Morgen ist auch noch ein Tag

Kurzgeschichte zum Thema Entscheidung

von  Isaban

Mein Bruder war ein gutaussehender Bengel. Jedes weibliche Wesen in der Verwandt- und Bekanntschaft erlag seinem charmanten Lächeln, den niedlichen dunkelblonden Locken, riesengroßen Augen und wonnigen Grübchen. Er war immer derjenige, der die Süßigkeiten und die Wangenkneifer alter Damen abbekam. Ersteres fand er toll, Letzteres nicht unbedingt, aber er hatte schnell begriffen, dass sein engelsgleiches Lächeln während und nach dem Rotbackenzwacker sicher zu Schokolade führte - und Schokolade liebte er.

Die ersten Worte meines Bruders waren Mama, Papa, Oma, Opa, ja, bitte, danke und Lok. Mein erstes lautete „NEIN!“. Und danach kam lange nichts, bis ich es dann raus hatte, dass Eltern und Besucher ganz besonders aufmerksam reagierten, wenn kleine Mädchen zur Begrüßung das Wort „Kacke!“ in den Raum warfen. Ich fürchte, diese Entdeckung hat meine Beziehung zu meiner Mutter geprägt.

Mein Bruder war ein Minischönling und machte sich nie dreckig. Ich war das Mädchen, das sich zum siebten Geburtstag mithilfe einer Nagelschere und akribischer Fleißarbeit selbst zu einer Kurzhaarfrisur verholfen hatte, weil es sich die Dauerwelle nicht machen lassen durfte, die es sich so dringlich gewünscht hatte. Meine Haare sind straßenköterbraun, hängen und stehen, wie sie wollen und diese Niedertracht wird einzig durch die Wirbel getoppt, die ihnen die Richtung weisen. Ich hatte mal ein Rosettenmehrschweinchen, das leichter zu frisieren war, zumindest bis mein Bruder es dann mit dem Elektrorasierer trimmte. Er machte ja nicht viel, aber wenn er etwas tat, tat er es gründlich.

Wohlgemerkt, es war mein Meerschweinchen. Rosi. Seines hatte ein seidiges Angorafellchen und wurde natürlich nicht rasiert, denn bevor ich tätig werden und das, was mein Bruder meiner Rosi angetan hatte, an ihm wieder gutmachen konnte, wurde mir der Rasierer entrissen. Weil ich praktisch in flagranti mit der Tatwaffe in der Hand erwischt worden war, bekam ich eine tüchtige Tracht Prügel mit dem Kleiderbügel und mein großflächig unrosettiges Rosettenmeerschwein wurde trotz meiner Unschuldsbeteuerungen zur Strafe für die Tierquälerei an ein Nachbarskind verschenkt. Mein Bruder durfte seinen Zorro behalten; die Indizien sprachen gegen mich.

Hätte mein Bruder, der nur knapp ein Jahr älter war als ich, ein bisschen Schneid besessen, hätte er die Sachlage aufgeklärt, aber so hübsch er war, er war ein Schisser. Er hatte Schiss. So richtig Schiss, dass auch ihn mal der Kleiderbügel erwischen würde. So viel Schiss, dass er nicht mal, wenn er es sich ernsthaft vorgenommen hatte, die Wahrheit sagen konnte.

Er fing bei jedem Verhör durch meine Mutter an zu heulen und es kamen nichts als absolut überzeugend geschluchzte Lügen aus seinem Mund. Die meisten Prügel, die ihn hätten treffen sollen, musste ich einstecken. Hinterher tat es ihm immer wahnsinnig Leid und er bat mich um Entschuldigung, aber schon bei der nächsten Gelegenheit hexte ihm im entscheidenden Moment irgendein Schisserfluch die gleichen Lügen in den Mund, das Karussell drehte sich erneut und er hasste sich dafür, konnte aber trotzdem nicht über seinen Schatten springen. Also sprang er über meinen.

Ich kann jetzt nicht sagen, dass ich meinen Bruder gehasst hätte, auf jeden Fall nicht mehr als den Volker Köhler aus der Klasse über mir, aber mit heutigem Blick würde ich unser Verhältnis durchaus als angespannt bezeichnen und das nicht nur, weil ich, obwohl ich kein Junge war, seine alten Jeans auftragen musste.
Die Sache mit den Nein-Sagern ist die: Haben sie erstmal „Nein!“ gebrüllt, kriegen sie kein Ja mehr auf die Reihe, nicht mal, wenn sie es eigentlich wollen. Ist ein ähnlicher Fluch, wie die Schisserei meines Bruders. Er konnte nicht zugeben, wenn er etwas angestellt hatte, ich konnte nicht zurück aus meinem Zorn und klein beigeben, wenn es mich erstmal gepackt hatte.

