Ein Kind der Nacht

Prolog zum Thema Vampire

von  ThalayaBlackwing

Elisabeth, versunken in vollständiger Dunkelheit rang mit einer Bestie, die so groß und monströs war, dass ihr purer Anblick ihr schier den Verstand zu rauben drohte. Es schlug nach ihr, schnappte nach ihr und biss sie, kratzte, krallte, trat, fauchte, schrie. Aber auch Elisabeth wehrte sich, aber wie sollte sie gegen so ein Biest bestehen? Ihre Kräfte schwanden und der Kampf schien entschieden, da fiel ihr etwas ein, was sie noch nicht versucht hatte.

„Ruhig, Kätzchen, ruhig. Warum so wütend?“

Das Monster in ihr hielt inne. Es ließ Elisabeth nicht los, aber es trat nicht mehr nach ihr. Jetzt blickte sie in zwei gelbe Katzenaugen, die Zeichnung, um die Augen herum einmalig und eindeutig. Da war noch mehr zu dieser Kreatur als die Katze, die sie jetzt sah. Viel mehr, ein größeres, dunkleres Monster, aber jetzt hatte sie die Katze zu fassen bekommen.

„Du bist ein Luchs. Nein… eine Luchsin. So ein schönes Fell hast du.“

Die Luchsin, eitel, trat zurück und präsentierte sich. Und dann konnte Elisabeth hören, sehen, riechen, fühlen und schmecken, was noch verborgen war. Eine tiefe Dunkelheit, die jagen, fressen, töten und zerstören wollte. Sie musste hier weg und die Luchsin auch.

„Wo bin ich hier nur gelandet? Wir müssen hier weg.“

Die Luchsin aber schüttelte den Kopf, es wirkte fast traurig.

„Ich bin Finola und das bist alles du“

Und dann war alles verschwunden und Elisabeth öffnete die Augen. Es war noch immer dunkel, sie lag auf dem Rücken im Wald. Aber was war das? Diese Geräusche, so laut, so viele, diese Gerüche? Sie schloss die Augen, weil die Dunkelheit zu hell war, zu viel preis gab. Und dann war da dieser Hunger, der sie schier wahnsinnig machte. Sie stand auf und rannte. Sie rannte so schnell ihre Beine sie tragen konnten und es war kein Laut zu hören.
Dann hörte sie es, laut kauend, atmend. Ein Tier, groß genug für sie. Sie fletschte die Zähne. Mit einem Mal spürte sie den Schmerz als sich die spitzen, dünnen Eckzähne aus dem Kiefer schoben. Sie lauschte, lauerte und schlich sich an. Da war es, ein kleines Reh und sie war die große Jägerin. Vorsichtig ging sie in die Hocke, schlich weiter, suchte die beste Position. Dann sprang sie los. Ihre Zähne fanden ihr Ziel, sie biss zu und dann erfüllte sie Wärme und Kraft. Mit jedem Schluck den sie trank, klärte sich ihr Geist. Aus dem Hunger wurde Ruhe, aus dem Raubtier wieder eine Frau. Als das Tier schließlich des letzten Blutstropfen entleert war, stand Elisabeth da, zitternd ob ihrer Tat und gleichzeitig froh. Sie blickte ein letztes Mal zu dem Tier hinunter, dankte dem Reh, dass es gestorben war, damit sie leben konnte, so wie sie es schon immer getan hatte, wenn sie gegessen hatte. Dann ging sie fort.

Elisabeth wanderte ziellos, ahnungslos durch den Wald. Sie hatte das Gefühl, beobachtet zu werden, doch sie war ein wildes Tier, dass sich nicht wohl fühlte und so ergriff sie stets die Flucht. Sie lief, rannte, pausierte kaum. Sie lief vor sich davon, dem oder den Wesen in ihr drin und vor dem Lächeln der Frau, dass sie gesehen hatte, bevor… ja, bevor was passiert war?

Sie wollte nicht genauer darüber nachdenken, irgendwas in ihr sträubte sich davor. Stattdessen rannte sie. Aber es stellte sich keine Erschöpfung ein, kein Ringen nach Luft, keine schmerzenden, übersäuerten Muskeln.

