Die Sommer waren warm und blutig

Text

von  kalira

Der Bruder meines Vaters schoss auf Spatzen und Tauben. Im Sommer schossen wir Kinder auf kleine Papierzettel, die der Sohn des Bruders meines Vaters an das Scheunentor heftete. Als die Papierzettel nicht einmal mehr Fetzen waren, schossen wir auf Blechdosen. Später schossen wir auf alles was wir sahen. Außer Menschen!

Mein Vater sprach selten von seinem Bruder. Ich weiß nicht warum, ich weiß nur, dass wir Kinder, meine Schwester und ich, die Sommerferien beim Bruder meines Vaters verbrachten. Wir spielten im Sand Wüste, spielten in den Wäldern Räuber und Gendarm, wir spielten zwischen den Fließen des Spreewalds Tom Sawyer und Huckleberry Finn. Immer waren unsere Spiele um Leben und Tod angelegt. Ich schlug meiner Schwester eine Zahnecke ab. Meine Schwester schlug dem Sohn des Bruders meines Vaters ein Auge grün und die Stirn blau. Ich kam auch nicht ohne Verletzungen davon. Die Sommer waren warm und blutig. Und auch damals waren die Hummeln in meinem Kopf. Ich hatte versucht, sie mir auszutreiben. Mit Schlägen, mit Qualm, mit Lärm. Nichts half. Und die Eltern wussten auch von nichts.

In einem Frühling vor dem letzten Sommer beim Bruder meines Vaters, ging mein Vater ins Meer und kam nicht mehr heraus. Meine Mutter lief schreiend den Strand entlang. Sie schrie, dann lief sie wieder. Dann lief sie, dann schrie sie wieder. Das machte sie abwechselnd stundenlangen, auch Tage später noch. Auch als wir Kinder längst wieder zuhause waren. Ich stellte mir meine Mutter oft so den Strand entlanglaufend vor. Wir waren nie wieder ans Meer gefahren und dann waren meine Schwester und ich auch nicht mehr bei dem Bruder meines Vaters. Alles war plötzlich anders.  Mutter lief später die Straße auf und ab. Sie schrie nicht mehr nach meinem Vater, aber sie lief. Zwar lief sie nicht mehr am Meer, nicht am Strand auf und ab, aber durch alle Straßen der kleinen Stadt. Sie lief und lief. Sie lief, anstatt uns zu Bett zu bringen, sie lief, anstatt uns einen Guten-Morgen-Kuss zu geben, sie lief, anstatt uns ein Brot zu schneiden, sie lief und lief. Meine Schwester begann zu kochen, ich ging einkaufen, wir gingen allein zum Bus, allein ins Bett. Wir standen auf, machten uns ein Brot, gingen in die Schule, kamen nach Hause. Wir taten alles, wie die anderen Kinder auch.

Ich schicke die Kinder zum Klaus an die Ecke. Der macht ihnen einen großen Döner, da ist alles drin, was Kinder brauchen. Gemüse, Fleisch, Brot und dann gibt der Klaus ihnen noch ein Getränk aufs Haus. Das weiß ich und die Kinder freuen sich.

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