Das einzig Gute daran, dass ich immer alles ausbaden musste war, dass es mir mit der Zeit immer weniger ausmachte. Augen zu und durch. Kopf auf Durchzug gestellt, Augen und Zähne zusammengekniffen, bloß nicht heulen, auf keinen Fall wimmern, bloß nicht zugeben, dass es wehtut und ansonsten auf dem roten Flauschboden hinter den Augenlidern innerkopfig summend abwarten, bis der Mist vorbei ist – eine Kunst, die mein Bruder nie erlernte. Ich war schon in der Grundschule ein cooles Luder, so ziemlich angstfrei. Was sollte mir schon Schlimmeres passieren, als das, was mir daheim sowieso passierte. Dresche? Pupsegal. Wer zuerst heult, ist ne Memme. Ich war keine.

Natürlich nagte es oft an mir, dass ich daheim immer an allem Schuld bekam. Wenn meine Rückseite grad mal wieder nach einer Tracht ausglühte und ich mich mit wehem Hintern unter meine Bettdecke verkroch, um meinen verletzten Stolz zu hätscheln, stellte ich mir mit Vorliebe vor, wie ich all meine Lieben bestrafen könnte.

Es lag mir – außer bei meinem Bruder vielleicht - nicht wirklich viel daran, mich körperlich zu rächen oder etwas kaputt zu machen oder so. Viel lieber stellte ich mir vor, wie da alle Verwandten, Bekannten und ganz besonders meine Mutter und mein feiges, verlogenes Brüderlein um mein Grab standen, weinten und bereuten, dass sie mich derartig behandelt hatten und welch nette Worte sie dort an meinem mit rosaroten Blumenkränzen geschmückten Prinzessinnengrab sprechen, welch schöne Erinnerungen sie hervorkramen und wie sehr sie mich vermissen würden. Von den selbstgesponnenen Grabreden war ich dann so gerührt, dass dort in meiner Bettdeckenhöhle sogar richtig dicke Tränen rollten.

Die Rührung hörte erst auf, als mir eines Tages klar wurde, dass ich, wenn ich nicht mehr da wäre, meinem Bruder zum Sonderstatus Einzelkind verhelfen würde. Er müsste dann weder seine Bonbons noch unser Zimmer mit mir teilen und würde vermutlich in meinen Sachen stöbern und sowohl den heiß umkämpften Plastikdelphin, als auch meinen Kassettenrecorder an sich reißen. Mal ganz davon abgesehen, dass er vermutlich mein Tagebuch durchstöbern und lesen würde, was ich da an Hasstiraden über ihn und meine Mutter hinterlassen hatte. Und er würde ganz bestimmt petzen und Mutter würde die Erde in fliegenden Klumpen aus meinem Grab kratzen, mich aus meinem Schneewittchensarg zerren und mich so vermöbeln, dass mich der liebe Gott ganz gewiss nicht in den Himmel lassen würde, das war mal sicher!

Als mein Bruder im Augenblick dieses Gedankenganges unvermittelt in unser Zimmer trat, war ich so aufgeladen, dass ich ihm einen tüchtigen Schwinger auf die Nase verpasste, die umgehend anschwoll, wie eine kleine, fette Tomate.
„Wofür?“, schluchzte mein Brüderlein und ich zischte nur grabeskalt:
„Du weißt ganz genau, wofür!“
Er hat nie wieder nachgefragt. Wahrscheinlich hatte er mir gegenüber ein so chronisch schlechtes Gewissen, dass es ihm irgendwie normal vorkam, dass ich ihm die Nase blutig schlug. Er rannte nicht einmal zu Mutter, um sich einen kalten Lappen verpassen zu lassen, er behielt es wirklich und wahrhaftig für sich, und das, obwohl ihn die Rache für etwas ereilte, das er noch gar nicht getan hatte. Nun, der Vorfall war das Ende meines Tagebuchschreibens. Mein kleines rotes Büchlein mit dem winzigen goldenen Schlüssel entsorgte ich am nächsten Tag in der Nachbarsmülltonne.

Kurz darauf kam es dann für mich noch einmal ganz dicke. Mein Bruder hatte die Pralinen aufgefuttert, die unser neuer Onkel meiner Mutter geschenkt hatte. Wir hatten nie viel Geld, Pralinen waren so selten wie Goldstücke, die Pralinen meiner bei Geschenkübergabe strahlenden Mutter ihr heiliger Gral.

Zufällig war schon länger keine unserer wangenkneifenden Tanten mehr zu Besuch gekommen. Mein Bruder litt also unter Schokoladenentzug und wer weiß, welcher Teufel ihn geritten hatte, er langte einfach bei meiner Mutter zu und legte mir, als ich gerade mit einer meiner Schulfreundinnen unterwegs war, eine der kleinen, kostbaren Köstlichkeiten auf meinen Nachttisch.

Ich freute mich riesig, als ich sie fand. Eine unerwartete Freude, die mir zeigte, dass meine Mutter mich trotz all unserer Auseinandersetzungen lieb hatte – ich strahlte mindestens so sehr, wie sie ein paar Tage zuvor bei der Übergabe besagter Pralinenpackung durch Onkel Wölfi. Das Strahlen ließ gleich nach, als meine Mutter ins Zimmer stürmte, mein „Danke schön!“ als Unverschämtheit auffasste und ihren großen Holzkochlöffel engagiert und gründlich auf meinem Allerwertesten zerschlug. Jetzt hatte ich endgültig die Nase voll!

Ich nahm mir fest vor, in ganz naher Zukunft mit einem wunderschönen Rüschenkleid in einem schneeweißen Sarg zu liegen und es ihnen allen auf diese Weise so richtig zu zeigen, Einzelkindersonderstellung für den Schisser her oder hin, genug ist genug.

Das Problem war nur: Wie stellt man das an, möglichst schmerzfrei auf jeden Fall als hübsche Leiche zu enden? Das mit den Schmerzen hatte dabei nicht einmal unbedingt Priorität, die würde ich durchstehen wie den Kleiderbügel. Aber woher sollte ich an das wundervolle Kleid kommen und wie macht man, dass man wirklich den perfekten weißen Sarg bekommt und nicht so ein Sargdings aus dem Sonderangebot? Mir wurde klar, dass dieser Punkt einer besonderen Planung bedurfte.

Als erstes schrieb ich einen Brief. Ich konnte recht gut schreiben, obwohl ich erst in der zweiten Klasse war. Ich war überhaupt recht gut in der Schule, schon um meinem Bruder zu zeigen, dass er außerhalb Mutters Reichweite der Vollversager war. Ich holte also den Briefblock meiner Mutter, setzte mich an den Küchentisch und schrieb:

Lieber Herr Beerdiger,
bitte schicken Sie uns einen wunderschönen weißen Kindersarg mit Glasdach, Größe 7-8 Jahre und bitte ein extraweiches Kissen, am liebsten in Rosa. Der Preis spielt keine Rolle. Bringen Sie eventuell auch noch drei oder vier rosafarbene Trauerkränze mit, damit alles gut zusammenpasst.
Hochachtungsvoll
Frau Salomon, Kiefernstr. 6 in Bochum-Langendreer

Diesen Brief faltete ich ordentlich zusammen, steckte ihn in einen Briefumschlag, klebte eine hellrote Briefmarke aus dem alten Briefmarkenalbum meines Vaters drauf, war besonders stolz darauf, dass ich an unsere Anschrift gedacht hatte und steckte ihn gleich am nächsten Morgen auf dem Weg zur Schule in den Briefkasten des Beerdigungsunternehmens Abendsonne, an dem ich jeden Tag vorbei musste. Dann überlegte ich, wie lange es wohl dauern würde, bis Herr Abendsonne – womöglich hieß er auch anders als sein Laden – seine Lieferung zu uns nach Hause bringen würde. Mindestens drei Tage, nahm ich an, höchstens eine Woche, der Weg war ja nicht so weit. Ich hatte also noch ein oder zwei Tage Zeit, bis ich zur schönen Leiche werden musste.

Jetzt war nur noch die Frage: Wie? Vom Auto überfahren lassen? Nee, lieber nicht, ich hatte gesehen, was mit Frau Kottowskis Dackel passiert war und das hätte auch im allerschönsten Engelshemd nicht mehr toll ausgesehen. Aufhängen? Nö, auch eher nicht, da quellen immer die blutigen Augen aus dem lila angelaufenen Kopf und die strecken die blaue Zunge raus, hatte mein Bruder gesagt, das war mir zu gruselig. Schöne Leiche, schöne Leiche, denk doch mal nach! Ich dachte und dachte und dann wusste ich, was ich zu tun hatte.

Meine Mutter hatte Tabletten und wenn man zu viele Tabletten nimmt, stirbt man, deshalb durften wir Kinder nicht an den sowieso abgeschlossenen Apothekerschrank, nicht mal, wenn wir krank waren. Tabletten. Ja. In Mutters Nachttisch hatte sie auch welche vor uns versteckt. Doch, ja, das war perfekt. Das klang doch nach der perfekten Methode, eine schöne Leiche abzuliefern.

Vielleicht sollte ich das gleich heute durchziehen oder zumindest bevor meine Mutter merkte, dass ich in der Kunststunde fast aus Versehen ein großes Loch in den kratzigen blauen Pullover geschnitten hatte, den ich Oma zuliebe schon seit zwei Tagen in der Schule tragen musste. Jetzt nur noch das tolle Kleid besorgen, dann konnte es losgehen. Und wie sie heulen würden, da an meinem Grab!

Ich marschierte gleich nach dem Unterricht los, zu Kortes, dem einzigen Bekleidungsgeschäft in Langendreer. Die Schwierigkeit war, dass ich nicht vorhatte, das Kleid zu kaufen. Ich hatte nämlich kein Geld. Ich würde es stehlen. Wenn ich dann so schön und tot im Sarg liegen würde, würden sie mir schon verzeihen. Und Tote kommen auch nicht ins Gefängnis. Ich begann also zu stöbern.

Bald hatte ich die gesamte Kinderabteilung durchgeschaut, aber ein Kleid, wie für Engel gemacht, war da nicht aufzutreiben. Als ich schließlich aufgeben und meinen Raubzug auf den nächsten Tag verschieben wollte, sah ich es an einer Aufstellpuppe.

Es war weiß und rosa, voller Blüten und Rüschen, ein bisschen durchsichtig und hatte sehr viel helle Spitze am Ausschnitt. Es hatte nicht unbedingt meine Größe, aber das würde im Sarg wohl nicht so sehr auffallen. Wirklich toll war, dass es ganz lang war, so lang, dass niemand Spekulationen darüber anstellen würde, ob ich meine Füße gewaschen hatte. Das Allerbeste aber war: Dieses Kleid gab es in kleingefaltet und in Folie verpackt. Damennachthemd stand drauf, aber ich ließ mich nicht vergackeiern, es war eindeutig ein Engelsgewand und ich würde wunderwunderwunderschön darin aussehen und tot und lieb und hätte dann im Himmel gleich genau das Richtige an. Dass es eigentlich zu groß war, würde auch nichts ausmachen, im Himmel schwebt man ja, da stolpert man nicht über zu lange Kleidersäume.

Ich stürzte auf den Verkaufstisch unter der Aufstellpuppe zu, schnappte mir in voller Fahrt eine Folienpackung, stopfte sie unter meinen leicht angeschnittenen und teilweise aufgerebbelten Strickpullover und wollte eben aus dem Laden stürmen, als ich von einer streng aussehenden Frau am Arm gepackt wurde. Sie fragte nach meinem Namen und ich nannte ihr ganz spontan und ohne weiter darüber nachzudenken den meines Bruders und erläuterte ihr, dass ich das Nachthemd morgen bezahlen würde. Allerdings musste ich meine vom Großen auf die Kleine vererbte Schultasche, auf der unser Nachname und unsere Adresse innen auf dem Leder in Großbuchstaben zu lesen war, als Pfand dalassen, was ich wirklich gern und ohne zu Zögern tat. Dann wurde ich mit strenger Ermahnung und der Drohung entlassen, sich an meine Eltern zu wenden, wenn das Geld morgen nicht auf dem Tisch läge.

Erleichtert, dass man mich nicht sofort ins Kindergefängnis gesteckt hatte, rannte ich mitsamt meiner Beute davon, ab nach Hause. Jetzt war eindeutig klar, dass es heute geschehen musste, den morgigen Tag würde ich auf keinen Fall überleben, dafür würde zur Not schon meine Mutter sorgen. Daheim angekommen, stellte ich fest, dass ich allein zuhause war. Klar, meine Mutter war bei ihrem Kaffeekränzchen und mein Bruder beim Blockflötenunterricht, der war nämlich musikalisch begabt und so etwas musste gefördert werden.

Im Garten schnitt ich die Blumen ab, derer ich habhaft werden konnte, band sie zu einem prachtvollen Strauß zusammen und schrieb meiner Mutter einen Zettel: Sei nicht traurig und keine Bange, Sarg ist bestellt. Dann nahm ich das Engelshemd aus der Verpackung, entfernte all die tückischen kleinen Nadeln, zog es an, holte mir die Pillen aus Mutters Nachttisch, pellte alle 21 aus der komischen runden Verpackung und schluckte sie mit sehr viel Himbeerbrause, an die ich eigentlich ohne zu fragen nicht gehen durfte, aber wenn schon, denn schon. Ich kämmte mir die Haare, trug Mutters Lippenstift auf, legte mich auf mein Bett und wartete darauf, dass ich sterben würde. Während des Wartens muss ich dann wohl entschlafen sein.

Ich erwachte unverhofft dadurch, dass meine Mutter an mir rüttelte und mir eine gewaltige Ohrfeige verpasste. Totsein hatte ich mir anders vorgestellt. Als Mutters Brüllerei wieder halbwegs verständlich wurde und ihre Hände keine Lust mehr hatten, mich durch und durchzuschütteln, entnahm ich ihren Lautäußerungen, dass die Verkäuferin von Kortes unsere Telefonnummer rausgesucht und angerufen hatte, weil ihr die Angelegenheit mit dem Nachthemd doch spanisch vorkam. Allerdings hatte sie wohl gesagt, dass es mein Bruder war, der das gute Stück entwendet hatte. Der stand neben meiner Mutter, heulte Rotz und Wasser und stammelte, dass er es nicht gewesen sei und das mit den Blumen auch nicht. Und dass er nicht mal wüsste, was Antibabypillen sind und…

Meine Mutter starrte mich mit einem Blick an, der ganze Landstriche ausgelöscht hätte und fragte: „War er das, hat er bei Kortes das Nachthemd für dich geklaut?“

Ich war plötzlich hellwach. Da war sie, die Gelegenheit, auf die ich meine halbe Kindheit gewartet hatte! Endlich sprachen die Indizien mal nicht gegen mich, endlich konnte ich ihm all die vielen Gelegenheiten heimzahlen, bei denen ich sein Päckchen hatte tragen müssen. Ich sah ihm triumphierend ins Gesicht und erkannte, dass er es auch wusste. Seine großen braunen Augen liefen über, seine Unterlippe zitterte und langsam, aber deutlich sichtbar zeigte sich ein dunkler Fleck auf seiner Hose, der sich immer weiter ausbreitete.

„Nein!“, brüllte ich. „Ich war’s.“ Und dann rollte ich mich zusammen, schloss die Augen und wartete im flauschroten Grund, bis sich die Wogen glätten würden. Heute war einfach nicht der richtige Tag, um mich an meinem Bruder zu rächen.

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Kommentare zu diesem Text

Marjanna (68)
(03.02.18)
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 Isaban meinte dazu am 03.02.18:
Danke für deine Rückmeldung, Marjo!
Liebe Grüße

Sabine
fdöobsah (54)
(03.02.18)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Isaban antwortete darauf am 03.02.18:
Hallo fdöobsah,

na, da habe ich ja wohl noch eine ganze Latte nachzuarbeiten. Am besten setze ich mich gleich mal dran. Vielen Dank für deine Beschäftigung mit meinem Text, das Lektorat und die investierte Zeit.

Liebe Grüße

Sabine


Edit: So, ich habe alle deine Verbesserungen und fast alle deine Anregungen übernommen. Noch einmal herzlichen Dank dafür, dass du dir die Arbeit gemacht hast, ich weiß es sehr zu schätzen.