Als die Nacht sich dem Ende neigte, kam Unruhe in Elisabeth auf. Sie wusste nicht, was es war, aber sie hatte Angst davor. Sie lief umher, nicht wissend, was sie tun sollte. Dann änderte der Himmel seine Farbe. Das tiefe Schwarz der Nacht verblasste, wurde erst dunkelblau und dann immer heller. Elisabeth starrte gen Osten und Panik stieg in ihr auf. Sie kämpfte sie nieder, doch es war schwer. Und dann rannte sie, gen Westen, weg von dem beginnenden Tag. Sie fand einen umgestürzten Baum, der das Erdreich soweit aufgerissen hatte, dass eine Höhle entstand. Sie huschte hinein und verschloss den Eingang mit Erde. Dann setzte sie sich ans andere Ende der Höhle und bald umfing sie dankbare Dunkelheit.

Als das Leben in ihre toten, kalten Glieder zurückkehrte, erhob sie sich aus dem Loch, klopfte sich den Dreck von den blutbefleckten Kleidern und ging zurück in den Wald. Viele Nächte verbrachte sie dort, lief, jagte, tötete. Auch ein Mensch fiel ihr in dieser Zeit zum Opfer. Es quälte sie nur kurz. Aber es brach etwas in ihr frei. Sie wusste wieder, wer sie war, bevor sie wurde, was sie nun ist. Sie hatte eine Begegnung, war es ein Traum?, mit einem Wiesel, dass mit ihr sprach. Es verriet ihr, wo sie Menschen finden konnte und dass sie ein Raubtier war. Aber es war zu fremd, aber der Anblick des Menschen, seine Stimme, seine Worte, weckten in ihr den verschollenen Menschen. So konnte sie weitergehen und sich mehr und mehr besinnen. Dann aber stand sie wieder vor Elisabeth. Diese kleine, zierliche Frau und blickte sie mit den warmen Augen an.

„Komm her, mein Kind. Es ist Zeit, dass du zu deiner Familie kommst.“

„Meine Familie? Deswegen bin ich hergekommen, aber sie waren nicht da..“ Elisabeths Stimme war unsicher. „Sie wollten mich nicht haben.“

„Kind, mein kleines verwirrtes Kind, ich sprach nicht von jenen Menschen dort draußen. Ich sprach von uns. Mir und den meinen. Komm mit mir und lerne sie kennen, deine Geschwister.“

Elisabeth war unsicher, verwirrt.

„Wer bist du? Ich … erinnere mich, dunkel. Da war ein Mann, ein Monster mit Klauen anstelle der Finger, eine Frau… so viel Blut.“

Ein Schatten zog über das Gesicht der anderen Frau.

„Es tut mir Leid, dass es so passiert ist. Es tut mir nicht Leid, dass du zu uns gekommen bist, dass du nun eine von uns bist, ganz im Gegenteil. Als der Krieg dich fortnahm, hatte ich Angst, du kämst nie mehr zurück. Das hätte mich betrübt, aber die Art und Weise, wie es passiert ist. So sollte es nicht sein. Red… war zu impulsiv. Aber mach dir darüber keine Gedanken. Du bist jetzt Teil der Familie. Ich bin Ember und wie heißt du?“

Die Worte kreisten um Elisabeth wie Fliegen um ein Stück Aas. 'Red'… 'Ember' … 'Familie' Es ergab alles keinen Sinn, aber automatisch antworte Elisabeth

„Alle nennen sie mich Lia, haben mich Lia genannt, meine ich. Sie… sind alle tot oder weg.“

„Lia, ein schöner Name. Kleine Katze, nun komm. Deine wahre Familie wartet auf dich.“

Und ohne ein weiteres Wort zu sagen, ging Ember los. Lia zögerte, ehe sie ihr nacheilte. Eine Weile später, in den dunkelsten Bereichen des Waldes blieb Ember stehen und pfiff drei mal. Und nach und nach kamen Menschen zwischen den Bäumen hervor. Alle irgendwie wild, ungebändigt, stolz, unmenschlich und doch… verwandt. Lia blieb hinter Ember stehen und betrachtete die anderen. Sie rochen falsch und doch richtig. Sie erkannte Red. Sein Gesicht würde sie nie wieder vergessen. Sie spürte auch den unterschied zwischen jenen, die so stolz und sicher auftraten wie Ember und jene, die eher so unsicher waren wie Lia.

