Auf einen Sprung

Text

von  princess

Als er an jenem Januarmorgen
bei minus zwei Grad in der Sonne
die oberste Plattform des 10 Meter Sprungturmes erreicht hatte
das wasserleere Becken tief unter sich sah
schmuddelig blau
mit diesem trübsinnigen Laubhaufen in der rechten Ecke

als er Anlauf nahm um zu springen
in seine Freiheit zu springen
sauber geduscht
und
bekleidet mit einer Badehose
wie es sich gehört im öffentlichen Freibad

da rüttelte sie an der Leiter
wisperte und weinte und flehte
er möge es nicht tun
bitte nicht tun
ihretwegen nicht tun
sie wolle doch leben
mit ihm leben

unbesonnen
machte ihn ihr Sirenengesang
verdammt unbesonnen

hastig stieg er auf sie hinab
legte am Beckenrand sein Begehren über sie
und fühlte

fühlte so etwas wie Liebe
wenn es ihn nur nicht angekotzt hätte
so etwas wie Liebe zu fühlen

vor allem jetzt
da die andere Aufgabe seiner Zuwendung bedurfte

erneut also erklomm er den Sprungturm
um sich beherzt wie Odysseus
nicht abhalten zu lassen

von
keinem
betörenden
Vogelweib
jemals
abhalten
zu
lassen

sich an seine eigene Richtschnur zu binden
und mit einem einfachen Salto
rückwärts

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Kommentare zu diesem Text

Sätzer (77)
(07.01.18)
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 princess meinte dazu am 07.01.18:
Das nehme ich mal als Anerkennung. Korrekt?

Danke, Uwe, und liebe Grüße
Ira
Sätzer (77) antwortete darauf am 07.01.18:
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NimbusII (42)
(07.01.18)
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 princess schrieb daraufhin am 07.01.18:
Ja ja, manchmal täuscht so eine Redewendung. Danke für deine Gedanken, liebe Heike, über die ich mich sehr gefreut habe.

Herzliche Grüße
Ira

 Songline (07.01.18)
Ich läche. Die klugen Ratschläge, dem eigenen Weg zu folgen, unabhängig von den Wünschen / Egoismen anderer, und sich selbst treu zu bleiben, hören sich immer so positiv an.
Hier wird genau das beherzigt und es wirkt wachrüttelnd. Das Rütteln kann darüber nachdenken lassen, ob nicht jeder das Recht auf die ureigene Wahl haben sollte, vorwärts zu gehen oder rückwärts zu springen. Bei dieser Frage sehe ich nicht nur den Turmspringer. Sondern jeden, der für sich ganz persönlich einen Grund hat, in die eine oder andere Richtung zu sehen.

Toll geschrieben.
Liebe Grüße
Song

 princess äußerte darauf am 08.01.18:
Das ist ein wunderschöner Kommentar, der inhaltlich viel von dem widerspiegelt, das ich selbst beim Schreiben im Kopf hatte. Es ist ein tolles Gefühl, dass du das beim Lesen entdeckt und mir hier mitgeteilt hast. Herzlichen Dank, liebe Song.

Liebe Grüße
Ira

 Oskar (07.01.18)
Erinnert mich an David Hockney. Schön.

 princess ergänzte dazu am 08.01.18:
David Hockney. Den musste ich echt erst mal googeln. Hat sich gelohnt. Danke, Oskar!
Sweet_Intuition (34)
(07.01.18)
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 princess meinte dazu am 08.01.18:
Liebe Stefanie,

erst mal freue ich mich, dass du dich über einen neuen Text von mir freust. Und dann bescherst du mir auch noch eine Perspektive, der ich nur zustimmen kann:
Aber Liebe heilt eben nur manchmal, ihm war seine Freiheit wohl wichtiger.
Und das darf auch so sein.

Ich danke dir!

Herzliche Grüße
Ira
Sweet_Intuition (34) meinte dazu am 14.01.18:
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 princess meinte dazu am 14.01.18:
Liebe Stefanie,

nein, du interpretierst durchaus nicht zu viel in den Text hinein. Ich bin der Meinung, dass jeder Mensch mit und aus seinem eigenen Leben das machen darf, was der nun mal mit und aus diesem Leben machen möchte. Auch wenn das für andere möglicherweise schmerzhafte Konsequenzen hat. Und ich finde, dass diese Perspektive, die auch deine Freundin dir nahe legte, nicht zuletzt für den eigenen inneren Frieden sehr förderlich ist.

