Das Eichhörnchen und die Schlange

Erzählung zum Thema Liebeszauber

von  toltec-head

Im Sommer kommt es schon mal vor, dass sich Gruppen  Jugendlicher auf die Bullenwiese verirren, die dort einfach nur herumklönen oder in Ruhe kiffen wollen. Vielleicht landen sie aber doch nicht ganz so zufällig dort. Es gibt diesen Typus Jungschwulen, der - sich selber noch kaum bewusst - Scheu trägt, an die Quelle zu gehen und sich niemals alleine an einen solchen Ort trauen würde. Es ist für ihn dann aber ausgerechnet doch ganz  O.K., wenn er als unwahrscheinlichste aller Personen seine beste Freundin oder irgendeinen pummeligen, pickligen Kumpel mitbringt.

Letztens beobachtete ich von meinem Ort unterm Baum aus eine solche Gruppe von Teenagern, die den zentralen Wiesenplatz quasi leergefegt hatten, indem sie sich dort völlig unschwul auf einer großen Gemeinschaftsdecke niederließen, Musik hörten und laut palaverten. Wenn sich über die eigentlich Einheimischen an solchen Cruisingplätzen nur wenig gutes sagen lässt, so dann doch dies, dass sie in aller Regel dieser aller seltensten Sorte Mensch angehören, welche die Stille zu schätzen weiß und jeglichem Lärm, wahrscheinlich weil sie instinktiv spüren, dass er ihren Zwecken abträglich ist, aus dem Weg geht, was den lärmenden, mechanisch und genusslos ihre heterosexuellen Stammesriten herunterspulenden heterosexuellen Invasoren natürlich vollkommen gleichgültig war. Ich aber blieb unter meinem Baum hocken und konnte meinen Blick nicht mehr abwenden. Die alles beherrschende Zentrifugalkraft der Szenerie  war ein extrem twinkiger Rotschopf, welcher  - einen Joint in Hand -  sich von Zeit zu Zeit von der ansonsten doch Recht dumpf zu bezeichnenden Gruppe seiner Kollegen  durch mutwillige Sprünge weg und dann wieder zu ihr hin mit jener Grazie bewegte, die mich an ein Eichhörnchen denken ließ.  Ein rundliches Nest, aus biegsamen Reisig und Moos, irgendwo in den Büschen, schien der Zielpunkt seiner Augen zu bilden.  Aber desto näher er ihm kam, mit desto größerem Eifer kehrte er zu dem Gequatsche der Seinen zurück. Plötzlich war das Eichhörnchen wie von Schrecken ergriffen, seine Bewegungen wurden ungeregelt, es war als ob es immer versuchte, ein Hindernis zwischen sich und einer bestimmte Gegend dort in den Büsche zu bringen: endlich kauerte es nahe der Büsche nieder und blieb unbeweglich, nur manchmal an seinem Joint ziehend, sitzen. Ich hatte den Eindruck, dass dem unschuldigen Tierchen eine Gefahr drohte, konnte aber nicht erraten, von welcher Art sie war. Ich näherte mich, und eine aufmerksame Prüfung ließ mich in einem der Fickeplätze auf dem Boden halbnackt in seinem üblichen Drag mit Perücke Gunter, die alte Schlange, entdecken, welcher die Augen fest auf das Eichhörnchen geheftet hielt. Ich zitterte für das arme Tier und hätte ihm zur Hilfe kommen können, aber die Wissbegierde war stärker als das Mitleid, und ich wollte sehen, wie das Schauspiel zu Ende gehen würde. Die Lösung des Knotens war tragisch. Das Eichhörnchen ermangelte nicht, einen klagenden Laut auszustoßen, es ging ein wenig vor, suchte zurückzuweichen, ging dann wieder vorwärts, suchte umzugehen, aber kam dem Reptil immer näher. Gunter mit sanften Bewegungen immer schön weiter seinen XXL streichend, ansonsten aber unbeweglich wie ein Holz, wandte keinen Blick von dem armen Tierchen ab. Schließlich kam es bis an die Stelle des Eingangs zu dem Fickeplatz. Jetzt versuchte es gar nicht mehr zu fliehen. Angezogen durch eine unwiderstehliche Gewalt und gleichsam vom Schwindel ergriffen, ließ es seine Boxer herab und stürzte sich in das, was ich hier einmal metaphorisch, den Rachen der Schlange nennen möchte, der sich plötzlich übermäßig weit öffnete, um es aufzunehmen. So unbeweglich Gunter sich bis dahin verhalten hatte, so tätig wurde er nun, sobald er im Besitz seiner Beute war. Schließlich packte er Gleitgel und Poppers-Fläschlein beisammen - von Kondomen kann an keiner Stelle die Rede sein -  nahm mit unglaublicher Behendigkeit seinen Weg in die Höhe und gelangte, emporkriechend, in einem Augenblick zum Gipfel eines der Bäume, ohne Zweifel, um dort zu verdauen und zu schlafen.

Diese Geschichte ist nicht bloß in magischer Hinsicht wichtig, sondern auch als Argument zum Pessimismus: dass ein Tier vom anderen überfallen und gefressen wird, ist schlimm, jedoch kann man sich darüber beruhigen: aber dass so ein armes unschuldiges Eichhorn, fröhlich auf der grünen Wiese auf einer Decke mit seinen Freunden beisammen sitzend und quatschend, gezwungen ist, schrittweise, zögernd, mit sich selbst kämpfend und wehklagend dem weit offenen Rachen der Schlange entgegenzugehen und mit Bewusstsein hineinstürzen - ist so empörend wie himmelschreiend: Was für eine entsetzliche Natur ist diese, der wir angehören!

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Kommentare zu diesem Text

matwildast (37)
(01.05.18)
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 toltec-head meinte dazu am 01.05.18:
Wenn du dich ein wenig ins Leben hinaustrauen würdest, wären deine politischen Ansichten wahrscheinlich auch konservativer.
matwildast (37) antwortete darauf am 01.05.18:
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Graeculus (69)
(01.05.18)
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