„Das ist Lia, meine Tochter. Sie hat es gut gemacht und ist allein zurecht gekommen. Jetzt ist es an der Zeit, dass sie zur Familie kommt. Heißt sie willkommen als eine von uns. Sie ist mein Kind und ich erwarte, dass ihr euch gut um sie kümmert.“

Knurren, Grummeln, unbeholfenes auf der Stelle treten folgte den Worten Embers. Dann trat Red vor, schnüffelte, umtänzelte sie. In dem Moment geschah etwas mit Lia. Sie drehte sich um, schnüffelte auch, knurrte, drohte und dann… dann sprangen sich die beiden an und umarmten sich, hießen einander willkommen. Die anderen, motiviert davon keinen verweichlichten Stadtgangrel vor den Pfoten zu haben, taten es Red gleich und am Ende war es ein großes Knäuel, dass auch Ember mit einschloss.

Als sich alle wieder beruhigt hatten, blickte Ember zu Lia und sagte dann leise:

„Halt dich an die anderen. Sie kennen sich aus und bleib auf jeden Fall in der Nähe, oder sag Bescheid, wenn du irgendwohin gehen willst. Du wirst nicht allein gehen, bis ich das Okay dafür gebe, ist das klar?“

Lia nickte stumm. Als alle sich wieder ihren eigenen Dingen zuwandten, blieb Lia allein zurück und das machte sie unruhig. Sie war noch immer der Außenseiter. So setzte sich Lia in die Mitte der Lichtung und betrachtete den Himmel. Was ist aus ihr geworden? Sie hatte so viele Pläne und Wünsche und nun war sie hier. Aber was war sie nun genau? Sie traute sich nicht, die anderen zu fragen und Ember war bereits wieder gegangen, sich ihren Angelegenheiten widmend. Nach einer Weile ging sie vorsichtig zu Red. Er war gerade wieder auf die Lichtung gekommen und Lia hoffte ihn als Freund gewinnen zu können. Aber all ihre Versuche, ein Gespräch anzufangen, scheiterten an der Wortkargheit Reds. Aber immerhin konnte sie ihm entlocken, dass sie Gangrel waren. Was auch immer das bedeuten mochte. So trottete sie davon und hoffte, einen der anderen zu finden.

An einem Baum, nicht weit weg der Lichtung hing ein Wollknäuel von einem Ast. Zunächst irritierte sie der Ball mehr als alles andere. Er war in einem knalligen Rot gehalten, auch wenn es mittlerweile eher bordeauxrot war. Als sie an ihm vorbei gehen wollte, stieß sie es versehentlich an und dann überkam sie der Spieltrieb. Sie lachte und verbrachte den Rest der Nacht mit diesem verfluchten kleinen Wollknäuel. Als sich der Tag erhob, ging Lia zur Lichtung zurück und in den dortigen Bau. Sie lief vorsichtig. Einige der anderen, um genau zu sein, die meisten, schliefen schon, andere machten es sich bereits in ihren Schlafnischen bequem. Es gab keinen Platz mehr, der frei war, aber sie sah, dass einige der Gangrel sich auch zu zweit oder zu dritt in eine Nische gelegt hatten. Sie ging unschlüssig umher und suchte nach einem freundlichen Gesicht oder einer einladenden Geste. Nichts. Schließlich trat sie unsicher an eine Nische heran, in der eine Frau lag, aber noch wach war.

„Darf ich hier mein Nachtlager aufschlagen?“

„Du meinst dein Taglager? Wir schlafen am Tag. Naja, eigentlich sind wir am Tag tot, Nachts nur untot, aber egal. Ja, komm her. Ich bin Sophie.“

„Hallo Sophie. Was meinst du mit untot? Ich versteh das ganze noch nicht ganz.“

Sophie lachte. Es war ein freudloses Lachen.

