Frokostbuffé for one

Erzählung zum Thema Menschlichkeit

von  eiskimo

Da biegen sich die Brötchentheken, verlocken zig verschiedene Joghurts und noch mehr lecker arrangierte Cerealien, von Eierkreationen und Aufschnitt-Mosaiken ganz zu schweigen – doch der Alleinreisende droht zu verhungern… seelisch. Hier die  bunte Fülle, da die Verlorenheit des einsamen Fressers.  Trifft Crispy  da auf  Depri?
Nein, ganz so schlimm ist es nicht. Ich hatte diese Zehn-Tage-Reise nach Skandinavien ja selbst gewollt, und selber auch dieses riesige Stadthotel im Zentrum Oslos gebucht. Die eine Tageshälfte, so mein  Plan, Skifahren am Holmenkollen, die andere Hälfte In-Kultur-Eintauchen downtown. Und morgens … Frokostbuffé.
Jetzt sitze ich da also wieder, es ist mein vorletzter Tag, und aus 200 Zimmern  bewegen sich herab, in unstetem Fluss, die hungrigen Gäste, alle gezielt der Tafel folgend  „Frokost from 6 till 10“.  Ich kann es mittlerweile hier , nach acht sattmachenden Selbstversuchen, ganz gut  beurteilen, das Publikum ebenso wie das Angebot auf der kulinarischen Bühne. Denn ich sitze wieder allein, habe wieder geschlagene 30 bis 40 Minuten Zeit,  diesen Selbstfütterungsbetrieb auf 20 x 25 Metern zu beobachten: Menschen, die die Art und Menge der Futtermittel selbst bestimmen können, die  frei sind,  um  ihren Gelüsten und/oder  Gewohnheiten  zu folgen…
Ich selbst habe in meinem ersten Thekendurchgang das herangeholt, was ich vorab und begleitend immer trinken muss:  Obstsaft und Kaffee. Jetzt steht da schon das Müsli-Schälchen, wieder etwas zu voll geraten, weil zu den gelben Cornflakes noch braune Flocken und auch noch die Bircher-Klassik-Mischung hinzu gerieten – Milch und Blaubeer-Joghurt in einer Zwischenetage waren da schon platzschaffend eingesickert. Die Frage, ob es mit einer Prise Zucker oben drauf insgesamt nicht doch besser schmeckt, die stelle ich erst einmal zurück. Schließlich kommen gerade wieder Pulks von neuen Essern, die mit souveränem Blick den für sie genehmen Tisch herausgucken. Einige gehen aber auch direkt zur  „Sache“, sprich holen sich schon mal einen Kaffee (8 Varianten sind im Programm), trinken ihn auch direkt am Automaten an und sondieren  dann die Lage. Man sieht, wie ihre Augen kritisch über den an den Mund geführten Tassenrand schweifen.  Ein Ehepaar geht arbeitsteilig vor. Madame holt für beide die Getränke,  Monsieur  trägt schon einmal zwei Eierbecher nebst  Eiern und Löffelchen zum auserkorenen Tisch. Dann gehen sie sofort wieder los, die nächsten Frokost-Bröckchen aufladen. Eine allein essende  Frau, auf die ich als allein essender Mann schon ein neugieriges Auge geworfen hatte, erhebt sich plötzlich und winkt – da kommen aus dem nächsten Pulk offenbar Ehemann und 10jähriger Sohn zu ihr.. mit einiger Verspätung. Denn sie ist inzwischen fast fertig.  Sohnemann scheint null Hunger zu haben,  denn kaum auf seinem Stuhl, senkt er sofort den Kopf Richtung Knie, wo  sein Smartphone liegt und ihm das Menu vorgibt.  Oben auf dem Tisch bekommt er von Mama Saft und Brötchen hingestellt… bevor Mama und Papa nun ihrerseits ihre Smartphones herausholen.
Das Comic-Gequäke, das von dieser Familien-Idylle  zu mir dringt  und mich etwas nervt, lässt mich mich abwenden  und wieder den ganzen Saal in Augenschein nehmen. Gelegenheit, das Publikum insgesamt etwas zu sortieren. Es überwiegen natürlich die Skandinavier oder Einheimischen. Die erkennt man an der sportlich-lässigen Kleidung, im Stil der angesagten Marke  Helly Hansen. Die Frauen sind dabei gar nicht oder nur sehr dezent geschminkt. Tatsächlich sind sie meistens blond, jedenfalls  von den Männern kleidungsmäßig kaum zu unterscheiden. Letztere tragen vielfach Bart, einige wenige auch lange Haare, fast Wikinger-mäßig. Alle zusammen sind sie selbstsicher im Auftreten ohne laut oder wichtigtuerisch daher zu kommen.
Deutlich anders im Vergleich dazu die Asiaten, zweitstärkste Gruppe. Hier sehe ich größere „Rudelbildung“, vielleicht sind es Reisegruppen, jedenfalls  zeigen  sie einen einheitlicheren Look, wobei die Frauen deutlich anders gekleidet sind als die Männer, femininer. Sie alle reden auch viel mehr, brauchen für das Frühstück auch länger oder nehmen sich einfach mehr Zeit: Ähnlich wie die Einheimischen stehen sie eindeutig auf „salzig“. Dabei bevorzugen sie alles, was mit „bullar“ umschrieben ist: Fleisch- und Fischbällchen, die unvermeidlichen roten Würstchen und … baked beans. Dazu große Mengen Toast.
Bei mir kommen die salzigen Sachen immer erst am Schluss (falls noch Platz ist). Meine Reihenfolge ist nämlich erst einmal „deutsch“, das heißt es muss etwas Knuspriges her,  z.B. Cornflakes  mit Obst  und dann Brötchen mit Marmelade. Hier in Oslo genieße ich den „Apelsin“-Aufstrich mit kleinen Stückchen Schale drin.
