Wie die Lügen in meinem Kopf wohl aussehen

Text

von  kalira

Klaus fährt Motorrad. Arme Minimiez. Ich mag Katzen nicht besonders, aber Minimiez gehört eben zur Familie. Der Fellklumpen war längst nicht mehr Minimiez, wie ich sie akzeptieren konnte. Meine Kinder lieben diese Katze abgöttisch. Die Kinder sind klein, sie verstehen noch nichts vom Verschwinden geliebter Familienmitglieder. Vielleicht ist es besser, ihnen zu sagen, die Katze sei davongelaufen. Freiwillig. Das Verständnis für den Fortgang eines geliebten Menschen haben sie auch noch nicht, aber das ist einfacher zu ertragen. Weil ein Fortgehen ja immer auch die Möglichkeit eines Wiederkommens birgt.

Ich bin nie wie Mutter auf und ab gegangen, ich war auch wieder am Meer gewesen, aber ich hatte nie aufgehört daran zu glauben, dass mein Vater wiederkommen würde. Das hatte mir meine Kindheit gerettet. Wie sonst hätten meine Schwester und ich jeden Morgen wieder aufstehen und zur Schule gehen können? Wie sonst hätten wir so allein mit einer Mutter, die keine Mutter mehr sondern eine Läuferin geworden war, wie hätten wir das alles machen können, was andere Kinder auch taten? Wie hätten wir Morgen für Morgen aufstehen und einfach so weitermachen können, wenn wir gewusst hätten, dass unser Vater niemals wiederkommen würde? Wir malten Bilder für ihn, wir schrieben Geschichten, in denen mein Vater der Held war und blieb.

Ich hasse meinen Hummelkopf. Es dröhnt. Und es sind nicht nur die Lügen. Die Ärzte sagen da sei etwas. Sie haben Worte dafür, sie haben Bilder, die eigentlich ganz schön aussehen, solange die Ärzte nicht alles benennen, was darauf zu sehen ist. Die Ärzte haben mir alles erklärt und ich habe einfach nicht zugehört. Ich habe meinen Hummeln nachgespürt, habe gespürt, an welcher Stelle meines Hirns sie gerade kratzen und schwirren. Ich habe mir die Worte angehört aber eben nicht zugehört. Die Bilder durfte ich in Kopie mit nach Hause nehmen. Die Kinder und ich haben bunte Kreise und einige Hummeln und Bienen dazu gemalt, und dann haben wir die Bilder an den Kühlschrank geheftet. Nachts, wenn die Kinder schlafend in ihren Betten liegen, sehe ich mir manchmal diese Bilder an und überlege, wie die Lügen in meinem Kopf wohl aussehen mögen.

Ich sehe die Kinder nicht mehr schreien. Ich sehe sie wieder über die frisch umgeworfene Erde des Katzenlochs laufen. Sie wundern sich nicht darüber. Sie rennen und sehen zufrieden aus. Keine blauen Augen, keine geschwollene Stirn. Nichts, worüber ich mir Sorgen machen müsste.  Ich muss schauen, ob das Gewehr noch im Keller steht.

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