Reich & Schön

Dialog

von  Judas

Es sind die kleinen Dinge, die eine Situation verraten.
Zu Beginn war alles ruhig. Niemand fiel auf oder aus der Reihe. Selbst das Wetter spielte für diesen Juni eine recht milde Temperatur und genauso ging es auch mir in diesen Tagen. Nichts ahnend fuhr ich meinem Offroad Hybrid Geländewagen durch die Berliner Innenstadt, schaute nach links, nach rechts oder für ein paar Minuten auf mein Ipad während ich auf den Anruf meines Financial Fitness Coach wartete. Eigentlich wollte er mich gestern schon anrufen.

Berlin ist ein Land der Kontraste. Ich spürte das einmal mehr, als ich nach zweieinhalb stündiger Suche einen Parkplatz zwischen zwei Smarts fand. Als ich den Motor ausschaltete, klingelte das Handy. Eine unbekannte Nummer rief an. Ich nahm trotzdem ab. „Hallo?“ Gesprächige Stille. Jemand oder etwas atmete ins Handy. Ein Flugzeug startete im Hintergrund. „ … … … Sie sind wieder da …!“ Shit.

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Als ich ihn das erste Mal sah, spielte ich grade „Geld essen“ von KIZ auf der Gitarre. Das war da vorne, beim Bioladen auf'm Parkplatz, Ecke Schönhauser. Die Fahrertür des riesigen, unfreundlichen Geländewagens öffnete sich; die letzten Zeilen von „Eure Armut kotzt mich an“ der Kölner Band Freiheit waren noch zu hören, ich kannte den Song, spielte ihn manchmal auf dem Alexanderplatz, ironisch natürlich. Ich kriegte dann auch immer 5 € zu geworfen. Auch ironisch, natürlich.
Ich schaute zu Francis und sagte: „Guck mal der Typ da.“ Francis schaute zum Geländewagentypen. „Wie nervös der guckt.“ - „Wuff“, unterstützte mich Francis. „Armer Kerl“, sagte ich noch, „muss bestimmt zu 'nem meeting oder 'nem networking oder so, wo Leute wie er immer hinmüssen.“ Er sah so bekackt gehetzt aus. So wie Leute wie er immer aussehen. Während Geländewagentyp fast vor die Glastür des Bioladen gerannt wäre, trafen sich unsere Blicke und das war das erste Mal in meinem Leben, wo ich ehrliche Panik in den Augen eines Menschen sah.

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Ich legte auf. „Scheiße. Scheiße! Scheiße, Scheiße, Scheiße! Scheiße!! Das kann doch nicht sein! Nicht die, nicht die, warum die? Dafür hab ich doch über die Jahre gespendet und lobbyiert und jetzt sind die trotzdem da! Verdammt. Okay, ruhig bleiben. Bleib ruhig. Ich meine komm... nur weil sie wieder da sind... wie sollen sie mich finden? Ich bin doch einer unter Tausenden, haha! Ich muss irgendwas tun. I-ich kann hier nicht einfach wieder los fahren. Soll ich los fahren? Nicht wieder los fahren? Shit shit shit! Nee ich muss hier raus. Ich muss raus. Tür aufmachen, laaangsam aufmachen, nicht zu schnell. Nicht auffallen. Einfach aussteigen. Nee Musik ausmachen. W-was... wer ist das da. Wer ist das denn? Ist der... ist der.. fuck. Gehört der zu denen? Fuck. Warten die schon auf mich?! Fuck. Der hat nen Hund dabei. Fuck. Nee nee. Einfach vorbei gehen. Einfach vorbei gehen. Du gehst da rein, holst deinen Einkauf, fährst nach Hause und es nichts passiert. Nichts!“

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Das Leben, sag ich immer zu Francis, ist nur eine Aneinanderreihung beschissener Zufälle. Das ist wie auf einen Güterzug zu springen um nicht entscheiden zu müssen, wohin man will. Es gibt tausend Möglichkeiten, deinem Leben eine aufregende, existenzbedrohende Wende zu geben. Knacke Autos auf und kipp Milch in die Heizungsschlitze. Drück dein Gesicht auf den Kopierer und schenke die hässlichste Fratze deinem Chef. Die Infanterie der guten Laune richtet sich gegen all jene, die Diebstahl an ihrer Freizeit begehen. Du kannst tausend Tode sterben, aber den ersten Kuss gibt es nur einmal. Damit kann man weder sparsam noch verschwenderisch umgehen, nur gezielt.  Ich wäre gern ein Panzer. Gebaut von Ferrari. Zu zwei Drittel gefüllt mit Wissen. Der Rest Gefühle.
„Manchmal muss man einfach springen, Francis“, sagte ich noch, „Und zwar nicht vor, sondern auf den Zug.“
Das war der Moment, wo wir gerade auf einen Güterzug springen wollten. Und das war, wo ich ihn das zweite mal sah.