Danke für deine Ergänzung!

Herzliche Grüße
Ira

 idioma (07.01.18)
OK, dem eindrucksvollen Gedicht zuliebe muss es wohl so sein,
damit man wie Songline ins Nachdenken kommt.....
ansonsten : Handy benützen !!!
idi

 princess meinte dazu am 08.01.18:
Handy benützen? Du meinst, mit der 110 für Rettung sorgen? Oder? Das wäre dann in der Tat eine ganz andere Geschichte.

Danke für deine Gedanken, liebe Idi,

Liebe Grüße
Ira

 idioma meinte dazu am 08.01.18:
Du antwortest fragend, aber Du hast mich genau richtig verstanden, DANKE !
idi

 EkkehartMittelberg (07.01.18)
Prinzipienreiter springen und töten Liebe.
HG
Ekki

 princess meinte dazu am 08.01.18:
Aus Prinzip!

Danke, lieber Ekki, und herzliche Grüße
Ira
9miles (53)
(07.01.18)
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 princess meinte dazu am 07.01.18:
Das ist eine prima Idee für den Grabstein. Ich danke dir!
Sinshenatty (53)
(07.01.18)
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 princess meinte dazu am 09.01.18:
"Jeder Mann hat die Pflicht, in seinem Leben den Platz zu suchen, von dem aus er seiner Generation am besten dienen kann!"
Jawohl, so ist es, sehr geehrter Herr Sinshenatty, so und kein bisschen anders. Ein Mann muss eben tun, was ein Mann tun muss. Ohne Netz und doppelten Boden. Der eine geht ins Freibad, der andere in sein Arbeitszimmer. Und wenn die jeweilige Süße dann weg ist ... Verstehen Sie das, Herr Sinshenatty? Verstehen Sie das endlich!!!

Ich danke dir!

Herzliche Grüße
Ira

 GastIltis (07.01.18)
Also, Hoheit! Minus vier Grad hätten es auch getan. Da hat Wasser die größte Dichte. Egal, ob welches drin ist oder nicht.
Dann: Als ich mit fünfzehn zur sportärztlichen Untersuchung war (unter falschem Namen) hat der Arzt mir ein Loch im Trommelfell attestiert und fortan Sprünge vom 5 und 10 Meter Turm untersagt. Von Temperaturen oder Wasser war da keine Rede. Von Liebe auch nicht. Dass ich mich dennoch, wenn auch unter falschem Namen, an seinen Rat gehalten habe, hat entweder mir, oder besagtem Freund, vielleicht das Leben gerettet. Jetzt habe ich endlich die schriftliche Bestätigung bekommen. Ich danke Ihnen, Frau Prinzessin. Ergebenst Ihr Giltis.

 tulpenrot meinte dazu am 09.01.18:
@ GIastIltis: Bitte PLUS vier Grad - da hat Wasser seine größte Dichte.
Frau Besserwissi

 princess meinte dazu am 09.01.18:
So so, unter falschem Namen also, lieber Giltis! Meinem Schwiegeronkel Archibald-Theodor, seines Zeichens Sportarzt an deiner Schule zu Zeiten deines 15. Lebensjahres, kam die Angelegenheit damals gleich merkwürdig vor. Dass die Geschichte und der daraus für dich resultierende Lebensweg Jahre später durch meinen Text und deinen Kommentar jemals ans Licht kommen würde … ach ja, mein Lieber, so schließen sich die Kreise!

Herzlichen Dank dir und liebe Grüße
Ira

 princess meinte dazu am 09.01.18:
Liebe Frau Beserwissi, ich glaube, dass die Differenzierung zwischen plus und minus vier Grad besonders unter Berücksichtigung des Gefrierpunktes von Wasser von essentieller Bedeutung sein dürfte. Kann das sein?

Bemerkenswerterweise bezieht sich die Angabe im Text auf eine Außentemperatur in Höhe von minus 2 Grad. Dieser Wert hat sich im Hinblick auf die chemischen Eigenschaften der Wasserlosigkeit von Schwimmbecken zu Sprungzwecken im Winter als besonders günstig erwiesen. Wirklich wahr! :-p

Ich danke dir, Angelika, und schicke liebe Grüße
Ira

 tulpenrot meinte dazu am 09.01.18:
Versteh ich zwar nicht, aber du hast bestimmt Recht.
Trotzdem hat Wasser bei +4 Grad seine größte Dichte - bekannt ist dieses Phänomen unter dem Begriff "Anomalie des Wassers". Allerdings hat mein Einwurf eigentlich nichts mit deinem, dem princesslichen Text zu tun, nur mit dem gastiltischen Kommentar.

