Heartware - Videoabend (1)

Bericht zum Thema Allzu Menschliches

von  Inlines

Eigentlich hätte die Filmvorführung bereits um 20 Uhr beginnen sollen, aber jetzt war es schon weit nach Mitternacht. Es bereitete einfach zu große Probleme eine für die ganze Öffentlichkeit akzeptable Einstellung des Video-Projektors zu finden. Alle riefen durcheinander, echauffierten sich über die mangelnde Perfektion, während ich mich hektisch an dem kostbaren Gerät zu schaffen machte, verschiedenfarbige Knöpfe drückte, Drehregler verstellte, versuchte im Digitalmenü neue Einstellungskombinationen auszuloten. Der grüne Teppichboden war vom vielen Herumfahren aufgescheuert, meine Augen tränten wegen der trockenen Heizungsluft, in der Ecke balgte sich die kleine Gruppe, welche aus Platzgründen nicht unmittelbar um mich verharren konnte, um die inzwischen stark zerknitterte Bedienungsanleitung.

Für die einen war das Bild zu weit rechts oder links gewesen, für die anderen zu weit unten, obwohl man schon mit schmerzendem Genick in Richtung Decke starren musste. Herrn Alt war es zu klein, Herrn Jung zu groß. Herrn Mittel zu mittelmäßig. Manche wollten nur schwarz-weiß sehen, wieder andere die ganze Farbpalette konsumieren. Eine Person, die sich als pensionierter Physiklehrer zu erkennen gab, bestand darauf den Blaulichtanteil zu erhöhen, weil dies wissenschaftlich belegt für Entspannung sorgen würde - und deswegen war man ja schließlich hier.

Eine demokratische Abstimmung mittels Handzeichen hatte nichts gebracht, weil die Sieger nur mit knappem Vorsprung das Entscheidungsrecht errungen hatten, und die unterlegene Gruppe lautstark kritisierte, dass die auszählende Person nicht an einen Eid gebunden war, der inhaltlich von einer Mehrheit vorher abgesegnet wurde. Der Lehrer sah ebenfalls grundsätzliche Systemfehler, da er nicht verstehen konnte, wie man der Mehrheit die Entscheidung anvertrauen könne, wenn man doch weiß, dass zur wirklichen Elite nur eine kleine Gruppe zählt. Wenigstens waren sich alle über die Filmauswahl einig, hatten alle lautlos zugestimmt, in dem sie überhaupt gekommen waren, wenngleich "Die Mädels vom Immenhof" nicht zu meinen persönlichen Favoriten zählte.

Verzweifelt dachte ich über eine Lösung des Dilemmas nach, sah Stunden verrinnen, mich am Ende müde auf dem Projektor liegen, müde wie die Altenheimbewohner und ihr eingeladener Anhang es schon längst hätten sein sollen. Würden sie mich dann mit Kitzelattacken zu entfernen versuchen, um die Kontrolle über das multimediale Referenzgerät zu erlangen? Würde ich es dann schaffen, mich vom Faustrecht zu distanzieren? Würde ich mich schließlich um den Projektor krallen, wie eine ausgehungerte Binge-Eating-Vogelspinne um das frisch gefasste feuchte Käferlein?

Warum hatte ich mir überhaupt diesen Selbstkasteiungs-Job ausgesucht, das gewissenhafte in den sozialen Berufen gesehen, und eine Ausbildung als technischer Zeichner in der freien Wirtschaft ausgeschlagen? War ich so dumm?

Ein kleiner Junge schlief auf zwei aneinandergestellten Stühlen mit entspannter Miene und einem Teddybären im Arm, so als ob weder diese Fragen eine Bedeutung hätten, noch die Einstellungen am Video-Projektor.

Vorher hatte er einen Chupa Chups-Lolli gelutscht, den er bekam, weil er die kleine Hand im richtigen Moment nach oben gestreckt hatte.

Vielleicht sollte ich mir daran ein Beispiel nehmen.


Anmerkung von Inlines:

No offence!

https://www.youtube.com/watch?v=1oDfWd8-srY

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Kommentare zu diesem Text

Falstaff (76)
(16.04.18)
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 Inlines meinte dazu am 16.04.18:
Richtig! Danke!

Antwort geändert am 16.04.2018 um 12:48 Uhr

 Dieter_Rotmund (16.04.18)
Das ist zwar Fiktion, aber wenn man schon einen Filmtitel erfindet ("Das Mädchen vom Immenhof"), dann sollte man entweder einen real existierenden nehmen oder einen komplett erfinden. Keine gute Lösung ist ein Filmtitel wie "Das Mädchen vom Immenhof", der ganz ähnlich lautet wie der tatsächliche Die Mädels vom Immenhof (D 1955). Finde ich.
Graeculus (69) antwortete darauf am 16.04.18:
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 Inlines schrieb daraufhin am 16.04.18:
Habe ich umgesetzt!
LottaManguetti (59)
(16.04.18)
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 Inlines äußerte darauf am 16.04.18:
Ich hab das ja auch etwas negativ umgesetzt... Man kann es ja auch als Wohfühltempel betrachten (wenn man optimistisch ist/wäre) LG
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