Eine dritte Gruppe,  die mir jetzt ins Auge (und ins Ohr!) sticht, das sind die Italiener. Die kommen hier immer erst spät, aber dann mit Macht, und zwar als Großfamilien.  Das konnte ich  schon zwei oder drei Mal so  beobachten:  Vorne weg  die Clan-Chefinnen,  selbstbewusst die freien Tische scannend und auch dominant den Platz aussuchend.  Die eine „mama“  war wohl gerade noch unter der Dusche – die Haare sind üppig und  noch nass – aber kein Problem. Zwei Frauen  beginnen, einen Gruppentisch herzurichten, besorgen reichlich Brot und Aufschnitt, da kommen Ihre halbwüchsigen Kinder,  gestikulieren und argumentieren intensiv  und … setzen sich dann an einen anderen Tisch , recht weit weg.  Die Männer kommen als letzte, komplettieren den nun zu Ende gedeckten Erwachsenen-Tisch und brauchen nur noch zu essen, während die" ragazze"  sich üppig mit Frischobst , Cornflakes  und Brötchen versorgen. Dann beginnt ein reges Hin und her zwischen diesen beiden italienischen „Nestern“, wobei die Mütter wieder am lauffreudigsten sind. Frühstücksbüffet  und Frühsport "in combinazione"…Am Ende formen sie aus den angehäuften Brotstapeln Sandwiches und packen sie in die extra mitgebrachten Plastiktüten – ja, so funktioniert  familiengerechte Fürsorge in einem teuren Nicht-Euro-Land….
Bevor ich jetzt den Blick lenke zu einem arabisch anmutenden Pärchen, muss ich selber noch einmal los, Richtung Brot-Theke. Da ist nämlich eine  neue Fuhre Croissants aufgetragen worden, ofenfrisch und knusprig. Sofort habe ich Konkurrenz von diversen Tischen, denn die süßen Backwaren gehen hier – so meine Erfahrung - weg wie warme Semmeln.
Auch mein junger Nachbar aus Nahost hat sich in dezenter Eile um die französischen Butterhörnchen  bemüht – erfolgreich. Sechs Pains au chocolat türmen sich auf seinem Teller, den er nun zufrieden zu seiner Partnerin heimführt. Die hat in der Zwischenzeit  beim „silt“  zugeschlagen, der Fischabteilung, wo sie Hering in gelber, roter und neutraler Soße arrangiert hat – dazu ein imposanter Stoß Toastbrot.  Ich begnüge mich mit einem etwas ramponierten Croissant, zapfe auf dem Rückweg noch einen frischen Kaffee und schlängele mich zu meinem Tisch zurück.
Dann  passiert das, was ich in diesem Osloer Hotel als absolutes Highlight ansehe, sozusagen das Sahnehäubchen  des Frühstückbüffets, ein  menschliche Sahnehäubchen.
Denn es kommt herein ein älteres Paar in gebückter Körperhaltung, beide an einem Rollator gehend, beide Gehhilfen haben sie vollgehangen mit Plastiktüten. Ich habe dieses Pärchen schon an den Vortagen mit großen Augen beobachtet und aus ihrem Verhalten geschlossen, dass es Norweger sein müssen, ganz eindeutig. Denn sie grüßen das Personal, winken mal zur Küche  und mal zur Rezeption hin.  So  auch jetzt, wo sie sich am Rande des Saales einen Tisch suchen. Sie ziehen ihre speckigen Jacken und Pudelmützen aus, während die Gäste drum herum tapfer so tun, als sähen sie diese Exoten gar nicht. Man spürt eine gewisse Distanz, die sich da aufbaut. Im Gegenzug kommen aber zwei der Kellner munter parlierend zu den zwei neuen Gästen  und liefern ab: Eier, Brot, Aufschnitt – kurz, ein Frühstücksbüffet à la carte.  Wie an den Vortagen auch, als ich diese Einlage beobachten konnte, bin ich auch diesmal ergriffen, denn hier werden gerade zwei Obdachlose für den Tag verköstigt. Eigentlich sehe ich nichts Spektakuläres – zwei ältere Mitmenschen nehmen Teil am frühmorgendlichen kollektiven Essenfassen.
Doch ich erlebe auch etwas absolut Sensationelles:  Berührungsängste werden  überwunden,  Denk-Barrieren  durchlöchert, ja, das Kastenwesen  einer  modernen Metropole wird aufgesprengt ….Den sowieso Satten und Wohlsituierten wird zugemutet, schon früh morgens sozusagen auf nüchternen Magen den Geruch der Straße zu ertragen – und sie ertragen es.
Ich spüre im winterlichen Oslo bei Außentemperaturen von minus fünf bis zehn Grad und Dauerfrost  hier, beim Frühstücksbüffet,  eine wohltuende …Wärme.  Ob diese besondere Gastfreundschaft  vom Personal in Eigeninitiative so praktiziert, vom Hotelmanagement toleriert, vielleicht aber auch angeordnet  oder gar als konzertierte Aktion in allen norwegischen Hotels so im Winter beschlossen wurde, das weiß ich nicht.
Für mich ist dieses Erlebnis aber DAS erzählenswerte Highlight meiner Oslo-Reise. Und wenn ich eingangs von einem eher tristen Frühstücksbüffet „for one“ sprach, dann korrigiere ich hiermit diese Überschrift und sage: Es war ein Frühstück „for all“.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (18.02.18)
"Sentrum"? (kurz darauf: "Holmenkolln") ...bis dahin schon reichlich seltsame, zusätzliche Leerzeichen. Ich bitte darum, uns Lesern nicht alles ungeprüft einfach so vor die Füße zu rotzen! Wir sind nicht Menschen zweiter Klasse.

