Die Mitfahrerin

Text zum Thema Menschenverachtung

von  Xenia

Ich bin keine Menschenfreundin. Nur eine Beobachterin. Eine Passagierin. Und doch fällt mir immer wieder auf, dass ich Menschen emotional mehr gebe, als sie gewöhnt sind. Das macht mich immer ein bisschen blass um die Nase. Ein bisschen wehmütig, es wird mir ein wenig weh um mein kaltes Herz und fast verspüre ich so etwas wie Mitleid. Aber dann entscheide ich mich doch dazu, sie zu sezieren, diese unbestimmte Einsamkeit, die die meisten Menschen umweht wie fauliger Gestank. Sie stinken nach Sehnsucht, diese kleinen Menschen, nach erbärmlichem Flehen um Aufmerksamkeit. Sie sind so leer in sich, dass sie alles tun würden, um diese Leere zu füllen. Sie sind so einsam, dass sie ihre Würde und ihren freien Willen, ihre Unabhängigkeit und Freiheit, mit vollen Händen verschenken für ein kleines Lächeln von mir oder irgendwem. Manchmal suche ich mir einen Menschen aus. Ein alter, ein hässlicher, ein kleiner, irgendwer. Ich unterhalte mich mit ihm, gebe ihm einen Einblick dahinein, wie es sei könnte, wenn sich jemand wirklich für ihn interessiert. Es ist amüsant, wie schnell diese Menschen dazu bereit sind, sich mir zu verschreiben, sich mir zu schenken, sich mir vor die Füße zu werfen und mir alles zu geben, was sie haben, nur um noch ein bisschen Zeit mit mir verbringen zu dürfen.
Ich könnte diesen alten Mann an der Hand nehmen, ihn ein bisschen durch die Stadt führen, ihm die langweiligsten Winkel zeigen, und er würde dennoch lächeln wie ein armer Idiot. Er würde mir alles kaufen, was ich haben will, weil ich ihm etwas geschenkt habe, dass für ihn unbezahlbar ist. Ich müsste ihn nicht einmal ausrauben. Er würde mir freiwillig alles schenken, was er bei sich trägt. Ich müsste ihm nur irgendeine scheiß rührselige Geschichte erzählen. Ich bin gut darin, Menschen zu manipulieren. Es ist mir bewusst, dass das eins der wenigen Dinge ist, zu denen ich im Bezug auf andere Menschen imstande bin.
Ich könnte den nach langsam eintretendem Tod riechenden alten Sack auf ganz einfache Art und Weise von seiner irrelevanten Existenz, die nicht mehr als ein Dahinvegetieren, ein dümmlich grinsendes Dahinsiechen ist, befreien.
Ich müsste ihn dazu nur in eine der weniger belebten Seitengassen führen und lange küssen. Sehr lange. So lange, dass mir fast  selbst die Luft versiegt. Er würde sich unter einem seltsamen Gewirr von Lust, Liebe und Panik in meiner starken Umarmung winden, noch einmal für mich zittern, sich ein letztes Mal aufbäumen, das letze Mal den Wille, zu leben, spüren, und dann zu Boden segeln wie ein papierdünnes trockenes Blatt im Herbst.

...

Meine Überlegungen enden, als meine Ausstiegshaltestelle genannt wird.
Ich steige aus und laufe nach Hause. Niemand empfängt mich dort. Endlich Frieden.

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Kommentare zu diesem Text

Hermann (72)
(25.01.19)
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 Xenia meinte dazu am 25.01.19:
Findest du? Für mich ist das die Charakterstudie einer ziemlich gestörten Frau.
Hermann (72) antwortete darauf am 25.01.19:
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 Xenia schrieb daraufhin am 25.01.19:
Ja, ich weiß.
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