Tränendes Herz

Kurzprosa zum Thema Liebe, lieben

von  Sylvia

Das Gehölz unter seinen Füßen knackt bei jedem Schritt. Wachsam schaut er in jede Richtung. Zwischen zwei Ahornbäumen entdeckt er einen Sonnenhut. Auf Zehenspitzen schleicht er zum Baum und versteckt sich hinterm Stamm. Er riskiert einen kurzen Blick auf eine weitläufige Wiese. Das ist Iris, erkennt er geschockt. Viele, viele Jahre hatte er sie nicht mehr gesehen, doch sie war kaum verändert. Wie eh und je kann er seine Augen nicht von ihr lassen. Wie oft sehnte er sich nach ihrem Geruch, nach ihrer Weichheit, ihrer Zartheit und ihren unglaublichen Augen. Solche Frauenaugen waren ihm nie wieder begegnet. Wie würde sie reagieren, wenn sie ihn sieht, grübelt er besorgt. Vielleicht schmeißt sie sich auf den Boden oder, was noch schlimmer wäre, sie verliert ihren Kopf. So ein Mist, flucht er lautlos, er kann sie doch nicht einfach anquatschen, als sei nie irgendetwas vorgefallen und wie soll er sich aus dieser misslichen Lage befreien? Er ist doch auch nur ein Getriebener, der ihr wehtun wird. Einmal noch zu ihr schauen, genehmigt er sich und stibitzt seitlich am Baumstamm vorbei. Sie ist weg! Herrjemine, ihr ist etwas zugestoßen. Besorgt verrenkt er sich, um besser sehen zu können. Auf einmal entdeckt er Iris im Gras liegend. Um sie herum ist alles rot. Blutgras, schießt ihm durchs Gehirn. Flucht, Reißaus. Flüchte, spornt er sich an. Flucht? Kein guter Plan, das wäre unterlassene Hilfeleistung. Unkontrolliert fröstelt er, wobei er sich ziemlich hilflos fühlt, als er ein Glöckchen hört. Natürlich ist ihre blöde Freundin in der Nähe, doch er will nicht bösartig denken. Im Grunde genommen rettet sie ihn gerade, ohne es zu wissen. Aber mit der fetten Henne setzt er sich nicht auseinander, nimmt er sich vor und tritt willig seinen Rückzug an. Bei jedem Schritt knackt das Gehölz unter seinen Füßen.
»Was soll das? Nun mach schon«, flüstert sein Bruder.
»Nein, ich bin zu früh. Zwei Wochen warte ich noch«, verteidigt er sich.
»Zögere es nicht heraus. Du hast keine Wahl«, erinnert der Bruder.
»Ich kann woanders anfangen«, widerspricht er.
»Du bist so weich wie deine Zeitlosen«, spöttelt der Bruder.
»Kann ja nicht jeder so hart sein, Winter. Mir tränt das Herz«, entgegnet er.
»Darüber reden wir später. Jetzt mach hinne, Herbst, ich bin verabredet«, drängt Winter.

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Kommentare zu diesem Text

LottaManguetti (59)
(01.12.17)
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 Sylvia meinte dazu am 01.12.17:
Präsens wirkt manchmal auch irritierend. Danke für Dein Lob. Hast du die Stauden/ Blumen sofort erkannt? :)

LG Sylvia
LottaManguetti (59) antwortete darauf am 01.12.17:
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 Sylvia schrieb daraufhin am 01.12.17:
Ich verstehe dich
LG Sylvia

 EkkehartMittelberg (01.12.17)
Du hast die Allegorien wunderschön eingesetzt.
LG
Ekki

 Sylvia äußerte darauf am 02.12.17:
Ich danke dir für dein Lob :)
LG Sylvia
Sabira (58)
(01.12.17)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Sylvia ergänzte dazu am 02.12.17:
Danke dir, liebe Sabira. Es war ja nicht leicht herauszufinden, welche Pflanzen gemeint sind :)
LG Sylvia

 harzgebirgler (01.12.17)
es steht ja jede jahreszeit
alsbald zur ablösung bereit.

abendgrüße
harzgebirgler

 Sylvia meinte dazu am 02.12.17:
Manchmal will einer der Brüder nicht,
dann sitzen die andren zu Gericht.
:)
Feine Abendgrüße
Sylvia

 AZU20 (02.12.17)
Sehr intensiv. Zunächst allerdings in die Irre geführt. LG

 Sylvia meinte dazu am 02.12.17:
Das ist gut :))
Danke dir und einen schönen Abend
Sylvia

 juttavon (03.12.17)
Schön, ...auch als Naturpädagogin gerne gelesen

HG Jutta

 Sylvia meinte dazu am 04.12.17:
Das freut mich, Jutta.
Hab vielen Dank :)
LG Sylvia
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