...durch seine große Liebe, mit der er uns geliebt hat ...

Kurzprosa zum Thema Biographisches/ Personen

von  tulpenrot

Fast sechshundert Kilometer trennen uns von einander. Deshalb telefonieren wir sehr häufig. Eines Abends sang sie mir diesen langen, verschachtelten Satz am Telefon vor.

Gott, der da reich ist an Barmherzigkeit,
durch seine große Liebe, mit der er uns geliebt hat,
die wir tot waren in Sünden, hat er uns mit Christus lebendig gemacht,
durch seine große Liebe, mit der er uns geliebt hat,
zu erweisen überschwänglichen Reichtum seiner Gnade durch Jesus Christus,
durch seine große Liebe, mit der er uns geliebt hat. (Liedtext nach Eph. 2,4-7, MS: Erfurt 1541, Gotha 1648, Paul Ernst Ruppel 1970)


Kaum zu verstehen, dachte ich im ersten Moment. Doch dann hat sich ein Liedteil in mir eingenistet, über Monate.
„… durch seine große Liebe, mit der er uns geliebt hat …“, vielleicht deswegen, weil er im Lied wiederholt wird . Ich suchte das Lied im Gesangbuch und las den Text nach. Und dann prägte sich der Liedanfang zusätzlich ein:
„Gott, der da reich ist an Barmherzigkeit..“
Wie ein fortwährendes Echo begleitet es mich nun seit geraumer Zeit.
„Gott, der da reich ist an Barmherzigkeit ...  durch seine große Liebe, mit der er uns geliebt hat ...“
Und die Stimme, die es gesungen hat, bleibt im Ohr. Sehr zart, ganz verhalten, voller Sehnsucht nach dem, von dem sie da sang. In Ehrfurcht vor dem Gott, dem sie dienen möchte, trug sie den Text vor. Hingabe lag in ihrer Stimme. Eine besondere Zärtlichkeit, ihre ganze seelische Zerbrechlichkeit und Schwachheit waren darin eingebettet. Meine jüngste Schwester sang, trotzdem, von der unendlichen Liebe Gottes, mit der Gott sich uns entgegenliebt. Es ist, als ob sie mir eine Botschaft, eine Verheißung zugesungen hat.
„Gott, der da reich ist an Barmherzigkeit … durch seine große Liebe, mit der er uns geliebt hat…“
Ich bin immer noch tief berührt. Fast möchte ich jetzt weinen in Erinnerung an ihren Gesang. Doch ich halte den Atem an, um nichts zu zerstören. Ich bleibe still und werde innerlich weggetragen in eine Kammer, in der Worte keine Rolle mehr spielen, nur tiefes Verstehen.


Anmerkung von tulpenrot:

Empfohlen von:
Habakuk, AZU20, Festil, fragilfluegelig, Sanchina, Dienstag.
Danke!

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