 GastIltis meinte dazu am 10.01.18:
Liebe Angelika, die Angabe der Temperatur ist differenziert zu betrachten. Da ich nicht angegeben habe, ob es sich um Kelvin, Fahrenheit, Reaumur, Celsius oder Gil handelt, hier noch zur Klarstellung: +3,98 Grad Celsius entsprechen minus 4 Grad Gil. Die anderen Werte erspare ich mir. Insofern haben wir beide das Recht des Wissenden auf unserer Seite. Nur pflege ich bei meinen Angaben die persönlichen Bezüge wegzulassen. Liebe Grüße von Gil.

 AZU20 (07.01.18)
Und Du hast zugeschaut? LG

 princess meinte dazu am 09.01.18:
Die Szene entspann sich vor meinem inneren Auge, lieber Armin. Ich habe dort sogar sehr genau hingeschaut, sonst hätte ich den Text ja nicht schreiben können.

Liebe Grüße
Ira

 Sylvia (08.01.18)
Für den einen ist es der Sprung in die (vermutete) Freiheit und für den anderen das Festhalten des (eventuell) Gewohnten. Ich lese auch einen Sprung aus dem Vogelnest :)
Gerne gelesen, liebe princess
HG Sylvia

 princess meinte dazu am 09.01.18:
Einen Sprung aus dem Vogelnest? Das nenne ich mal eine interessante Lesart! Vielen Dank dafür und nicht nur dafür, liebe Sylvia.

Herzliche Grüße
Ira

 irakulani (08.01.18)
Liebe Ira, ich könnte mir als Titel auch "Auf dem Sprung..." vorstellen. Der kurze "Zwischenstopp" bei (oder auf) der Sirene brachte mich auf den Gedanken.
Das offene Ende deiner Geschichte finde ich mehrfach überraschend, aber das ist eben princess. Letztendlich ist auch im wirklichen Leben das Ende offen, den Salto rückwärts beherrschen allerdings nur wenige )
L.G.
Ira
ausderversenkung

 princess meinte dazu am 09.01.18:
Liebe Ira,

oh ja, die Variante
Auf dem Sprung
ist in der Tat eine sehr gute Titel-Alternative. Ich muss mal ein bisschen grübeln, ob ich dir die Idee klaue oder bei meiner Version bleibe.

Davon abgesehen freue ich mich so sehr, dass du mal kurz aus der Versenkung aufgetaucht bist und dich dann auch noch bei mir hast blicken lassen. Es ist immer noch so, wie ich es zuletzt in deinem Gästebuch hinterließ. Du weißt schon.

Herzlichen Dank und liebe Grüße
Ira

 Kontrastspiegelung (09.01.18)
ohaoha Eure Hoheit, ich muss schon gestehen, ich habe angst vor dem 10meter Turm zu springen, aber an Höhenflüge bereichert sich meine Angst mit der Lebhaftigkeit... undundund ich muss Ihnen noch etwas gestehen *nuscheln* mir ist Ihr Text sympatisch ^^

Auf einen Sprunggrüßend, Eure Konti :)

 princess meinte dazu am 09.01.18:
Was haben Sie gesagt, liebe Frau Kontrastspiegelung? Was??? Sie nuscheln ja so! Können Sie nicht ein bisschen deutlicher? Klarer? Verständlicher? Können Sie nicht? Können Sie doch bitte mal!!! )

Danke für deinen Sprung auf den Text und die hinterlassenen Spuren im Sand vor dem 10 Meter Turm.

Liebste Grüße
Ira

 Lala (09.01.18)
Hat Odysseus sich je von einem Weibe hat abhalten lassen? Darüber wissen wir nichts.

Von Homer erfahren wir dazu keine Kunde, wahrscheinlich auch aus gutem Grunde

 princess meinte dazu am 09.01.18:
Doch, von Homer erfahren wir die Kunde. Ich empfehle den 12. Gesang zur Lektüre. Aus gutem Grunde.

