Alltägliches

Tagebuch zum Thema Zeitgeist

von  Soshura

Herr Rückert, Familienvater, hauptberuflich tätig bei einem amtlichen Kurznachrichtendienst, rief am 2 März einen Klempner an, weil sein Bad verstopft war. Das braune Wasser lief einfach nicht mehr aus der Badewanne ab. Nach einigem Hin und Her am Telefon kam der Monteur, und noch ein paar Minuten später war der Abfluss wieder frei. In der Geruchsbremse hatten sich einige Köttel gesammelt, und der Klempner klärte den Mann darüber auf, dass dies bei der Nutzung billigen Kots durchaus auftreten kann. Es sei einfach nicht auszuschließen. Er bot der Familie eines dieser nichtrostenden Siebe an, welche durch ihre besondere Konstruktion trotz der klitzekleinen Löcher das Wasser durchließen und zugleich die Köttel zurückhielten. Dazu gab es noch die passenden Sammeltütchen samt Schäufelchen. Weil Sondermüll. Die Installation war denkbar einfach. Nur blöd, dass genau in dieser Badewanne, als eine aus tausend, die Paßform nicht auf den Abfluss passte. Nur gut, dass der Monteur das Problem kannte und zugleich auch Ersatz dabei hatte. Alles in allem: 125,99 €. Es war ein Sonntag. Allein schon dies konnte Herrn Rückerts gute Laune nicht trüben. Schließlich war er ja nur einer unter vielen.

Der Mann, welcher die Kundenpost der Firma "Pfiffig" seit der Rückrufaktion des neuen Produkts "Harry" zu bearbeiten hatte, las gelangweilt die Reklamation des oben genannten Vamilienvaters Rückert zu dem Vorfall mit den Kötteln und den Klempnerkosten. Pfiffig, als Firma, war im Allgemeinen sehr froh, als der öffentliche Shitstorm über massenhaft durch Scheiße verstopfte Badewannenabflüsse nach einigen Tagen endlich wieder abflaute. Ausländische Angestellte gab es schon seit dem Moment nicht mehr, als die örtliche Presse von einem Terrorverdacht sprach, der nun untersucht würde. Der Kundensachbearbeiter drückte den grünen Knopf, der schon vor langer Zeit den Genehmigt-Stempel ersetzt hatte, und hatte das Problem, dass er in Gedanken ständig hin und her sprang. Einerseits war es ihm unerklärlich, wie es passieren konnte, dass "Köttel-Harry" 30 Tage zu früh auf den Markt gekommen war, und andererseits versuchte er sich zu versinnbildlichen, wie schön es wäre, wenn auch er endlich statt der stupiden Knöpfe die neue Nicktechnik an seinem Schreibtisch installiert bekommen würde. Natürlich war ihm bewußt, dass "Harry" mit der Mutterfirma abgestimmt war, die nicht nur den Markt für Haarscheiße, sondern auch den für den speziellen Kopfaufsatz beherrschte, den diejenigen brauchten, welche nicht über den Luxus verfügten, dass andere sie damit ordentlich einseiften. Dieser Markt war verdammt groß, das wußte auch der Kundenpostsachbearbeiter. Wie sonst hätte es sein können, dass es eine gesetzliche Verordnung über die Beschaffenheit, Mindestausstattung und Benutzung der "Fäkalhaarschutzvorrichtung für jedermann" gibt. Und dass nach der 14. Änderungsanpassung ein Sieb ab dem 1. April diesen Jahres zwingend vorgeschrieben war. Selbst daran schuld, wenn "Köttel-Harry" zum 1 März rauskam, das konnte ja nur schiefgehen. Und ja, ohne Sieb verstopfen Köttel nun mal den Abfluss. Was er nicht wusste, war die Tatsache, dass es später sich herausstellen sollte, dass es - kaufmännisch gesehen - doch kein Fehler war. Weder die verfrühte Markteinführung, noch die Anreicherung mit minderwertigen Kötteln. Gerüchte dazu wurden seitens Pfiffig grundsätzlich nicht kommentiert.

Pfiffig-intern lief eine Untersuchung des Vorfalls unter Beteiligung des Betriebsrates. Einer der Hauptverdächtigen, ein gewisser Hollmann, der schon seit zwei Jahren die Nicktechnik in seinem Schreibtisch installiert hatte, schien ausweglos in einer Sackgasse. Als sich der Kundenpostsachbearbeiter daran erinnerte, lächelte er. Kurz darauf war der Deal mit Hollmann perfekt. Er bekam dessen Nicktechnik und Hollman von ihm eine Kopie eines amtlichen Kurznachrichtentweets zum Inkrafttreten des obligatorischen Siebs bei Anwendung der Fäkalhaarschutzvorrichtung mit dem Datum vom 1. März. Hollmann war gerettet. Die Firma selbst hatte trotz alledem kurzfristig mit starken Einbußen zu kämpfen, da die aus der Rückrufaktion entstandenen Kosten, wie prognostiziert nicht von der firmeneigenen Haftpflichtversicherung gedeckt waren. Irgendwer hatte den Passus nur ungenügend interpretiert, dass Schadensersatzansprüche gegen die Assekuranz nicht ausgezahlt, sondern verrechnet würden. Mit zukünftigen Beiträgen.

Der Staatsschutz nahm einige Tage später einen Mitarbeiter eines amtlichen Kuznachrichtendienstes unter Terrorverdacht fest. Konkreter Anklagepunkt war die aktive Manipulation eines Datums zum Inkrafttreten der Siebpflicht für Fäkalhaarschutzvorrichtungen. Sein Name ist unerheblich, doch interessant ist, dass jener der Vorgesetzte Rückerts war, dem dieser übrigens auf den Posten folgte. Was übrigens Rückerts Frau dazu brachte, die langjährige Affäre mit dessen ehemaligem Vorgesetzten sofort zu beenden und wieder mit Papa zu schlafen. Außerdem wird Mama im Sommer in den Vorstand von Pfiffig wechseln, nachdem die Siebherstellerfirma, bei der sie vorher angestellt war, durch die Mutter von Pfiffig aufgekauft wurde.

Bettina Rückert, 17, im Mai

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Kommentare zu diesem Text

ZUCKERBROToderPEITSCHE (60)
(17.12.17)
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 Soshura meinte dazu am 18.12.17:
Ich war wohl irgendwie abwesend. In Gedanken sozusagen.

Danke Dir, liebe Grüße
Peter
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