Sandmann

Sonett zum Thema Abendstimmung

von  Irma

Schweigend stehe ich vor dir,
Gänseblümchen in der Hand,
und Herr Fuchs, dein Kuscheltier,
reist mit dir ins Märchenland.

Sorgsam löse ich das Band
von dem feingewebten Leinen-
säckchen, streue Sommerstrand
in den Wind. Ich kann nicht weinen.

Er heult laut, doch ich will nicht,
dass wer spricht. -
Während ich dein Nachtlied summ,

sitzt sogar Frau Elster stumm
dort im hohen Ahornbaum,
hofft auf ein paar Körnchen …

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Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(11.01.18)
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 Irma meinte dazu am 30.01.18:
Kennst du Herrn Fuchs und Frau Elster aus dem Sandmännchen, lieber Graeculus?

Ich könnte mir vorstellen, dass selbst die geschwätzige Frau Elster ihren Schnabel halten wird, wenn sie mit ansehen muss, wie ein Kind für immer seine Augen zugemacht hat.

Da bleibt am Ende nur noch die Hoffnung auf ein, zwei, drei Körnchen ("...") Traumsand und ein letztes "Schlaf gut!". LG Irma
Graeculus (69) antwortete darauf am 30.01.18:
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 Irma schrieb daraufhin am 30.01.18:
Ja, es war eine bekannte Kindersendung des DDR-Fernsehens. Aber viel liebevoller gestaltet als das olle West-Sandmännchen.

Wir hatten damals hier in Berlin nur 6 Programme: ARD, ZDF, 3tes, DDR1, DDR2 und den Franzosen-Sender. Die Kinderprogramme aus dem Osten (Sandmännchen, DEFA-Märchenverfilmungen usw.) waren auch für uns West-Kinder immer sehenswert.

Nach der Wende wurde (zum Glück) das olle  West-Sandmännchen fallengelassen.

Das  Ost-Sandmännchen blieb uns (nur einige politisch angehauchte "Geschichten von Freude und Fleiß, die noch keiner weiß" fielen weg) als DAS (Einheits-)Sandmännchen erhalten.

Pittiplatsch und Schnatterinchen sowie  Herrn Fuchs und Frau Elster kennt auch heute noch jedes Kind. Um mit einem bekannten Berliner Politiker zu sprechen: "Und das ist auch gut so!" LG Irma

Antwort geändert am 30.01.2018 um 17:36 Uhr

 EkkehartMittelberg (11.01.18)
Ich könnte nicht widerstehen, wenn jemand mit Gänseblümchen in der Hand vor mir stünde.
LG
Ekkii

 Irma äußerte darauf am 30.01.18:
Kleine Kinder pflücken allzu gerne die Gänseblümchen aus dem grünen Rasen. Mama und Papa werden, auch beim hundertsten Sträußchen, das mit einem zauberhaften Lächeln überbracht wird, kam widerstehen können dahinzuschmelzen.

Hier jedoch steht der Vater mit einem solchen Sträußchen in der Hand vor dem Sarg seines Kindes, gibt dieses mit als Grabbeigabe. Was wären hier schon Rosen oder Nelken?

LG und Dank für die Empfehlung, Irma
Marjanna (68)
(11.01.18)
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 Irma ergänzte dazu am 30.01.18:
Ja, liebe Marjolaine, es ist ein sehr trauriges Sonett. Ich danke dir sehr herzlich fürs Einfühlen und für die Empfehlung. Liebe Grüße, Irma

 Isaban (23.01.18)
Hallo Irmchen,

das ist ein Text, den ich zwar empfehlen, aber nicht zu meinen Favoriten nehmen kann, er ist einfach zu schmerzhaft. Vielleicht bin ich im Moment ja ein bisschen zu sensibel drauf, aber mich hat er sofort zum Heulen gebracht.

Ein Text, der beinahe wie ein Kinderlied, auf jeden Fall aber wie ein Schlaflied klingt und der dennoch ein Nachtlied ist, für eine immerwährende Nacht.