Nichts für ungut.

 eiskimo meinte dazu am 18.02.18:
Warum so aggressiv? "Sentrum" ist die norwegische Schreibweise für Zentrum, Holmenkolln sah ich dort mal mit, mal ohne e hinten, und die Leerzeichen entstehen schon mal, wenn ich in meiner Word-Version Anführungsstriche mache, die dann aber hier im KV-Fenster plötzlich nicht mehr da sind.
Im Übrigen bitte ich alle Leser, denen ich fehlerhafte Passagen "vor die Füße rotze" und die sich dadurch als "Menschen zweiter Klasse" fühlen, um Verzeihung. Wer meine Texte vom Inhalt her begreift, käme aber eh nicht zu einer solchen Schlussfolgerung...
Locker bleiben hilft!
eiskimo

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 18.02.18:
Wie soll das denn gehen, einen Text gegenüber aggressiv zu sein?
Wenn Du keine Kommentare bzw. kontruktive Kritik wünscht, das kann man hier so einstellen, "soundso wünscht keine Kommentare".
Die zentrale Frage ist: Willst Du Dich den handwerklichen Problemen des Textes stellen, oder nicht? Was hält Dich denn davon ab, den Text im kV-Fenster einer (letzten) Kontrolle zu unterziehen?
Nichts für ungut, bitte nicht (niemals) persönlich nehmen, mir geht es nur um den Text.

 Dieter_Rotmund schrieb daraufhin am 18.02.18:
Und: Ist der Text an sich ambitioniert? Strebst Du damit nach Höherem oder willst Du damit 08/15 bleiben?
An seinen besten Stellen erinnert Fokostbuffé nämlich an A Supposedly Fun Thing I’ll Never Do Again: Essays and Arguments, deutscher Titel "Schrecklich amüsant - aber in Zukunft ohne mich", jedoch bis zu einer Qualität eines David Foster Wallace-Werks wäre es noch ein weiter Weg für den Text!

 eiskimo äußerte darauf am 18.02.18:
Also, erst einmal Danke, dass Du Dir überhaupt die Mühe machst, meinem Geschreibsel so viel Aufmerksamkeit zu widmen. Aber ich kenne den genannten Autor nicht und auch nicht das zitierte Werk, insofern will und kann ich mich nicht daran messen...
Konstruktive Kritik ist okay, aber wer von "vor die Füße rotzen" spricht bei ein paar falschen Leerzeichen, sollte mal seine eigenen Texte Korrektur lesen. Um Deinen vorletzten Kommentar zu nehmen: 1. Zeile: da müsste es heißen EINEM, 2. Zeile: KONSTRUKTIVE Kritik WÜNSCHST; 5. Zeile: Das Komma ist zu viel....
Nichts für ungut
E.

