Schule, oder wie sich Eltern dressieren lassen

Bericht zum Thema Schule/ Studium

von  eiskimo

Gregor  Paling ist seit über dreißig Jahren Lehrer und kennt das Geschäft. Und für seine These, dass in der aktuellen Schul-Diskussion nicht nur die Lehrer und  Schüler, sondern meist (auch) die Eltern "das Problem" seien, hat er ein sehr beredtes Beispiel: Das Arzt-Zimmer.
Früher , so führt er aus, habe es einen Raum gegeben, der etwas abseits lag und ein oder zwei Mal im Jahr für den Besuch des Schularztes hergerichtet wurde: Da wurden dann die Klassen der Reihe nach herangeholt zwecks Inspektion der Zähne, zum Beispiel. Und das, was dabei als  „Arzt-Zimmer“ diente, wurde danach für den Rest des Jahres  wieder Elternsprech-Zimmer oder … Rumpelkammer.  Akute medizinische Notfälle im Schulalltag?  Die habe es praktisch nicht gegeben. Die Schüler, die morgens als „schulfähig“ erschienen,  die hätten  auch durchgehalten. Selbst beim Sportunterricht.
Heute dagegen – und Paling verdreht schon  leicht die Augen, als er das anspricht – sei das Arztzimmer ein Taubenschlag und ständiger Anlass für unterschiedlichste schwer zu erfassende "Aus-Zeiten" . Denn dahin kämen nicht etwa ein Arzt plus Krankenschwester, sondern reihenweise „kranke“ Schüler, und das den lieben Unterrichtstag lang.  Sie melden sich mit unterschiedlichsten Diagnosen aus dem laufenden Unterricht ab: Kopfschmerzen, Bauchschmerzen, Zahnschmerzen, Ohrenschmerzen, Husten, Übelkeit...  Auch im Sportunterricht seien stets einige „unpässlich“ – meist mit fürsorglicher Entschuldigung von zu Hause.
Und es gäbe da ein deutlich spürbares „Seuchen-Phänomen“, etwa wenn viele Klassenarbeiten anstünden oder der Unterrichtstag besonders lang sei – dann tummelten sich im Arztzimmer auch schon mal sechs, sieben oder gar acht „Patienten“. Je nach Dramatik ihrer Krankmeldung schicken wohlmeinende Kollegen auch gerne zusätzlich eine Begleitperson mit  (den besten Freund/die beste Freundin..), was die Zahl der dort nun Anwesenden entscheidend erhöht.  Das Problem, so Kollege Paling: Diese vorübergehend vom Unterricht Befreiten sind nicht  beaufsichtigt. Einzige Kontrolle: Sie müssen in einer Kladde eintragen, wann sie gekommen und wann sie wieder zurück in den Unterricht gegangen sind.  „Eine Steillvorlage für Drückeberger!“ befindet er.
„Siech darnieder liegt da nur in Ausnahmefällen einer,“ weiß er zu berichten. „Das habe ich mit ein paar unangemeldeten Besuchen dort rausgekriegt. Es ist eine Mischung aus Party und Kartenspieler-Treff…“ Jedenfalls sei es dann für die wirklich Leidenden, die es ja auch schon mal gebe,  eine Zumutung.
Was sich in der Folge für die Eltern als äußerst ärgerlich erweise: Manche Kinder verlangten , nach dieser wenig gesund machenden  Pause im Arztzimmer, tatsächlich abgeholt zu werden – ihr Zustand sei sooo schlimm…. Prompt lassen Mütter und Väter die Arbeit ruhen oder verständigen Oma oder Opa,  damit ihre Lieben schleunigst  aus der Notlage befreit würden. Ist kein direkter Angehöriger greifbar, wird es noch komplizierter: Die Schule darf den Kranken ja nicht irgend wem überantworten….
„Es gibt natürlich echte Notfälle,“ betont Paling. „ Aber selbst bei erträglichen Schmerzen oder harmlosen Unwohlsein ziehen manche Kids schon die Reissleine – sie wissen, dass ihre Eltern spuren!“  Und dank Smartphone sei die  Hotline zu Mama oder Papa ja geschaltet  - jedes Wehwehchen werde sozusagen live an deren Aufenthaltsort übertragen.
            Er selber sei in einer Familie mit vier Geschwistern groß geworden, das sei fünfzig Jahre her. „Aber dass einer unserer Eltern jemals in die Schule hätte kommen müssen, um uns mit irgendwelchen  ernsthaften Symptom heimzuholen – undenkbar!“ – Das hätten sie ihren Eltern nie zugemutet – allein die Anfahrt zur Schule ohne Auto wäre kaum zu realisieren gewesen. Geschweige, ein Taxi zu bezahlen….
„Das Arztzimmer heute“ , so Gregor Palings Fazit, „das zeigt wie unter einem Vergrößerungsglas, was in unserer Erziehung falsch läuft.“  Bei vielen Kids fehlten  Ernsthaftigkeit und Durchhaltevermögen – „vielleicht sind sie auch schulform-bedingt überfordert?“ -  und was die entsprechenden Eltern beträfe: Sie bettelten um das Wohlwollen ihrer Kinder. „Wahrscheinlich haben sie ein schlechtes Gewissen, weil sie  wegen ihrer anstrengenden Jobs kaum Zeit für Familie haben.“  Stark mache so ein gefälliges Verhalten die Kinder jedenfalls nicht…..
Als „Arzt“  würde er sagen: Eine Therapie muss her, sie darf ruhig  radikal sein und  muss auch  bei den familiären Voraussetzungen ansetzen.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (27.04.18)
Mit etwas lokalen Bezug wäre das eine gute (fikitve) journalistische Arbeit.

