Rock 'n Roll.

 EkkehartMittelberg äußerte darauf am 29.11.17:
Merci Trekan. Ich widerspreche dem durchaus nicht, dass viele Schlager der 50er Jahre restaurative Elemente enthalten.
Der RocknRoll spielte in den 50er Jahren ab 1956, beginnend mit Bill Hailey's "Rock around the clock" eine erhebliche Rolle.
Die Mode mit Petticoats bei den Damen, Röhrenhosen und Lederjacken bei den Herren, wurde auch darauf abgestimmt.
Sätzer (77)
(29.11.17)
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 EkkehartMittelberg ergänzte dazu am 29.11.17:
Danke, Uwe, aber ich verstehe nicht ganz. Hat Chris Howland als Diskjockey keine Schlager aufgelegt?
Sätzer (77) meinte dazu am 29.11.17:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.11.17:
Wahrscheinlich verstehen wir den Begriff Schlager unterschiedlich, Uwe. Ich würde die Songs von Elvis, die ich sehr mag, alle als Schlager bezeichen. Das gilt auch für einige Kompositionen von Glenn Miller.
LG
Ekki
Sätzer (77) meinte dazu am 29.11.17:
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 loslosch (29.11.17)
die capri-fischer waren schon während des WK II modern. die nazis waren sehr ungehalten darob. kein schlechter song, auch sprachlich, wenn bloß nicht der peinliche refrain wäre: bella bella bella marie, bleib mir treu, ich komm zurück morgen früh. hahaha.

zu tiritomba: schon anfang der 1930er. unvergessen die stimme von joseph schmidt:

 hier.

Kommentar geändert am 29.11.2017 um 10:19 Uhr

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.11.17:
Danke, Lothar, du erinnerst ja immer mal wieder an Joseph Schmidt. Ich mag ihn auch sehr.

 TassoTuwas (29.11.17)
Ja, immer wieder gern gesehen, äh... gehört wollte ich schreiben;
"Die Beine von Dolores"
Herzliche Grüße
TT

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.11.17:
Merci, Tasso. Mit diesem Schlager hahen wir viel Spaß gehabt. Ein Kollege hat dazu in Shorts einen tahle-dance hingelegt und wir haben den Text inbrünstig gesungen.
Herzliche Grüße
Ekki
Sinshenatty (53)
(29.11.17)
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Gerhard-W. (78) meinte dazu am 29.11.17:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.11.17:
Grazie, Sin. Ja, das Lauschverhalten war damals national beschränkt. Bill Hailey, Elvis und Doris Day z. B. waren Ausnahmen.
Ist es übrigens heute noch, wenn man bedenkt, wie wenig italienische oder gar französische Schlager unsere Massenmedien übernehmen.
Die Jazz-Szene jedoch war schon lange vor den 50er Jahren kosmopolitisch.
LG
Ekki

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.11.17:
Merci, Gerhard,
mir ging es ähnlich wie dir. Zwar habe ich mich damals ernsthaft mit Jazz beschäftigt, aber man konnte doch den überall präsenten Schlagern zu dieser Zeit gar nicht aus dem Wege gehen, und da alle sie hörten, gaben sie Anlass zu verbindender Kommunikation.
LG
Ekki

 AZU20 (29.11.17)
Sing noch mal! Da stand ich auf dem Tisch in der Kneipe und schmetterte die Eingeborenen von Trizonesien. LG

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.11.17:
Danke. Das lässt mich schmunzeln, Armin. Ich hätte mich als Jungtürke glatt neben dich gestellt.
LG
Ekki

 AZU20 meinte dazu am 29.11.17:
Schade, dass es dieses Duett nicht gegeben hat. LG

 Habakuk (29.11.17)
Zeitüberschreitend mit ewiger Relevanz.
[exturl=http://www.youtube.com/watch?v=uQQm7bKJskM
]externe Links[/exturl]
;-)

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.11.17:
Danke Habakuk, von wegen zeitüberschreitend, ich kann mich an einige Situationen nach den 50er Jahren erinnern, in denen dieses Lied zitiert wurde.
LG
Ekki
ZUCKERBROToderPEITSCHE (60)
(29.11.17)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.11.17:
Merci, ZoP, dem Hinweis auf die Steinzeit kann man nur zustimmen. Freilich haben damals viele Frauen wiederholt Adenauer und damit die Verlängerung der Steinzeit gewählt.
Liebe Grüße
Ekki
Sabira (58)
(29.11.17)
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.11.17:
Merci, liebe Sabira, meine Eltern ließen nichts außer klassischer Musik gelten. Deshalb war es auch ein bisschen Trotz, dass ich mich für Schlager interessierte. Ich spielte sie neben der Klassik auf dem Klavier und suchte nach begleitenden Akkorden. So merkte ich bald, dass ich bei anspruchsvollen Songs mit Tonika, Subdominante und Dominante nicht zurecht kam.. Über die Schlager lernte ich einiges von der Harmonielehre.
Liebe Grüße
Ekki

 GastIltis (29.11.17)
Hallo Ekki, ich vermisse Ivo Robic und „Morgen“ und natürlich Peter Kraus! „Sugar Baby“ oder „Wenn Teenager träumen!“ Alles noch in den 50ern. Oder Ted Herold. Oder „Der lachende Vagabund“ von Fred Bertelmann (57). Klingen z.T. heute noch! LG von Giltis.

 princess meinte dazu am 29.11.17:
Und  hiermit konnte man mich entzücken. Damals, wohl gemerkt!

Herzliche Grüße
Ira

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.11.17:
Merci, Giltis, ich habe damit gerechnet, dass meine Leser noch einige Titel ergänzen, wie du es jetzt gemacht hast. Aber du verstehst bestimmt, dass immer einige Optonen offen bleiben, egal, für welche Kriterien der Auswahl man sich entscheidet.
LG
Ekki

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 29.11.17:
@ Princess: Gedacht habe ich schon daran, liebe Ira, aber ich musste mich an den selbst gesteckten Rahmen "Fünfziger Jahre" halten; denn der Baby Sittin' Boogie von Johnny Parker wurde erst 1961 als deutsche Version von Ralf Bendix interpretiert..
Doch wie schön, dass du die Regel durchbrochen und diesen herrlichen Song den Lesern wieder in Erinnerung gebracht hast. Grazie.
Herzliche Grüße
Ekki

 harzgebirgler (30.11.17)
das ruft eine zeit ins gedächtnis zurück
die kriegen haben selbst heute noch viele im blick.

herzliche abendgrüße
henning

 EkkehartMittelberg meinte dazu am 30.11.17:
Merci, Henning, die braven Schlager der 50er Jahre sind ein Reflex auf die Kriegserlebnisse. Man wollte vergessen.
Herzliche Grüße zurück
Ekki
Fabi (50) meinte dazu am 06.12.17:
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 EkkehartMittelberg meinte dazu am 07.12.17:
Fabi, ich danke dir für deine Offenheit.
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