 idioma (18.02.18)
Dieser Text bringt mir unseren Aufenthalt in einem Budapester Riesenhotel in Erinnerung : für uns privat praktisch gelegen und schön, da schon etwas höher am sanften Hang des "Rosenhügel", aus dem 10. Stockwerk blickend die ganze Prachtsstadt zu unsren Füßen, samt Sonnenunter- und Mondaufgangs-Schauspielen..... Aber dieses Hotel war auf Sportler spezialisiert und ausgerechnet wegen osteuropäischen Wrestling-Meisterschaften randvoll besetzt ! Wir bemühten uns, recht früh beim Frühstück zu erscheinen, aber diese vielfach tätowierten kräftigen Menschen waren auch schon alle da : Das Buffet quoll über, aber damit nicht genug : der persönliche Tisch musste brechend voll angerichtet werden mit pyramidenartig aufgehäuften Angeboten aller Art, dafür waren die treusorgenden nicht minder kräftigen Ehefrauen zuständig…… Wir bemühten uns dann recht spät zu erscheinen, da war das Gedränge am Buffet nicht mehr ganz so heftig, denn die Gesättigten waren an ihren Tischen mit Türmebauen beschäftigt : Brot-Belag-Brot-Belag-Brot-Belag-Brot-Belag usw. usw. usw. bis ca 25 - 30 cm hoch, dann samt Servietten gekonnt in einer mitgebrachten Plastiktüte verstaut, lässig die Sportjacke drüber gehängt und auf in den Kampf….
Wir waren aber nicht die Letzten, noch später als wir erschien eine alte dicke Frau mit ebenso dicken Plastiktüten und Stoffbeuteltaschen ausgerüstet. Sie setzte sich ganz abseits und hatte es besonders auf die Spaghetti- und Kartoffelauflauf-Paletten, auf Würste und Frikadellen abgesehn, was brunchartig nahtlos zum Mittagessen überging….. Sie holte sich zwei vollbeladene Teller,
aber anstatt zu essen, machte sie sich an ihren vielen Taschen zu schaffen…… Als ich wieder hinschaute, lief sie mit den leeren Tellern bereits wieder zum Buffet ! Aber das kann doch nicht sein, in so kurzer Zeit kann niemand zwei solche Teller aufessen ! Sie kam alsbald mit neu gefüllten Tellern zurück zu ihrem Platz. Diesmal ließ ich sie nicht aus den Augen und da ihre Blicke in die Runde schweiften, bemerkte sie, dass ich sie beobachtete. Sie aß keinen Bissen und wartete, verlor aber schließlich die Geduld und ich sah, wie sie - schwupps - den ganzen vollen Spaghettiteller in eine ihrer Taschen kippte, die also eigens dafür vorgesehene leere Gefäße enthielten. Wir brachen auf, deshalb weiß ich nicht, wie oft sie das noch wiederholte….. vielleicht ergänzte sie auf diese Weise das bevorstehende spärliche Mittagessen ihres ganzen Altenheims ??? Ich hab diese Frau andern Tags nicht wiedergesehn, aber es gibt ja noch viele andere große Hotels in Budapest……..
idi

 eiskimo ergänzte dazu am 18.02.18:
Auch eine Büffet-Geschichte aus dem Leben! Offenbar zeigen Menschen bei dieser Art der Beköstigung ungeahnte Talente (oder muss man sagen Frechheit?)
Ja, wenn es ums Fressen geht.....
lG
Eiskimo

 idioma meinte dazu am 19.02.18:
Hunger leidet östlich eigentlich niemand,
im Gegenteil : die Leute sind durchschnittlich enorm beleibt !
Die Gründe sind komplizierter :
Das Frustpotential im Alltag ist immernoch enorm hoch, allzu vieles liegt im Argen, ist enorm mühsam, ist vergammelt, momentan leider kaputt oder schlicht nicht zu haben........ ABER DAS ESSEN : allzeit und in unglaublicher Fülle als Ersatzbefriedigung greifbar, alle Frauen durch alle Schichten göttliche Köchinnen und Süssigkeitenbäckerinnen und da wird überall jederzeit zugegriffen und verdrückt, was nur irgend geht.....
Auch als Besucher bzw. Tourist ist man von genug überraschendem Frust betroffen und fällt dann prompt auf die Ersatzbefriedigung rein und kommt garantiert 2 - 3 kg schwerer heim..........
idi
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