 niemand (27.04.18)
Du sprichst hier ein Tabu-Thema an, eines von vielen,
welches man bloß nicht erwähnen sollte, auch wenn es alle
wenn schon nicht "wissen" [wollen] dann doch wenigstens ahnen.
Solche Thematik ist nicht grade beliebt.
Folgende Zeilen scheinen zentral zu sein:

Sie bettelten um das Wohlwollen ihrer Kinder. „Wahrscheinlich haben sie ein schlechtes Gewissen, weil sie wegen ihrer anstrengenden Jobs kaum Zeit für Familie haben.“
.

LG niemand

 eiskimo meinte dazu am 29.04.18:
Ja, das sehe ich auch so. Viele junge Eltern überschätzen ihre Kinder maßlos, geben ihnen Ebenbürtigkeit und quasi Erwachsenen-Status... statt Grenzen zu setzen und kindgrechte Regeln....

 Judas (27.04.18)
Erinnert mich daran, wie ich mir auf dem Schulhof mal das Knie bis zum Knochen aufgerissen habe. Saß dann 1 1/2 Stunden im "Arztzimmer", wie es hier im Text heißt, bis mein Vater mich dann abgeholt hat - mit dem Fahrrad.
Gute Zeiten!

 Dieter_Rotmund (27.04.18)
Heute großer Artikel in der FAZ darüber, dass die Bundeswehr keine belastungsfähigen Rekruten mehr findet.

 TrekanBelluvitsh antwortete darauf am 27.04.18:
Hat mein Kompaniefeldwebel auch gesagt... 1989.

 TrekanBelluvitsh (27.04.18)
Der erste Absatz findet meine Zustimmung. Ich würde das in Klammern gesetzte "auch" sogar gleich weglassen.

Danach wird es leider ein ziemlich schwer erträgliches "Früher-war-alles-besser"-Gejammer. Das ist Unfug und man muss nur die Texte von  Ekki über seine Jugend und Schulzeit - die sind immer eine Empfehlung wert - lesen um zu Begriffen, dass das nicht so war.

Ich möchte jedoch auch ein Gedankenexperiment vorschlagen: Nimm doch einfach den Film "Die Feuerzangenbowle" und befreie ihn gedacht von allen Scherzen und jedem Humor (ganz gleich, wie man den beurteilen möchte). Heraus kommt eine den Lehrkörper terrorisierende Bande von Halbstarken, bei denen wahrscheinlich auch die Jüngeren wenig zu lachen hätten.

