Herzfehler

Kurzgeschichte

von  autoralexanderschwarz

„Es tut mir leid, aber Ihr Herz ist ohne Frage gebrochen“, sagt der Internist, nachdem er eine ganze Weile auf den Bildschirm geblickt hat, „sehen Sie hier“, sagt er, „alle diese feinen Risse laufen dort oben zusammen, dort hat es Sie getroffen und dies mit einer Schwere, die – wie ich zugeben muss – außergewöhnlich ist, und glauben Sie mir: ich sage das nicht einfach so; ich habe schon einige gebrochene Herzen gesehen.“

„Und kann man da nichts machen?“, fragt der Patient, der mit wachsender Bestürzung den Ausführungen des Arztes gefolgt ist und für den die vielen Linien und Kleckse auf dem Bildschirm keinen Sinn ergeben, „da muss man doch etwas tun können.“

„Ich will Ihnen da keine falschen Hoffnungen machen“, sagt der Arzt, „mancher Kollege würde Ihnen jetzt wohl erzählen, dass das schon wieder wird, dass Sie sich schonen und auf die Selbstheilungskräfte des Körpers vertrauen sollten, aber es heißt nicht umsonst 'gebrochen'", sagt der Arzt, „was ja nur ein anderes Wort für „unwiderruflich kaputt“ ist. Ein gebrochenes Herz ist ohne Frage ein sehr viel komplizierterer Fall als ein gebrochener Knochen, sehen Sie nur, der Riss zieht sich durch das ganze Organ.“

„Aber“, stammelt der Patient, „ich meine, wie soll ich denn damit weiterleben, wie soll ich mich verhalten, was raten Sie mir aus Ihrer Erfahrung heraus? Ich kann doch nicht mit einem gebrochenen Herzen leben.“

„Das wiederum“, sagt der Arzt und lächelt, „ist letztendlich erheblich einfacher als Sie jetzt vielleicht denken. Sie glauben ja nicht, wie viele Menschen dort draußen ein gebrochenes Herz  in ihrer Brust tragen, wählen Sie zehn beliebige Menschen auf der Straße aus und ich garantiere Ihnen, dass mindestens zwei darunter sind, die ein gebrochenes Herz verbergen. So gesehen ist Ihr Fall nichts Besonderes, auch wenn ich – wie bereits gesagt – zugeben muss, dass die Tiefe der Verletzung in Ihrem Fall ganz außergewöhnlich ist.“

„Und was raten Sie mir?“, fragt der Patient, der zwischenzeitlich etwas Mut geschöpft hat.

„Machen Sie erst einmal weiter wie bisher“, rät der Arzt, „richten Sie sich an Ihren Gewohnheiten auf. Manches wird Ihnen wohl zukünftig etwas gedämpfter erscheinen, manchmal werden Sie denken, dass der Schmerz unerträglich sei, aber bei manchen Patienten lichtet sich dieser Nebel mit der Zeit. Manchmal bekomme ich noch nach Jahren Postkarten, in denen Patienten mir schreiben, dass sie etwas zum Lächeln gebracht hat oder – aber dies nur sehr selten – dass Sie gelernt haben über ihr Schicksal zu lachen.“

„Jahre“, murmelt der Patient zu sich selbst, als er sich erhebt und langsam wieder anzieht, und wie zum Trost lässt der Arzt seine Hand einen Moment länger als nötig auf seiner Schulter liegen, als sie sich verabschieden.


Anmerkung von autoralexanderschwarz:

Der obenstehende Text ist Teil der Textsammlung „Reisen im Elfenbeinballon“, die im Athena-Verlag erschienen ist.  Reisen im Elfenbeinballon

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Kommentare zu diesem Text

ZUCKERBROToderPEITSCHE (60)
(05.02.18)
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 autoralexanderschwarz meinte dazu am 05.02.18:
Das tat er wohl.
Liebe Grüße zurück
AlX
ZUCKERBROToderPEITSCHE (60) antwortete darauf am 05.02.18:
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 autoralexanderschwarz schrieb daraufhin am 05.02.18:
... so hab ich's auch verstanden.
ues (34)
(05.02.18)
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 autoralexanderschwarz äußerte darauf am 07.02.18:
Vielen Dank. Freut mich.
LG
AlX

 eiskimo (05.02.18)
Toller Text, gut erzählt, hintersinnig!

 autoralexanderschwarz ergänzte dazu am 07.02.18:
Dank & Gruß
AlX

 tueichler (02.03.18)
Das haste aufm Punkt gebracht. Toller Text!
T
Piroschka (55)
(19.11.18)
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