Coming home

Text zum Thema Entwicklung(en)

von  Xenia

Es ist mitten in der Nacht und eine rauhe Kälte umweht mich, obwohl es langsam Frühling wird. Noch sind die Nächte kalt in dieser Stadt. Ich rauche. Dann schnippse ich die Zigarette weg. Sie fällt mit einem unhörbaren Poltern auf den Boden. In mir macht sich Erleichterung breit.

La Mar ist immer noch so schön, wie ich sie verließ. Meine Geliebte.
Menschen kamen und gingen, manche starben, bei anderen starb nur ihr Interesse an mir, aber La Mar ist unumstößlich. Ich beobachte ihren Wellengang. Er ist wild und unregelmäßig heute Nacht, so wie mein Inneres unter dieser Maske aus lässiger Unverwüstbarkeit.

Das erste Mal hab ich La Mar mit dreizehn gesehen. Es war ein Familienurlaub, mein Vater, die fremde Frau, ihre beiden kleinen Söhne und ich.

Die Frau war eine von diesen Menschen, die immer versuchten, mich in Smalltalk zu verwickeln, weil sie meine rebellische Stille nicht ertragen können. Ich fühlte mich unverstanden. Das ist in diesem Alter wahrscheinlich ganz gewöhnlich, aber ich war wirklich ein seltsames Kind. Meine Mitmenschen gingen mir einfach am Arsch vorbei, ich war aufmüpfig, wütend und immer ein bisschen traurig. Einsamkeit umwehte mich wie fauliger Gestank.

Es war Herbst. Mein Vater hatte mir erzählt, dass dies wohl ihre schlimmste Flut seit 150 Jahren wäre. Ich weiß nicht, ob das die Wahrheit war, aber ich sah La Mar mit anderen Augen. Das erste Mal in meinem verdammten Leben fühlte ich mich nicht einsam.  Ich rauchte eine Zigarette, die ich meinem Vater gestohlen hatte. Das tat ich regelmäßig, seit ich elf war. Es beruhigte mich. Als ich zu Ende geraucht hatte, schnippste ich die Zigarette weg und sie fiel mit einem unhörbaren Poltern auf den Boden. In mir machte sich Erleichterung breit.

Ich war hier Zuhause. Hier gehörte ich hin. Niemand erwartete hier etwas von mir. Ich wollte nichts, nur La Mar wildem Gebaren zusehen und sein. Langsam machten sich in mir Gefühle breit, die ich bis dato nicht gekannt hatte. Ich war ganz ruhig in mir, keine Wut, keine Trauer. Stattdessen fühlte ich mich ganz und gar im Einklang mit mir und meiner Umgebung. La Mar stellte keine Anforderungen, sie wollte nicht unterhalten werden, meine Stille beunruhigte sie nicht.

Sie war einfach nur da, so wie ich. Einatmen, ausatmen. Wellengang. Als ich das verstand, fiel mir auch auf, das da keine Wut in ihrem Wellengang war, sie sehnte sich nicht danach, etwas zu zerstören. Manchmal zerbrach sie Dinge, sie konnte auch töten, aber das war nicht ihr Ziel. Sie hatte überhaupt kein Ziel.

Sie atmete nur in lauten und leisen, ruhigen und stürmischen Wellen...

Die Erinnerung, die mich übermannt hatte, hatte in all den Jahren nichts an Intensität verloren. Manchmal wäre ich gerne noch einmal dieses Mädchen oder wenigstens eine Fremde, die sich wortlos neben sie setzen würde, nicht um sie in ein Gespräch zu verwickeln, nicht um irgendwas von ihr zu fordern, nein.

Ich würde ihr gerne zeigen, dass Menschen auch so sein können wie La Mar. Nicht viele können das, aber es gibt sie. Ich habe in meinem Leben einige davon getroffen. Sie sind rar, und genau deswegen so wertvoll. Ich lerne Tag für Tag, um eines Tages auch so ein Mensch zu sein. In mir ruhend. Aber noch bin ich nervös.

Ich zünde mir eine Zigarette an.

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