Not

Predigt zum Thema Einsamkeit

von  RainerMScholz

Die Einsamkeit macht böse, das Alleinsein unter all diesen Menschen, die vorgeblich nicht alleine sind und es nie waren, gar Zufriedenheit mit diesem Zustand ausdrücken, in dem sie sich befinden und eingerichtet haben, und die doch zutiefst unglücklich sind, weil der Seelenverwandte nie erschienen ist und auch in Zukunft ausbleiben wird, manche in dieser stumpfen Hoffnungslosigkeit geradezu vergessen haben, was eine Seele überhaupt ist, der innerste Kern, die Essenz, das Wahrhaftige und Allumfassende; dieses Wissen um einen existentiellen Notstand entleert die Herzen und versengt die Menschen von innen. Im tiefsten Grunde ist die Welt voll der Traurigkeit, ob der überwältigenden Unvereinbarkeit von Existenz und Leben. Wo ist denn die Kreatur, die mich vollends zu verstehen vermag und willens dazu, auch in meiner Unvollkommenheit und angesichts der Bedingtheit der Ausdrucksmittel. Und dann verstumme ich, werde bar der Sprache, wenn ich sie denn je besessen habe. Das ist nicht Vereinzelung, das ist der Rückwurf auf das letzte Quentchen Autonomie, das ich mit mir selber teile. Da ist sonst niemand mehr und die Toten wandeln am helllichten Tage auf den Straßen.
Da ist das Schwarz, das nicht antwortet. Und die abgründige Trauer darüber, alleine zu sein mit einem verständnislosen Gott. Aus dieser definitiven, ultimativen, existentiellen Einsicht in die unabdingbare Einsamkeit erwächst der Neid, die Missgunst, der Hass. Gott ist nicht mit uns. Gott, wie auch der Tiefstgläubige insgeheim ahnt, ist tot. Kein Theaterdonner, keine heiligen Messen, keine hysterischen Epiphanien helfen uns darüber hinweg oder können uns autistoid  täuschen. Wir schmiegen uns an einen erkalteten Leib.
Nichts von all dem, was wir tun oder nicht tun, macht die Welt besser, verständiger, bewohnbarer. Alles und alle sind Missverständnisse und grausame Fehltritte, alles wirft uns auf uns selbst zurück und dieses konstruierte Selbst steht alleine da, bloß, blank und nackt, enthäutet, entkernt und nahezu aufgezehrt. Wieso sind wir nur immer noch hier? Der Trotz und der Hass halten uns aufrecht. Und der Neid. Die Sehnsucht nach dem, was der Andere haben oder wissen könnte oder vermeintlich sei. Es ist ein alle Zeit zu beschreibendes Drama, eine Tragödie und eine Farce. Wir gehen fort und voran wegen des Schauspiels, wir sind Gaukler, Rosstäuscher und Kesselflicker, Handleser, Scherenschleifer und Quacksalber, Sterndeuter, Nekromanten, Kurpfuscher und heisere Marktschreier. Worüber sprechen wir denn, wenn wir reden und reden und reden. Wir wollen gar nicht wirklich zuhören und wir wollen auch nicht wirklich sprechen, so wie das Herz spricht in seiner Not und seiner Freude; denn die Angst lähmt die Zunge und die Furcht macht uns verstecken und der Lärm und das Getöse des Gesagten verstopfen unser Ohr. Alles scheint auch schon gesagt, und nichts ist ausgesprochen. Das Sagenswerte, das Segnen, versiegt am Ende, geht verschütt. Niemand bringt die Kraft auf oder vermag zu hören. Wir sind beredt verstummt, Obelisken, die in einer gelben Wüste stehen. Der Sternenhimmel ist leer, uns bleibt der Teer. Versinken ist der Tod im Leben.
Neben mir
ertrinkt eine Frau.
Es könnte die meine sein.
Neben mir
schluchzt ein Kind.
Im Wind
verweht ein Geräusch,
ich weiß nicht wie.
Und geh´ ich auf die Knie,
knacken die Gelenke.
In der Ferne baumeln Gehenkte.
Doch sind wir ohne Wort,
wir sind
ohne Gott.
Unsere Herzen schlafen auf dem Schafott
einer schweigenden tauben Welt.
Wir sind unbeseelt.
Uns hilft nur der Tod im Leben
zu einem neuen Himmelserstaunen.

Sag nur ein Wort
und ich werde eingehen in dein Reich.



© Rainer M. Scholz

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Kommentare zu diesem Text


 Habakuk (29.01.18)
Da hier vermutlich eh keiner mehr kommentiert, warum auch immer, übernehme ich das eben. Mir gefällt der Text. Aber was heißt das schon.

 RainerMScholz meinte dazu am 30.01.18:
Das heißt viel für mich.
Grüß + Dank,
R.

Antwort geändert am 30.01.2018 um 20:19 Uhr

 Isaban (29.01.18)
Inhaltlich grandios!

Allerdings würde ich (insbesondere in der ersten Hälfte des Textes) ein paar Punkte mehr setzen, um dem Leser das Lesen zu erleichtern und die Satzzusammenhänge zu verdeutlichen.

Besonders gut gefallen hat mir der letzte Satz in all seiner Ambiguität. Ein sehr gelungener Schluss.

LG Sabine

 RainerMScholz antwortete darauf am 30.01.18:
Da ich sonst wegen der Nachdrücklichkeit viel mit Hauptsätzen glaube zu arbeiten, ist es mir hier lieb, wenn man einen Satz vielleicht zweimal lesen muss.
Der Schluss: eigentlich müsste es heißen ...eingehen unter dein Dach, und es ist aus einem Glaubensbekenntnis.
Gruß + Dank,
R.
Hilde (62)
(24.05.18)
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 RainerMScholz schrieb daraufhin am 24.05.18:
Gar nicht mehr so einfach, das mit dem Ur, bei all dem Getöse, der Schöntuerei und der Speicheltriefigkeit.
Die Kiste suche ich noch; hab´ aber schon ein Schächtelchen für das Eiserne Bundesverdienstkreuz parat und würde gerne in die Music-Hall of Hardcoretexte eingehen, ich bringe auch mein Schlagzeug mit; Nobel ist ja abgesagt dieses Jahr - hat sich selbst gesprengt, hihi.
Gruß + Dank,
R.
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