„Kind, wir sind Vampire, Untote. Wir trinken Blut und all den Kram. Ist dir das noch nicht aufgefallen? Aber wenn es dir nix ausmacht, ich bin dann mal weg.“

Und Sophie lag da, still, wie tot. Lia blickte die Frau an, ungläubig. Das musste ein schlechter Scherz sein. Es konnte gar nicht anders sein. Wie sollte sie denn ein Vampir sein? Sowas gab es doch nur in Märchen und Gruselgeschichten. Sie war ein Mensch, ein ganz normaler Mensch.

Es vergingen noch einige Minuten, in denen sie einfach dasaß und sich fragte, wie sie denn hier Schlaf finden sollte als von einem auf den anderen Augenblick die Lichter ausgingen und als sie wieder angingen, hatte eine neue Nacht begonnen. Und sie saß noch immer an die Wand der Höhle gelehnt, Sophie an ihrer Seite schlief noch immer und schien sich auch nicht einen Zentimeter bewegt zu haben. So stand Lia auf und ging nach draußen. Sie war sich sicher, dass sie kaum geschlafen haben konnte, aber wie konnte es dann sein, dass der Mond gerade erst aufging, wo er doch eben am Untergehen war? Das ergab keinen Sinn. Und auch das Hungergefühl kam auf. Ember hatte ihr gesagt, sie solle nicht allein gehen, aber noch schlief jeder und der Hunger machte sie rasend. Sie schlug den Befehl Embers in den Wind und ging los. Man würde sie vermutlich eh nicht vermissen. So wanderte sie durch den Wald und fand bald darauf ein Wildschwein. Sie stutzte. Alles in ihr riet ihr, sich zurückzuziehen, nur diese tiefe, dunkle Leere bestand darauf, sich dem Tier weiter zu nähern. Sie ging in die Hocke und witterte. Oh ja, ein gesundes, kräftiges Tier hatte sie da gefunden. Sie bleckte die Zähne. Das würde gut schmecken. Sie trat nach vorn, doch genau in dem Augenblick erwischte ihr Fuß, aus Mangel an Übung einen morschen Zweig und sie verriet dem Tier ihre Position. Das Wildschwein, dass kein Fluchttier war, ging zum Angriff über und bis Lia das Tier erlegt hatte, hatte es sie schwer zugerichtet.

Lia, die auch noch nicht gelernt hatte, sich mittels des Blutes selbst zu heilen, schleppte sich geschunden zurück zur Lichtung, wo, wie nicht anders zu erwarten, Ember auf sie wartete. Sie war zornig und befahl Lia sich zu heilen. Lia, die keine Ahnung hatte, was sie tun sollte, sagte das auch.

„Greif verdammt nochmal nach dem Blut in dir und nutze seine Kraft, dich zu heilen. Was hast du eigentlich überhaupt gelernt?“

Lia biss die Zähne zusammen und versuchte erst und dann tat sie, wie ihr geheißen. Dann blickte sie zu Ember auf. Der Hunger, den sie gerade besiegt hatte, war umso stärker zurück gekommen.

„Und jetzt erteile ich dir eine Lektion, was es heißt, meinen Anweisungen nicht zu folgen.“

Und Ember verpasste Lia die Trachtprügel ihres Lebens. Jedes Mal zwang sie Lia, sich zu heilen und der Hunger wurde stärker, das Tier lauter und lauter bis es sich Bahn brach und auf Ember losging. Diese lachte nur, und brachte das Tier schnell zur Ruhe. Dann befahl sie Lia, so hungrig wie sie war, in die Höhle zu gehen und sollte sie es wagen, diese zu verlassen, bis Ember es ihr erlaubte, würde sie den nächsten Sonnenaufgang sehen.

Lia verzog sich in die Höhle, um ihre Wunden zu lecken. Sie hatte kein Blut mehr, diese zu heilen, der Hunger trieb sie in den Wahnsinn und die Wände machten sie nervös. Unruhig zog sie durch das Höhlensystem. Das Monster, dass sie noch vor kurzem so stark gespürt hatte, war verstummt und zum ersten Mal, seit sie Ember begegnet war, war sie wirklich ganz allein.

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