Ein bisschen fettleibig & ein bisschen arm

Gedanke zum Thema Gesellschaftskritik

von  Remy

Wenn man morgens in den Briefkasten schaut, einen Brief von Vodafone entdeckt, weiß man, heute wird kein guter Tag. Man rechnet mit einer Mahnung, aber man erhält lediglich dieselbe Werbeanzeige, die man bereits zum zehnten Mal zugeschickt bekommen hat. „Fernsehen der Extraklasse – zum sensationellen Preis“ heißt es und ich denke mir, wenn mich heutzutage jeder Werbebetreiber ausspäht, meine Daten heimlich klaut, warum bekomme ich, Gott verdammt, diese beschissene Werbung, wenn ich seit acht Jahren keinen Fernseher besitze und es mir völlig widerstrebt, mir einen anzuschaffen, um mir verblödete Kackscheiße im TV angucken zu können!
Vor ein paar Wochen zitierte u.a. die Süddeutsche den Chef von Pro Sieben Sat 1 Thomas Ebeling mit den Worten, „[e]s gibt Menschen, ein bisschen fettleibig und ein bisschen arm, die immer noch gerne auf dem Sofa sitzen, sich zurücklehnen und gerne unterhalten werden wollen“ und trotzdem gibt es keinen Aufschrei, stattdessen werden weiterhin die Privatsender geschaut, vielleicht auch weil man sich in seinem Selbstbildnis lediglich bestätigt fühlt und man glücklich ist, dass jemand endlich einem eine eigene Identität gegeben hat. Sigmar Gabriel kann nun offiziell die Debatte um eine Leitkultur beenden, wir haben uns gefunden!
Nun möchte ich aber die Welt vergessen, indem ich auf mein eigenes Leben blicke und was sehe ich, ich sehe nichts -  was mich erheitert, alles regt mich auf, ich hasse und verachte Zyniker und trage dabei dieselben Schuhe. Mich regen meine desinteressierten Kommilitonen auf; mich regt es auf, wenn zukünftige Lehrer gezwungen werden müssen, einen Text vorzulesen und ihn schließlich so vorlesen, als wären sie nicht gebürtige Deutsche, sondern hätten Deutsch als Fremdsprache mit Mitte vierzig gelernt und daher verständlicherweise Probleme bei der Aussprache, bei der richtigen Intonation der Wörter, aber es ist nicht der Fall, in ihrer Stimme klingt nichts Klangvolles mit, außer das Desinteresse am Fach und die Leblosigkeit ihres eigenen Lebens und diese zukünftigen Lehrer werden auf meine zukünftigen Kinder losgelassen, auch wenn losgelassen hier das falsche Wort ist, da keine Bewegung, sondern nur Stagnation zu erkennen ist. Jedes Mal würde ich am liebsten ganz laut schreien, aber ich kann es nicht, weil es gesellschaftlich verpönt ist, in geschlossenen Gebäuden spontan loszuschreien, weil sonst jeder checken müsste, ob noch genug Geld auf dem Guthabenkonto ihres Smartphones ist, um die Männer in weiß anzurufen.
Und so kanalisiere ich meinen Frust und meine Verzweiflung jeden Abend durchs Schreiben und erhoffe mir darin Erlösung zu finden. Immerhin hilft es mir, meine innere Ruhe und mein Gleichgewicht beizubehalten. Schreiben scheint eine altmodische Form des populären Yogas zu sein und spiegelt auch mein altmodisches Gemüt bestens wieder. Dennoch bleiben die Gedanken, dass morgen ein weiterer Tag auf mich wartet, dessen Ablauf mich stressen möchte. Deshalb bleibt mir nichts anderes übrig, als darüber nachzudenken, wie ich meinem Leben etwas Positives einflöße, wie ich es schaffe, mir etwas vorzunehmen, auf das ich mich freuen kann; aber einen konkreten Plan habe ich noch nicht, deshalb schreibe ich jeden Tag weiter, bis mir etwas Gescheites einfällt.

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Kommentare zu diesem Text

matwildast (37)
(18.12.17)
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 Remy meinte dazu am 18.12.17:
Danke für den Kommentar, für das Lesen und für die Wortschatzerweiterung, matwildast! :)
PS: Ihr Steckbrief beweist, ich sollte ihn folgen, immerhin kommen sie aus Frankreich, mögen Musil und Hoffmann. LG.
matwildast (37) antwortete darauf am 18.12.17:
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 princess (18.12.17)
Hach, ich sehe den Titel deiner Memoiren in ungefähr 30 oder 40 oder 52 Jahren bereits vor mir: Als ich mich ins Leben schrieb. Die Leiden des jungen R. Oder so.

Liebe Grüße
princess

 Remy schrieb daraufhin am 19.12.17:
Dieser Kommentar hat sehr dazu beigetragen, meine gute Laune zu heben, Dankeschön! :) LG

 EkkehartMittelberg (18.12.17)
Das könnte zum Psychogramm für KaVau ausfgerufen werden: weiter schreiben, bis einem etwas Gescheites einfällt.
Gruß
Ekki
9miles (53) äußerte darauf am 18.12.17:
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 Remy ergänzte dazu am 19.12.17:
Ich weiß leider nicht, was unter "KaVau" zu verstehen ist, aber sicherlich etwas Amüsantes. Danke für den Kommentar und das Lesen! LG

 Isensee (16.03.18)
Geeignet für Menschen die, während Andere besoffen und heiter "Griechischer Wein" grölen, vorne im Bus sitzen und Nebel aus Bier und Speichel atmen. Für die nächsten sieben Stunden auf der Fahrt an den Balaton.
Du bist klug genug um selbst zum Alkohol zu greifen, singst im besten Fall mit und im Schlechtesten muss wegen Dir der Bus anhalten. Es ist so ausgeartet, dass sie dich an Raststätte vergessen haben. Zum ersten Mal wirklich alleine.
Auf einer Raststätte an der A2.
Die Monotone Autobahn rauscht dir in die Ohren und das Einzige an dass du dich erinnerst ist eine komische Melodie "von alten Häusern und jungen Frauen, die alleine sind".
Ja, du hast dich in diesem Bus verliebt und es hat dich so erwischt, dass du nun an der A2 stehst.
Das ist Geschehen.
Trümmer verloren, die Lastkraftwagen durchbrechen das Monotone Rauschen in deinem Ohr und du bist dankbar dafür.
Oder.
Du erinnerst dich noch an das Gespräch deiner Eltern "Da fahren Junge Pädagogen mit"
Vor drei Stunden wurdest du deines Hemdes wegen mit "Ach, du bist also der Spast" von einem Solchen begrüßt.
"Ach sie sind der Pädagoge" leider fällt dir das erst drei Stunden später ein.
Glücklich darüber, nüchtern und in irgendetwas versunken vortäuschend, dass Antje mit dem Pädagogen beschäftigt ist und er nicht mit deinem Hemd.
Doch du bist mutig, gehst mit deinem Hemd in das Geschehen und sagst "Du bist interessant, ich würde gern mit dir reden"
Dein Hemd hast du zwar noch, aber menschlicher Kontakt funktioniert nur noch mit dem Busfahrer und die Reise geht weiter.

Ich bin einer davon und die Geschichte hat mir sehr gefallen,.
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