Liebe Grüße
Ira

 harzgebirgler (10.01.18)
wer springen will soll springen -
es wird ihm schon gelingen
ums leben sich zu bringen
und nichts bringt ihn von ab
oh nein er macht nicht schlapp
auf seinem weg zum grab...

herzliche grüße
henning

 princess meinte dazu am 10.01.18:
Lieber Henning, das nenne ich mal ein glasklares, typisch harzgebirglerisches Resumée. Ich danke dir!

Herzliche Grüße
Ira

 Dieter Wal (10.01.18)
S. 1-3 finde ich glaubhaft erzählt. Sehr genau die Stimmung durch die Beschreibung in S. 1 dargestellt. Auch die ihn vom Suizid Abhaltende in S. 3 finde ich nachvollziehbar.

"unbesonnen
machte ihn ihr Sirenengesang
verdammt unbesonnen"

Wiederholung. Sirenengesang hier falsche Metapher. Sirenen ziehen in den Tod, nicht umgekehrt.

"hastig stieg er auf sie hinab
legte am Beckenrand sein Begehren über sie
und fühlte

fühlte so etwas wie Liebe
wenn es ihn nur nicht angekotzt hätte
so etwas wie Liebe zu fühlen"

Auch "fühlte" als rhetorisches Stilmittel mit seiner Wiederholung in Ordnung.

Beischlaf situativ denkbar.

Wie kamst du bloß auf diese originelle Textidee?

Kommentar geändert am 10.01.2018 um 22:14 Uhr

 princess meinte dazu am 13.01.18:
Lieber Dieter,

den Sirenengesang habe ich ganz bewusst an dieser Stelle als Metapher für die Verlockung gewählt, den die Worte der an der Leiter Rüttelnden auf den Prot. ausübt. Sirenengesang ist seine subjektive Wertung und nicht ihr objektives Handeln. Im übertragenen Sinne passt das für mich auch nach deinem Einwand immer noch sehr gut. Auf jeden Fall hast du mich zum Nachdenken gebracht und das finde ich gut.

Wie die Idee entstand? Ich hatte eine bestimmte Fragestellung im Kopf und sie übersetzte sich quasi wie von selbst in die Bilder des Textes, während ich mich mit ihr beschäftigte. Manchmal läuft das einfach so.

Herzlichen Dank und liebe Grüße
Ira

 Dieter Wal meinte dazu am 13.01.18:
"den Sirenengesang habe ich ganz bewusst an dieser Stelle als Metapher für die Verlockung gewählt,"

Immer diese eigensinnigen Autoren und Autorinnen, die darauf beharren, dass, was sie schreiben, durchdacht sei, die sich nicht dazu hinreißen lassen, geringste Unbesonnenheit an den Tag zu legen, Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit bewahren ... Gibst du auch Seminare über Freundlichkeit? Dann möchte ich gern eins besuchen. Mindestens!

Gewöhnte mich an deine mir neue Betrachtungsweise in Sachen Sirene und halte sie für stimmig.

Was bleibt mir auch anderes übrig? Wie könnte man bei solcher Anmut und Gelassenheit anderer Meinung bleiben?

:)

https://de.wikipedia.org/wiki/Sirene_(Mythologie)

Antwort geändert am 13.01.2018 um 13:49 Uhr

 princess meinte dazu am 13.01.18:
:-)

 kirchheimrunner (31.01.18)
Famos, absolut famos.
Endlich ein mal ein Mann, der sein Leben in die Hand nimmt.
Ich gratuliere herzlichst der Dichterin zu dieser wahrlich köstlichen Tragödie
L.G. Hans

 princess meinte dazu am 31.01.18:
Lieber Hans,

weißt du, wenn Odysseus baden geht, dann sollte man ihm schon ausreichend Beachtung schenken. Ich muss allerdings sagen, dass seine Haltungsnoten während des Sprungs durchaus verbesserungswürdig waren. Aber darauf wollte ich im Text dann doch nicht explizit eingehen.

Ich danke dir!

Liebe Grüße
Ira

 Ephemere (06.04.19)
Sehr, sehr stark! Was ist mich frage: ist das Solipsismus, Narzissmus oder wahre Freiheit, auf verquere Art? Da ist nicht nur das ewige Dilemma des freien Willens, auch die Idee, dass Konsequenz irgend etwas beweise. Vielleicht ist Konsequenz nur eine schlechte Angewohnheit - und eine äußerst erlernte...

 princess meinte dazu am 06.04.19:
Das sind wunderbare Gedanken, die du mir hier lässt. Solche, die bewegen, ohne eine Richtung einzufordern. Ich danke dir!
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