-

Alles ging schief. Seit Stunde Null ist das der Fall. Zu erst war es der Einkauf, dann meine Ehe, dann der Geländewagen. Jetzt sitz ich hier im Zug, auf der Flucht, wie eine dreckige Ratte. Jahrelang hab ich die Warnungen in den Wind geschlagen. Sei es Uli, sei Alice oder auch nur der Karsten. „Das ist doch völlig unmöglich“, habe ich ihnen immer wieder gesagt, habe ich gespottet sogar. Und nun sitz ich hier, eingehüllt in mein letztes Hab und Gut, meinen letzten Anzug, meine letzten Rolex, meine letzten Decke, meine letzten 500.000 € im Rucksack, ein Taschengeld, mehr war damit nicht anzufangen.
Auf einem einsamen Bahnhof in Brandenburg habe ich es geschafft, einen Zug zu erwischen. Musste es wirklich so enden? Nach all dem, was ich gearbeitet, was ich geleistet habe? Für die Gesellschaft? Nur weil ich das ein oder andere Milliönchen an Steuern hinterzogen habe. Na und! Ich war da doch noch der Kleinganove unter meinen Freunden. So wird hier also mit den Leistungsträgern umgegangen. Armes Deutschland. Danke, Merkel.

Plötzlich springt irgendein Typ in meinen Waggon. Ist das einer von ihnen? Ist das einer von denen?! Warte. Er hat 'nen Hund dabei. Fuck. Dabei sieht der gar nicht so aus wie...

„Ey! Geländewagentyp! Ich bin's, Gitarrenmann!“
Doch kein Steuerfahnder.
„Du weißt schon, vom Bioladen!“
Sieht eigentlich nur aus wie ein Penner.
„Bei dir lief „Eure Armut kotzt mich an“ im Auto, von Freiheit! Das spiel ich auch manchmal, auf dem Alexanderplatz. Ironisch, natürlich. Aber abgesehen davon: wie steht's mit der Freiheit?“
„Freiheit. Was weißt DU schon von Freiheit. Springst hier auf einen Güterzug auf... weißt du überhaupt, wo's hingeht...? und glaubst, das ist Freiheit. Bitte.“
„Aber das ist doch viel mehr als das. Das ist ein Gefühl, irgendwo zwischen Leben und Existenzmaximum.“
„Ach bitte, weiß du überhaupt, wie man Existenzmaximum schreibt? Was war denn der größte Schein, den du je in den Händen gehalten hast? So wie du aussiehst, ein Fünziger. Elendes Pack... was ich alles schon für die Gesellschaft geleistet habe, glaubst du, dass du jemals an meinen Anteil rankommst? Tausende. Tausende hab ich gespendet! Für irgendwelche wohltätigen Zwecke, als ob ich gewusst hätte, wofür ich mein Geld gegeben habe! Aber im Gegensatz zu mir verhungern deinetwegen Kinder in Afrika! Weil du keinen Bock hast, zu arbeiten! Ich habe gearbeitet! In der Firma meines Vaters. Die ich übernommen habe, die ich geerbt habe. Das war nicht immer so einfach, wie's aussah! Und du willst mir was vom Existenzmaximum erzählen. Ich habe in Villen gelebt, teuersten Wein getrunken, mich mit den schönsten Frauen der Welt unterhalten und du? Erzählst mir was von Freiheit. Wo hat mich meine Freiheit hingebracht?! Genau hier hin. Ja mein Gott ich hab halt ein paar Millionen hinterzogen. Na und? Schließlich bin ich Leistungsträger! Ich habe nichts anderes in meinem Leben getan als geleistet, geleistet, geleistet! Und du?!“
„Ich habe gelebt.“


Anmerkung von Judas:

Teamtext. Geschrieben mit einem Freund, der hier auf kV nicht angemeldet ist, im Hinblick auf einen Teamtext-Poetryslam.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (31.01.18)
Trotz aller gegenteiliger Bemühungen ist mir der Geländewagentyp sympathischer als der Hippie,

Gerne gelesen.

 Judas meinte dazu am 31.01.18:
Vielen Dank, auch für den Fav :)
Ich glaube, wer wem sympathisch ist, haben wir wirklich dem Leser überlassen. Ich meine, beide Figuren sind überspitzt. Von daher ist das vollkommen okay!
ues (34)
(02.02.18)
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 Judas antwortete darauf am 02.02.18:
Den Hippie/Penner/Gitarrenmann :D
ues (34) schrieb daraufhin am 02.02.18:
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 Judas äußerte darauf am 02.02.18:
Mist. Was sagt das über mich aus? Und was sagt das über dich aus?
ues (34) ergänzte dazu am 02.02.18:
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 Judas meinte dazu am 02.02.18:
und es heißt, dass Dieter mich unsympathischer findet ;) *siehe Kommentar oben drüber*
ues (34) meinte dazu am 02.02.18:
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 Judas meinte dazu am 02.02.18:
Weder will ich es dir weismachen noch beeindruckt es mich. Sei unbesorgt, wertester ues!
ues (34) meinte dazu am 02.02.18:
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