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Trennung II

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von  pentz

Fortsetzung zu Trennung I

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Als ich ihr nach etwa drei Jahren wieder begegnete, traf ich eine zitternde, schwermütige, gebrochene Frau. Es war bezeichnend, daß es auf einem Weihnachtsmarkt stattfand. Wie zu erwarten hatte sie vier Monate zuvor dafür Abends für Abends gebuckelt, geschuftet, genäht, geplant, so daß neben ihren 50 Wochenstundentag mit 8 Stunden Fahrt inbegriffen kaum mehr etwas für ihre Freizeit übrigblieb, zumindest nicht für die Männer, die sie sich wünschte, daß sie einer nach dem anderen in ihre Kiste rein- und raussprangen. Sie lachte dazu sarkastisch, den Kopf schüttelnd. Bei den Luxusurlauben, ein Ziel, welches sie leicht und locker erreichen durfte angesichts der bloßen Frage des Geldes, reagierte sie genauso zerknirscht.
Nu, was denn?
„Am Freitag Abend kam kaum einer auf den Weihnachtsmarkt, so daß ich beinahe depressiv wurde!“, ein Geständnis, welches so gar nicht in diesem öffentlichen Rahmen einer Feier passte, so daß ich darüber erschrocken, daß sie sich derartig vor aller Augen gehen ließ, sofort beschwichtigend dazwischenfuhr: „Aber mittlerweile scheint es ja geklappt zu haben, was das Wichtigste ist.“ Sie trug einen bis zum Bauchnabel herabhängenden Beutel um sich, aus denen die Geldscheine herauswinkten und -lugten.
Naja, Geld hatte sie wenigstens. Was nur wollte sie mehr?
Sie schnaubte wie ein Roß, zitterte wie eine alte Mähre und lamentierte wie ein geschorenes Schaf. Ich dachte, sie habe bestimmt Parkinson, eine Nervenkrankheit, als ich sie so von oben herab betrachtete, ich, der gut 30 Zentimeter größer war. Sie war dicht an mich herangetreten, immer wieder schaute sie mir direkt in die Augen, als klammerte sie sich an mich. Ich erzählte, daß es mir gut ging, mir meine Zähne gerichtet hatte die letzten einundeinhalb Jahre, wobei sie, die ständig unter Zahnverfall litt, immer noch ihre unteren Zähne vernachlässigt kunterbunt neben- und voreinander standen, äußerte, daß auch sie sich dies endlich mal machen müsse.
Zeit genug, hätte sie ja gehabt. Geld nicht minder. Also was war mit ihr los?
Wahrhaft, sie hatte allen technischen, handwerklichen, zivilisierten Komfort. Aber leider ist dieser mitunter sehr schädlich für den Organismus. Wenn sie Spätabends heimkam, musste es schnell gehen mit dem Essenzubereiten. Also hatte sie eine die ganze Wand belegende Kochnische, Kochreihe, Kochapparatur, die unter Neonstrahlern optimal ausgeleuchtet war - daß der Küchen- und Essraum nur ein Fenster besaß, das zum kleinen Balkon hinauswies, war etwas zu wenig gespendetes Licht. Und künstliches Licht zerstört Hormone, beeinträchtigt die Drüsenfunktion, vielleicht auch das Zahnfleisch, so daß hierin die Ursache des Zerfall in ihrem Mund zu finden ist?
Was war nur los mit ihr?

