Letztes Jahr im Juli - Krisenbewältigung

Geschichte zum Thema Frauen/ Männer

von  Inlines

Mein Kumpel kam halt nach dem Training auf mich zu. Er fragte mich, ob ich mir 50 Euro verdienen wolle, was ich natürlich sofort bejahte. Er meinte, dass er eine große Krise mit seiner langjährigen Freundin hätte, und etwas dagegen unternehmen wolle. Ihm schwebe vor, dass ich seine Dauerfreundin angrabsche, und er mir daraufhin vor versammelter Gruppe eine Ohrfeige verpasst. So würde er als potenter Beschützer dastehen, was das weibliche Geschlecht ja sehr in Wallung zu bringen weiß.

Noch in der Duschkabine besiegelten wir den Deal mit Handschlag und verabredeten das Schauspiel für den darauffolgenden Abend. Als Tatort wählten wir das Areal des Dorffestes, welches an diesem Tag startete und für gewöhnlich rege besucht wurde. Wir vereinbarten die Aktion für 22 Uhr, und zementierten einen groben Ablauf: Ich sollte während einer "Raucherpause" seiner "Schnecke" an den Busen grabschen, woraufhin er mir dann eine langen würde. Der Schlag würde  mir zwar nicht gerade die Nase brechen, aber dennoch gut spürbar sein. Danach sollte ich im Angesicht solch dominanter Männlichkeit einfach wegrennen. Die 50 Euro bekäme ich dann später zugesteckt.

Zugegeben, ich fand die Sache richtig gut. Einerseits waren meine Frauengeschichten bisher nur minimal-invasiv gewesen, andererseits konnte ich die Scheine gut gebrauchen, da ich schon länger auf eine Motorradtour entlang der Westküste Amerikas sparte. Selbstverständlich wollte ich alles mitnehmen was es dort an Sehenswürdigkeiten und Adrenalinkicks gab. Hätten mir 10 Kumpels einen solchen Vorschlag gemacht, ich hätte die Backpfeifen alle gerne in Kauf genommen.

Also erschien ich mit einem Lächeln, das wohl die schlechten Zähne offenlegte, auf dem Gelände der Veranstaltung. Als Verkleidung hatte ich mir eine Sonnenbrille aufgesetzt und ein dickes Tuch aus der Dachbodenkiste um den Kopf gebunden. Ein bißchen wirkte es wie der Kopfschmuck eines Talibans. Ich war vorbereitet, und überpünktlich, so dass ich noch eine Zigarette rauchen konnte und die Umgebung des Festzeltes gelassen in Augenschein nahm. Diese bestand fast nur aus Kuhwiesen, die mit Elektrozäunen abgesichert waren und eine Art ruhige Idylle austrahlten. Am Eingang jedoch war das pure Leben im Gange. Es herrschte ein reges Treiben an ein- und ausgehenden Personen, die immer wieder mit ihrem Gelächter und Geschrei die Musik der Blaskapelle übertönten. Und auch abseits des Eingangs sowie auf der Zufahrtstraße standen einige Grüppchen Leute.

Ein paar der Personen kamen mir bekannt vor. Unter anderem erkannte ich eine Altersgenossin, mit der ich zusammen in der Grundschule gewesen war. Wie sie sich verändert hatte... Früher hatte sie nicht viel von Schminke gehalten, doch jetzt war ihr Gesicht von einer dicken Schicht Make-up überzogen, die den eigentlich schönen Anblick komplett entstellte. Was die Jahre mit den Leuten machen... In der 4. Klasse war ich sogar eine zeitlang neben ihr gesessen. Bis sie sich beim Lehrer beschwert hatte, dass ich immer von ihr abschreiben würde. Die störenden Schubser mit dem Ellenbogen hätten sie in ihrer Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, ihre Chance gemindert eine Realschulempfehlung zu bekommen. Dies wurde sogar am Elternabend angesprochen, was meine Mutter überhaupt nicht lustig fand - und sie war sowieso ein recht humorloser Mensch. Es hagelte Fernsehverbot und... Moment... - Ich schaute auf die Uhr - Mist, es war schon 5 nach 10!

Ich schnippte hastig den Filter weg und schritt eilig zum vereinbarten Treffpunkt, wo zum Glück noch die ganze Clique meines Kumpels stand. Einige waren wohl schon betrunken, da sie gegen das nasse Festzelt lehnten, und den Kopf nach unten hängen ließen. Zwar war diese geistige Abwesendheit ein Vorteil, aber dennoch musste es schnell gehen, wollte ich vermeiden, dass mich hinterher nicht doch irgendjemand als den Typ identifizierte, der die Mädels in der Ortschaft belästigt. Also griff ich beherzt in das Glück, nach der kaum verhüllten Brust des Mädchen, das mir als seine Freundin beschrieben worden war. Umgehend kam es zu heftigen Reaktionen: Zuerst erreichte mich die Hand meines Kumpels - so wie es ausgemacht war - doch dann, und das war nicht so vorgesehen, stürzten 5 weitere Personen auf mich ein und verdreschten mich mit hitzigen Gemütern und unter Ausstoß schwerer Beleidigungen. Irgendetwas musste die Leute schon vorher unter Hochspannung gebracht haben, dass sie dermaßen aggressiv vorgingen. Hatten sie alle vorher ihrem Schwarm die Liebe gestanden und eine Abfuhr erhalten? Lag es am Alkohol? Einer schleuderte seinen Maßkrug nach mir, dem ich gerade noch ausweichen konnte. Ein anderer zog ein Klappmesser aus der Hosentasche hervor, und näherte sich mir schwankend, da er wohl sturzbesoffen war. Ich lag derweil, mit entblößtem Gesicht, mich krümmend am Boden, und versuchte die Schmerzen auszuhalten, während sie auf mich einkickten und mir die Knochen brachen. Nur knapp bevor der Messerstecher mich erreichte, schaffte ich es irgendwie - ich musste es schaffen - in die Höhe zu kommen, und aus dem Kreise der Gewalttätigen auszubrechen.

Ich rannte, so weit man das so bezeichnen kann. Und ein paar mal zuckte der Strom durch mich, aber das war für den Moment nicht relevant. Ich flüchtete einfach, stolperte durch die Nacht, stapfte durch Kuhmist und Stachelbeerenbüsche, zog mir tiefe Furchen in die Haut, und sank schließlich an einem Apfelbäumchen nieder, das erst ein dünnes Stämmchen hätte, und sich stark unter der Last meines kraftlosen Körpers bog. Vielleicht würde ich überleben, dachte ich noch, mich selber motivierend, nachdem ich die 110 gewählte hatte. Doch dann sank mein Körper völlig nieder, und eine tiefe Bewußtlosigkeit bemächtigte sich meiner, und hielt mich in diesem Zustand für mehrere Wochen. Eine Zeit in der ich manchmal dem Tod näher war als dem Leben.

Hinterher würde man sagen, dass es doch klar war, dass es so kommen musste. Hinterher würde ich denken, dass es mindestens 5000 Euro hätten sein sollen, die ich für den Job verlangen hätte müssen. Doch nicht einmal die 50 Euro fanden je den Weg in meine Hand.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (15.06.18)
Herrlich, bitte mehr davon!

 Inlines meinte dazu am 16.06.18:
Gerne, wenn mir was interessantes in den Kopf kommt...

FG
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