Hier steht eine Mutter/ein Vater am Grab ihres/seines Kindes und muss sich und vielleicht den Geschwisterchen erklären, warum er/sie weinen will und nicht kann, warum ihm/ ihr nur noch dieses Nachtlied bleibt, warum dieses Kind jetzt für immer schläft.

Gleichzeitig sehr liebevoll und sehr geschickt gemacht ist hier, dass das Kuscheltier einen Namen bekommen hat, etwas persönliches geworden ist, etwas von daheim, ein Trost mit einem Namen, den man dem Kind mitgibt auf die Reise in die lange Nacht, auch zur eigenen Beruhigung. Unglaublich berührend.

S2 zeigt eine sehr zarte, stille Zeremonie, ein Abschiednehmen, einen Vorgang, der für immer im Gedächtnis bleibt und der - wie beim Kleinen Prinzen (Fuchs-Assoziation/ Weizenfarbe= Erinnerung) reich macht, wenn auch auf eine schmerzhafte Weise.

Zitat aus "Der kleine Prinz von Antoine de Saint-Exupéry:
Die Weizenfelder erinnern mich an nichts. Und das ist traurig. Aber du hast weizenblondes Haar. Oh, es wird wunderbar sein, wenn du mich einmal gezähmt hast! Das Gold der Weizenfelder wird mich an dich erinnern. Und ich werde das Rauschen des Windes im Getreide liebgewinnen."

Der Wind darf in S3 heulen - wobei unklar bleibt, ob wirklich der Wind heult oder der unbenannte Vater oder das Geschwisterkind, das mit am Grabe steht. Der Wind darf heulen, die Mutter/der Vater nicht. Sie/Er muss stark sein und weiterleben.

Und Frau Elster hofft auf ein paar Körnchen dieses kostbaren, schimmernden, vielleicht glitzernden Sandes. Aber die Erinnerungskörnchen sind nur für die trauernde Mutter/den trauernden Vater bestimmt, sind gleichzeitig das, was sie/ihn in der Welt festhält und das, was sie loslassen muss.

Liebe Grüße

Sabine, verflixt verheult



PS: Wie immer habe ich den Titel zu wenig beachtet. Sandmann. Vielleicht ist das ein Synonym für den Tod, der hier am Grabe steht und nicht weinen kann. Fände ich tröstlich, hat etwas sehr liebevolles.

Kommentar geändert am 23.01.2018 um 19:53 Uhr

 Irma meinte dazu am 30.01.18:
Und du hast es doch getan! Lieben Dank für ‘s Doppelsternchen.

Ja, ich wollte hier ein leises Kinderschlaflied singen, das ein Vater seinem Kind zur letzten Ruhe vorsummt. Er ist der „Sandmann“, der dem üblichen Brauch folgend, eine Handvoll Erde auf den Sarg zu werfen, seinem Kind zum allerletzten Mal eine gute Nacht wünscht (im Stoffsäckchen den Traumsand vom letzten gemeinsamen Sommerurlaub).

„Zu Besuch im Märchenland“ gab es früher oft am Sonntagnachmittag im Fernsehen, mit Geschichten von Pittiplatsch und Schnatterinchen sowie „Herrn Fuchs“ und „Frau Elster“. Auch heute noch bringt das Sandmännchen diese Geschichten den Kindern zur guten Nacht mit. Die Kinder reiben sich ihre müden Augen, reißen sie beim Sandstreuen noch einmal weit auf, damit sie auch ja ein paar Körnchen Traumsand abbekommen, um danach (mit dem geliebten Kuscheltier im Arm) seelenruhig einzuschlafen und ins Traumland zu entgleiten.

Sein kleines Kind zu Grabe bringen zu müssen, ist wahrlich eine der schlimmsten Dinge, die ich mir vorstellen kann. (Trösten kann einen da absolut nichts, ein jedes Wort erscheint zuviel.) Was bleibt, sind die persönlichen Erinnerungen, die einem niemand mehr nehmen kann und die zum kostbaren Schatz werden. (Vielen Dank in diesem Zusammenhang für das wundervolle Zitat aus dem „Kleinen Prinzen“!)

Lieben Dank und Gruß, Irma
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