Diejenigen Menschen, die sozialistisch, sozial und für den anderen denken, sind gut. Aber die Menschen verändern sich und werden zu dem gerade Gegenteiligem, dem, was sie einst verabscheut, bekämpft und wogegen sie neuralgisch waren. Später wissen sie es nicht mehr. Sie sind noch gegen einen Teil dessen, was sie als negativ erachtet haben, aber ein anderer Teil wurde bereits von diesem Negativen absorbiert. Sie merken es nicht.
Aber andere.
Sie verstand sich stets als Kapitalistin. Sicher, gegen die Umweltzerstörung war sie, deswegen diese Partei wählend, die vorgibt, gegen sie zu kämpfen, die Grünen, aber das widersprach nicht ihrem Anspruch, bei der Gruppe mit dabeizusein, die das Sagen auf der Welt haben, den Kapitalisten.
Ihr Bruder wurde ein kleiner Kapitalist dadurch, daß er das meiste geerbt hatte - ihr blieb wenig, das Wenige war ihr Ansporn, damit und darauf wieder Großes aufzubauen.
Besitz, das ist das magische Wort!
Eine Eigentumswohnung!
Abzahlbar in Raten, die sie bestimmt aufbringen würde!
Die Banken kauften ältere Häuser, Vielfamilien-Hauser auf und rüsteten sie auf. Besonders schmerzte es, die alten Holzvertäfelungs-Treppenhäuser von kruden Verkachelungen substituiert sehen zu müssen nach einer solchen Renovierung, aber  egal, ihre eigene Wohnung würde sie um so schöner gestalten. Dies geschah, indem selbst der Boden so dick bearbeitet und verlegt wurde, daß der Nachbar unter ihr kaum etwas von den Schritten über ihm hörte. Leider mangelte diese Schalldämpfung über ihr. Sie hatte es übersehen, diesen nachteiligen Aspekt ihrer Wohnung, so sorgfältig sie auch alle Für und Wider überlegte, zu wägen und taxieren imstande gewesen war - aber dies hatte sie übersehen.
Darüber wohnte ein bekennendes linkes Ehepaar. Der Mann, Gymnasiallehrer und kommunalter, linker Abgeordneter, die Ehefrau  arbeitslose Buchhändlerin, ein Intellektuellenpaar par excellance ist es. Sie pflegen einen Literaturkreis, der sich einmal monatlich zur Besprechung einer Lektüre trifft,  sind engagiert in der Flüchtlingspolitik, laden oftmals eine Autorin zum Kaffeekränzchen in ein schickes Bistro, Lokal oder Vorstadt-Lädchen ein. Das hebt  das Renommeé des Mannes, der als Linker Stadtratskandidat in der Öffentlichkeit in Erscheinung tritt. Es wird auch einmal eine Sammelaktion für verfolgte Journalisten im Ausland unter ihrem weitläufigen Bekanntenkreis  gestartet oder, was besonders gut ankommt, zudem in der Tagespresse verkündet – Spenden erwünscht – für eine Frau, die in einem Dritte Welt Land wegen ihres Frauseins oder ihrer Schreibe oder ihrer Ideologie verfolgt, eingekerkert und drangsaliert wird. Pamphlete und Briefe an den jeweiligen Präsidenten des Landes wurden versendet.
Während der Formlierung eines solchen Solidaritätsschreibens stolziert und stalkt die linke Dame mit ihren hochhackigen Stöckelschuhen durch ihre großen Eigentumswohnung, zum Leidwesen der unteren Mietpartie, ihr. Sie wird stets mit dem Feuerwerk eines Gedonneres, Gehämmeres und Gestakeles bearbeitet, eingedeckt und überschüttet, daß die Nerven blank liegen, denn der Lärm dringt in jeden Winkel ihrer Wohnung hinein, ausgenommen vielleicht ins Arbeitszimmer, in die kleine Schneidermanufaktur, in der ihre Nähsachen, -utensilien und –maschinen stehen – na gut, mach das Beste aus der Not, setz Dich halt an die Nähmaschine und arbeite und arbeite, dann hörst Du auch nicht die Dauerattacken von oben.
Ansonsten jedoch ist sie sich mit jedem Schritt über ihr, der zu hören war, bewußt, daß sie im Grunde nicht Dame ihrer Eigentumswohnung ist. Der linken Feministin über ihr, auf ihren Radau angesprochen, ist das herzhaft gleichgültig. Sie promeniert weiterhin wie es ihr gefällt. Sie, die unter ihr Wohnende, sitzt in der Falle, zu spät erkannt, denn jetzt hat sie schon den Ratenzahlungs-Vertrag mit der Bank unterschrieben, die Wohnung paradiesisch schön hergerichtet, mit nur einem übersehenen Makel: Es ist laut wie in einer Katakombe, über der die Gesteinsbrocken in einem kleinen Erdbeben immer wieder hin- und herrollen, auf sie drauffallen, eindonnern und auf ihren Nerven herumtrampeln.
Ihre Wohnung, selbst entworfen und geplant, keine Tür stößt mit einer anderen zusammen, alles ist wie es sein sollt eingerichtet, von Grund auf, aber leider nicht gehört und erkannt, dass die Decke zu dünn ist: nun lief ein Poltergeist über sie hin und her und zermürbte sie.

Es ist sehr schwer zu ertragen, im Reich der Schönen und Reichen hässlich und arm zu gelten. Zumal der leibliche Bruder, mit dem man, aufgewachsen und als ältere Schwester kommandiert, gewaschen und bekümmert hatte, zu den ersteren zählte. Da will man auch dazu gehören, das ist gleichsam ein erblicher Rechtsanspruch. Dafür muß man vielleicht kämpfen, aber man gehört dazu, gasklar. Jedenfalls würde sie keine törichte Jungfrau sein und die Stunde verpassen, wo das Tor vor ihrer Nase zugeschlagen würde. Sie würde die Zeit zu nutzen wissen - nimmt sie sich vor und schuftet und schuftet Aber die Realität sprach an ihrem Körper eine andere Sprache.

Ich kann mir gut vorstellen, weil sie dies während unseres Kennenlernens angesprochen hatte, als sie noch unschlüssig war und mich wieder loshaben wollte, stattdessen lieber einen sogenannten Callboy für ihre körperliche, geschlechtliche Befriedigung zu mieten, dass sie dies vielleicht heute tat...

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