Ich habe schon ewig keine Prosa mehr geschrieben (ein paar Sachen sind auch hier bei KV zu lesen) und ich fürchte, das wurde sehr deutlich. Es ist schon verrückt, wie betriebsblind man bei eigenen Texten werden kann, ganz besonders (aber nicht nur), wenn es sich um längere handelt. Wie gut, dass es Menschen gibt, die einen wieder auf den richtigen Weg bringen. Nochmals tausend Dank!

Liebe Grüße

Sabine

Antwort geändert am 03.02.2018 um 19:12 Uhr

Noch ein PS: Das Ende. Hm. Mist aber auch, genau darum geht es doch.

Antwort geändert am 03.02.2018 um 19:42 Uhr

 Sylvia (03.02.18)
Liebe Sabine,
ich frage mich, warum du in dem Text dem Bruder keinen Namen gegeben hast? Ich finde die 'mein Bruder' Wiederholungen anstrengender zu lesen als einen Namen. Insgesamt glaube ich, die Geschichte würde mit einer Kürzung gewinnen.

Lieben Gruß
Sylvia

 Isaban schrieb daraufhin am 04.02.18:
Liebe Sylvia,

weder die Ich-Erzählerin, noch Mutter, Vater haben einen Vornamen, nur einen Nachnamen für die Außenwirkung, selbst den Tanten und sonstigen Verwandten sind die Namen abhandengekommen, sie sind einfach Familie und bilden die Welt der Protagonistin. Und Familie ist ein ziemlich anstrengendes und komplexes Gefüge.
Die Mutter z.B. kommt ebenfalls sehr oft und immer Abstand, im Grunde einzig durch Funktion und Außenwirkung vor, der Vater nur ganz am Rande, von dem ist außer ein paar Erinnerungsstücken (Rasierer, Briefmarkenalbum), mit denen sich die Kinder - jedes auf seine Weise - beschäftigen nichts mehr zu sehen.
Außenstehende bekannte Größen beziehungsweise Störfaktoren wie der neue Onkel Klausi und Holger Köhler, der Erzfeind aus der dritten Klasse hingegen werden mit Namen benannt. Ich glaube, dieser Bruder braucht keinen Vornamen, sonst könnte er nicht so gut für alle Brüder stehen - so war es zumindest angedacht und ich mag mich nicht wirklich von dieser Idee trennen.

Kürzung. Ja. Ich habe mich gleich nach fdöobsahs Kommentar drangesetzt.

Hab vielen Dank für deine Rückmeldung.

Liebe Grüße

Sabine

 Sylvia äußerte darauf am 06.02.18:
Danke für deine Rückmeldung, Sabine :)
Ich habe eben den obigen Kommentar gelesen und die Geschichte ebenfalls, vor allem, weil sie glaubwürdig für mich erscheint.
Ich erinnere mich an eine Phase in der Kindheit, wo ich mich ständig vernachlässigt fühlte, alle nur ungerecht zu mir waren und andere lieber hatten als mich :)
Meine Tagebücher waren voller Selbstmitleid für eine gewisse Zeit. Deine Geschichte erinnerte mich daran.
Lieben Gruß
Sylvia

 Reliwette (05.02.18)
Und? Wie steht es mit Deinem Bruder heute? Alles verziehen? Ich nehme an, das es keine fiktive story ist?
Herzlichst! Hartmut

 Isaban ergänzte dazu am 05.02.18:
Hallo Meermann,
warum sollte es keine fiktive Geschichte sein?
Liebe Grüße

Sabine

 Elisabeth (25.12.23, 21:02)
Liebe Isaban,

mich hattest Du bei den 'Neinsagern'.

Es ist vielleicht keine typische Kindheitsgeschichte, aber die 'Neinsager' werden sich hier wiedererkennen (ich mich jedenfalls - und wenn mein 'Nein'-sagendes Kind deutsche Texte lesen würde wohl ebenfalls).

Egal ob fiktiv oder gespickt mit eigenen Erfahrungen, ich finde diese Geschichte ganz großartig (auch wenn ich ja nur eine redigierte Version kennenlernen konnte). Es könnte eine Geschichte sein, die die Autorin mit einigen Bauchschmerzen geschrieben hat - oder nicht - aber das sind meiner Meinung nach die besten Geschichten: die, in denen ein wesentliches Stück von uns selbst (oder unseren Erlebnissen) drinnensteckt - oder die zumindest diesen Eindruck glaubhaft vermitteln.

Herzlichen Dank dafür,

schöne Grüße von Elisabeth
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