Es mag ja sein, dass stiller Glanz die Welt wie eine Glaskuppel überwölbte. Da war aber keine Glaskuppel. Kinderaugen strahlten. Die Augen der Erwachsenen wirkten eher matt und müde; in ihnen spiegelte sich nur der Kerzenschein.
Annalena hatte ihren neuen Mantel von oben bis unten mit Zuckerwatte bekleckert. Die Mutter schrie laut auf und schimpfte, als sie das Malheur entdeckte. Die Glaskuppel barst und Tausende kleinster Scherben rieselten vom Himmel. Da war aber kein Glas, sondern ein Regenschauer. Kinderaugen weinten.
Und dann raste auch noch der LKW in den Weihnachtsmarkt. Ein Schrei gellte aus der Menge himmelwärts. Da war freilich nicht nur ein Schrei; es waren Schreie, die aber klangen wie ein Schrei. Tote und Verletzte blieben zurück und viel Zerstörung.
Annalenas Mutter drängte sich durch die Menge, das Kind hinter sich her zerrend, um bei der Polizei eine Zeugenaussage zu machen, obwohl sie nichts gesehen hatte. Aber sie war dabei gewesen. Dieser Umstand erfüllte sie noch wochenlang mit einem eigenartigen Stolz. Sie erzählte jedem, dass sie Tote gesehen hatte, obwohl auch das nicht stimmte.
Und wo war Gott einmal wieder gewesen, als es galt, Hilfe zu leisten und die Gläubigen zu beschützen? (Die Frage, ob Weihnachtsmarktsbesucher gläubige Christen sind, sei dahin gestellt.)
Dieser wunderliche Kerl, an den alle – Täter wie Opfer, Moslems wie Christen und Juden – glaubten, hockte hilflos bei den Toten, um sie in Empfang zu nehmen. Nur Kinderaugen haben ihn gesehen.
Annalena glaubte fest an das, was sie gesehen hatte, nämlich den Weihnachtsmann bei den Toten. Als die Mutter das gezuckerte Mäntelchen noch vor Weihnachten zur Reinigung brachte, erzählte sie der Angestellten, Annalena habe sich angesichts der vielen Toten vor Schreck bekleckert. Da wagte das Kind, endlich zu fragen: „Kommen die jetzt in den Himmel?“
