Gerhard Phantom, der Opa

Gedicht

von  Janoschkus

Es lebte einst ein Mann, Gerhard „Phantom, der Opa“.
Zumindest nannte man ihn so - ob seiner kränklichen Gestalt,
dem buckeligen Gang, der Falten und dem lichten, grauen Haar.
Was half's ihm da, dass er erst Ende zwanzig war:
Er galt als stets genau so alt, wie's Kind ihn auf der Straße schalt.

Und nicht nur das - sein Spiegelbild fand ähnlich klaren Ton:
„O schau dich an: Was bist du eingebrochen …, Dieb im eig'nen Leibe!
Der Alkohol als Brechstange, nimmst du, im Dienst der Depression,
dich völlig aus, verfällst du dem Verfall, dem Eigenhohn,
als Reaktion auf den Verlust von Liebe, Job und Bleibe.“

O Gott ist ein Sarkast, denn großes Glück erzeugt oft böses Blut.
Die Romy war's, des Fährmanns Kind, die Gerhard einst berührte,
was so sehr bei ihm Wellen schlug, dass er wie eine wilde Flut
- anstatt bei ihr zu stranden, - ihren Strand, ihr Land umspülte, was akut
sie unter Wasser setzte, die alsbald schon nichts mehr spürte.

Und's kam, wie's kommen musste: Romy fiel
dem allernächsten Jüngling um den Hals, hielt sich dort fest
und hob die Beinchen an, dass drunten Gerhards Wellenspiel
nicht mehr an ihre Waden schlug, und im Gefühl
des Rückgangs, sinnlos schäumte nur - wie zum Protest.

Und der versiegte nicht: Er rief sie an, er schlief vor ihrer Tür,
er schrieb ihr Briefe und erfand sich immer wieder neu,
um immer neue Worte, Wege, Weisen anzuführ'n, die ihr
beweisen sollten: „Du. Ich liebe dich. Im Jetzt und hier
und ewiglich. Und ob du fort bist oder nicht: Ich bleib' dir treu.“

Und zwischen seiner Gesten Flut lag er, ganz Ebbe, brach im Bett
und trank und brach ins Bett und brachte and'res nicht hervor
als Rotz, Gebroch'nes, Herz und Schweiß; er trank und aß, er wurde fett,
warf üble Schatten an die Wand, zog Furchen im Gesicht. Als hätt'
der Zahn der Zeit ihn angenagt, als klopfte er ans Himmelstor.

So wurd' er alt und älter, während Wochen nur vergingen:
Die dunklen Stunden haben auf dem Zeitstrahl mehr Gewicht.
Denn Stillstand ist die Spanne zwischen dir und schönen Dingen.
Und wenn das Schönste schwindet, hören deine Zeiger auf zu schwingen -
zwar zieht dann Zeit nach außen schnell voran, nach innen nicht.

So nahm man Gerhard, wenn man ihn mal sah, als alten Opa wahr,
der so wie ein Phantom vorüberzog, um dann und wann besoffen
vor Romys Tür zu steh'n, die lange ausgezogen war,
und dort, vernebelten Gemüts und dennoch völlig rein und klar,
zu klopfen und zu hoffen.

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Kommentare zu diesem Text


 TassoTuwas (24.01.18)
Fesselnd, erstaunlich, phantasievoll und letztlich sehr menschlich!
LG TT

 Janoschkus meinte dazu am 24.01.18:
Vielen Dank!

 Isaban (11.02.18)
Was für ein Gedicht!
Man könnte jetzt sagen: Es ist zu lang.
Aber jede Strophe hat was, hat etwas, das mich irgendwie berührte. Die zweite Hälfte gefällt mir eindeutig besser als die erste, insbesondre die letzten drei Strophen, die trotz der langen Verse so spürbar sind, dass man die Längen und Kanten der ersten Strophen sofort vergessen hat.

Was ich mitnehme?

Das hier:

Die dunklen Stunden haben auf dem Zeitstrahl mehr Gewicht.
Denn Stillstand ist die Spanne zwischen dir und schönen Dingen.
Und wenn das Schönste schwindet, hören deine Zeiger auf zu schwingen -
zwar zieht dann Zeit nach außen schnell voran, nach innen nicht.

Das ist so tief und gut, das lasse ich nicht wieder los, auch wenn ich die Zeichen anders gesetzt hätte.

Liebe Grüße

Sabine

 Janoschkus antwortete darauf am 11.02.18:
Hallo Sabine,

schön, mal wieder von Dir zu hören. Und vielen Dank für die lobenden Worte und Deine Anmerkungen.

Zur Länge: Ich habe in den letzten Jahren viel für Lesebühnen und Spoken Word-Veranstaltungen, und damit eher längere Texte, geschrieben und auch bei diesem Text wollte ich eine gewisse Mindestlänge erreichen, um einen Bühnenslot ausfüllen zu können. Natürlich habe ich nach wie vor den Anspruch, dass es auch beim Lesen funktioniert - da komme ich her und das ist meine eigentliche Leidenschaft -, aber beides zu kombinieren, macht auch Spaß. Es soll halt wirklich eine kleine Geschichte sein, die sich langsam aufbaut etc. - ich lese heraus, dass mir das in Deinen Augen, trotz der Längen, gelungen ist und das freut mich.

Schön auch, dass Du die eine Strophe herausnimmst - ich mag sie eigentlich auch, hatte aber teilweise die Befürchtung, dass man es als zu dick aufgetragen und prätentios empfinden könnte.

Also danke noch mal!

Liebe Grüße,
Jan

Antwort geändert am 11.02.2018 um 19:59 Uhr
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