Ich finde in der tat, dass die Probleme der Schule von heute thematisiert gehören. Allerdings hat die Schule in jeder Zeit Probleme. Ob die immer und zu jeder Zeit anders oder gleich sind, mag dahingestellt bleiben. Eine "Früher-war-alles-besser"- oder in deinem Text auch angedeuteten "Gelobt-sei-was-hart-macht"-Rhetorik ist da wenig zielführend.

 eiskimo schrieb daraufhin am 29.04.18:
Inhaltlich kann ich deine Kritik nachvollziehen - aber der Vorwurf, ich habe "unerträglich gejammert", der ist deplaziert. Den Text einfach in die Kiste tun "Früher-war-alles-viel-besser" , wird ihm m.E. nicht gerecht, es hilft auch keinem, es einfach so abzutun....

 TrekanBelluvitsh äußerte darauf am 29.04.18:
Womöglich habe ich dich in eine Kiste gesteckt, in die du nicht gehörst. Wenn du dich getroffen fühlst, bitte ich um Entschuldigung.

Auf der anderen Seite solltest du vielleicht aufmerksamer bei den Formulierungen sein, wenn ich bedenke, wer mit welcher politischen Stoßrichtung so im Augenblick so argumentiert.

Wenn man den Zoom etwas weiter aufzieht, entdeckt man solche Sachen, wie ich Dieter geantwortet habe. Schon vor knapp 30 Jahren jammerten alte BW-Hasen, dass die neuen Rekruten nix mehr taugen.
Offtopic: Das die Bundeswehr Probleme hat, genug Rekruten zu finden liegt u.a. an einem Punkt, den Kritiker bei der Aussetzung der Wehrpflicht angemerkt haben: Ein großer Teil der Zeitsoldaten rekrutierte sich stets aus Wehrpflichtigen, die sich nach einigen Monaten bei der Armee länger verpflichteten, weil ihnen der Dienst gefiel UND eben weil sie auch wussten, dass sie die körperlichen Anforderungen erfüllen. Natürlich leiste der größte Teil der Wehrpflichtigen nur ihre Zeit ab - das waren jene, denen mein alter Kompaniefeldwebel nix zutraute -, aber da ja in jedem Quartal neue Rekruten auftauchten, wurde der Bedarf so gedeckt.
Fazit: Wenn die BW heute über nicht genügend geeignete Rekruten jammert (da ist es wieder!), liegt das nicht daran, dass "die heutige Jugend" verweichlicht ist, sondern weil das System von der Politik geändert wurde, u.a. um sich beliebt zu machen.

 eiskimo ergänzte dazu am 29.04.18:
Ich kann nichts zur Bundeswehr sagen und zur Fitness ihrer Rekruten. Im schulischen Bereich ist aber Fakt, dass es heute bei den Grundschülern bereits wesentlich mehr Übergewichtige und von Koordination und Motorik Eingeschränkte gibt als vor 20 Jahren. Der Bewegungsmangel ist ein Phänomen unserer Zeit, der Zeit von Computern im Kinderzimmer und Taxi Mama in Lauerstellung. Kinder, die in den 70er oder 80er Jahren groß wurden, waren wesentlich mehr "draußen" und hatten sich wesentlich mehr zu bewegen....

 TrekanBelluvitsh meinte dazu am 29.04.18:
Auch das ist richtig.

Und auch hier ist für eine Lösung des Problems wohl eher das "wie" entscheidend. Es hört sich aus meinem munde womöglich seltsam an, aber auch das ist nicht "the end of the world as we know it". Ein wenig mehr Hysterie wäre angebracht.

Ich erinnere mich noch gut daran, dass zu Beginn des Jahrtausends Experten aus dem Arbeitsministerium das Rentenniveau für das Jahr 2050 berechneten. Und das wurde dann ernsthaft diskutiert und als Begründung für die Arbeitsmarktreformen (das war wohl der wirkliche Grund hinter diesen mit Teufelshänden an die Wand geschmierten Horrorszenarien) verwendet.

Echt jetzt? Über 40 Jahre in Zukunft sehen? Mal ehrlich: Da kann ich auch zu dem Gesindel auf der Kirmes gehen , das im Zelt vor einer Glaskugel sitzt.

Es ist auch noch gar nicht so lange her, da starben die Deutschen aus. Ist auch gar nicht mehr so angesagt... hm...

Will sagen: Etwas mehr verhältnismäßige Lösungsvorschläge und etwas weniger Endzeitstimmung... UND Verklärung dessen, was früher war.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram