Unterwerfung

Kurzprosa zum Thema Menschen

von  Remy

Wir haben nie geredet, waren uns bisher stets nur Fremde, sogar jeder graue Wolf in Hemd und Krawatte, mit sehnend leeren Augen beim Amt an den Schreibtisch gefesselt, steht mir näher als du, auch wenn wir uns fast täglich begegnen, ohne uns dabei je in die Augen gesehen zu haben. Und nun weiß ich, du bist mal wieder hier, in diesem alten heruntergekommenen Haus, welches wie aus Holz geschnitzt seit hunderten Jahren auf seine Lackierung wartet. Wir beide sind aus verschiedenen Gründen hier, aber wir beide befinden uns in derselben Stadt, im selben Haus, als hätten wir in Wirklichkeit das gleiche Ziel, aber eigentlich benötigen wir nur einen Platz zum Schlafen, um etwas Wichtiges zu klären, was mit dem anderen nichts zu tun hat.

Ich frage mich, ob du meinen Namen kennst, da ich deinen kenne. Ich bin mir sicher, über dir zu stehen, weil ich mehr über dich weiß, als du über mich, aber mich überkommt der Gedanke, dass du nicht mehr über mich wissen willst, nicht weil du ganz offensichtlich nur vermeintlich eine Klasse über mir stehst, sondern weil deine Blicke mir nicht folgen. Ist diese Ignoranz wahrhaftig oder heuchelst du sie nur, um von deinen vielen Unsicherheiten abzulenken? Du hast etwas Arrogantes an dir, eben weil du so ignorant wirkst, weil du dich scheinbar nicht für andere Menschen interessierst, sondern tagtäglich nur in deinem kleinen Kosmos inmitten einer Handvoll Freunde schwebst, die dir nicht einmal mehr Beachtung schenken, als ich es tue und das macht dich verdammt unsicher, weil du weder etwas von der Welt realisierst, noch von deinem näheren Umfeld, weil du immer nur Statistin bleibst.

Als ich dich das erste Mal sah, hatte ich den Eindruck, du würdest an Wochenenden sicherlich diese Stadt triumphieren, so schön wie du bist, aber je öfter ich dich sehe, desto mehr fallen mir Dinge an dir auf, die wahrscheinlich sogar dir missfallen. Sei es wegen deiner zu dünnen brünetten Haare, die nicht einmal schulterlang sind, dafür aber gelockt, aber so unnatürlich, dass man meinen könnte, sie wären überkochte von Fett triefende Spaghetti, die sich so oft um sich selbst kringeln, als würden sie sich schämen. Oder wegen deiner zu brüchigen Wimpern, die so kurz sind, dass man meinen könnte, sie entfallen dir jeden Tag zur Hälfte wie die Anzahl bunter aber toter Blätter eines Baumes im Herbst. Und sei es wegen deiner dünnen Lippen, die zwar voll sind und manchmal an Hollywood erinnern, aber doch in Wirklichkeit aussehen, wie rot überpinselte Narben, so als hätten dich die vielen Küsse deines ehemaligen Geliebten so stark verletzt, dass du am liebsten nie wieder lächeln würdest. So wundert es mich nicht, dass ich dich zwar auf Fotos lächeln sehe, nicht aber bei den unzähligen Begegnungen in der Öffentlichkeit. Ist es nicht sogar arrogant, sein Lächeln schlichtweg nur für sich zu behalten, auch wenn man sich vielleicht schämt?

Ja, alles in allem siehst du nicht perfekt aus, nicht glücklich, sondern verbittert und ich weiß, dass ich derjenige bin, der dich von diesem Leid erlösen kann, der dir helfen kann, auch wieder im Alltag zu lächeln, der dich aufblühen und entfalten lassen kann, der dich durch den kalten Winter trägt, um mit dir im sonnigen Sommer zu verweilen, bis unsere farblose Haut wieder dem frisch verarbeiteten Ton gleicht. Ich bin der Einzige, der dich glücklich machen kann, ich bin der Mann, den du an deiner Seite brauchst und du die Frau, die ich will.

Heute ist der Tag der Abreise und ich sehe dich bis zum Abendbrot nicht. Und dann sitzt du lediglich vier Tische weiter und isst deine beiden Scheiben Brot mit Schinken und Harzer Käse, gar passend für eine Frau wie dich, die an einem Wochenendabend alleine schlafen wird. Ich sehe deine geschlossenen Augen, die nur zu deinem Teller blicken, es wirkt mal wieder ignorant. Deine Umwelt könnte sich ganz allmählich in eine Hölle verwandeln, doch du würdest weiterhin auf den Teller blicken und dir selbst sagen, es wäre kalt. Trotzdem kann ich nicht aufhören, dich anzusehen und ehe ich es bemerke, bist du zu meiner Verwunderung bereits fort, hast dich aus meinem Blickfeld stumm und leise entfernt und dich mir im Bewusstsein entzogen, dass ich in deinem Universum existiere, aber dort nicht bleiben soll. Währenddessen ärgere ich mich darüber, dir nicht nahe gekommen zu sein, weil ich ja weiß, dass du mich brauchst, aber es selbst nicht weißt, obwohl es doch so offensichtlich ist.

(c) rds

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Kommentare zu diesem Text

matwildast (37)
(27.01.18)
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 Remy meinte dazu am 16.03.18:
Der Protagonist soll als ein arroganter, zynischer, frauenverachtender Mann wahrgenommen werden, der trotz seines eigentlichen Bildungsstandes nicht in der Lage ist, sich diesem rauschhaften Wahn zu widersetzen und zu reflektieren. Ironie schwingt aber mit, ja.

Sie isst Knoblauch, Tzatziki, Sucuk oder eben Harzer Roller. Etwas, was so sehr stinkt, dass man sie nicht küssen möchte.
(Sieht jeder anders)

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 08.11.18:
Na, Remy, da bist Du ja krachend gescheitert! :-o

...was nicht heissen soll, dass der Text nichts taugt. Du zeichnest recht gekonnt die Schwärmerei eines schüchternen Buben. Wie die Agamemnon-Tochter vermisse jedoch auch ich einen Spannungsaufbau.
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