Ich habe Angst. Wir kennen uns wie alte Freunde. Ich wollte diese Freundschaft nicht, doch ein Stalker, der fragt doch nicht. Du und ich, was für eine Geschichte. Wir haben so viel miteinander erlebt. Wenn andere von alten Zeiten erzählen, erinnere ich mich an dich, alter Gefährte. Du bist Teil meiner Biografie und ein bedeutender Teil meines Lebens geworden. Ich weiß nicht mehr, woher du kommst. Ich weiß nur, du gehörst nicht hierhin, nicht mehr, nicht ins Hier und Jetzt. Du bist ein Relikt alter Tage, doch das weißt du einfach nicht. Du kommst, obwohl ich nicht nach dir frage, als ob du es besser wüsstest. Es ist, wie ständig in Gefahr zu sein, als ob überall eine Bedrohung lauere. Selbst nachts in meinen Träumen besuchst du mich, du treue Seele. Ich habe dir so wenig entgegenzusetzen. Ich habe es schon sehr lange versucht, mich mit Händen und Füßen gegen dich gewehrt, reflektiert und therapiert, doch ich konnte dich nicht überzeugen.
Wenn du in mich gehst und mich einnimmst, dann ziehst du das Blut aus meinen Händen, so dass sie erkalten. Ich werde unruhig und beginne zu schwitzen. Ich rieche nach Angst und versuche es zu verbergen. Manchmal dusche ich mehrfach am Tag und wechsle meine Kleidung, damit man nichts davon merkt. Ich vermeide es, anderen die Hand zu reichen. Ich schäme mich. Sie sollen nicht merken, dass etwas anders mit mir ist, dass mit mir etwas nicht stimmt. Nach außen erstarre ich, wirke verhärtet. Du kriechst in meinen Kiefer und in den Rücken, jagst schmerzhafte Verpannungen hinein. Doch das interessiert dich nicht, es ist nicht wichtig, zweitrangig, wenn überhaupt. Du bist in dieser Sache nicht ansprechbar, reagierst nicht auf Worte wie "Es ist alles ok. Du brauchst keine Angst zu haben". Es ist eine Einwegkommunikation. Du sprichst und ich reagiere, versuche, damit umzugehen, es irgendwie recht zu machen, eine Lösung zu finden.
Doch was soll ich dir zum Vorwurf machen? Du bist, was du bist. Du hast eine Aufgabe und erledigst sie in bester Absicht. Du willst mir etwas sagen, wie "Suche Schutz! Lauf um dein Leben! Pass auf, das ist gefährlich!". Du willst mich schützen, mit einer Atombombe gegen eine Stechmücke. Du bist wie ein Wachhund, der den Postboten anbellt und jeden anderen der vorübergeht. Du unterscheidest nicht zwischen Spaziergänger und Einbrecher, zwischen Nachbarskind und Schlägertrupp. Du bist immer da und passt auf mich auf.
Ich spüre dich. Das Herz pumpt, ich atme schnell und flach. Ich habe den starken Drang zu fliehen, bloß weg hier. Ich schaue mich um, bin wach. Doch da ist nichts. Ich kann es nicht wahrnehmen. Welchem Reiz misst du eine Bedeutung bei? Was habe ich übersehen? Was war der Ursprung? Hast du etwas gesehen, gehört, gerochen? War es eine körperliche Empfindung, ein erschreckender Gedanke? War es Fantasie oder Realität? Wovor warnst du nur? Welche Umstände haben dich hervorgebracht, dich bemächtigt?
Ich bin einsam geworden. In den letzten Jahren hatte ich kaum noch Kontakt. Vielleicht ist das der Preis für ein wenig gefühlte Sicherheit. Nur wenn ich ganz alleine bin, kann ich wirklich sicher sein. Das macht mir Angst.