atomdichter und zungenbecken (canto verbano)

Gedicht

von  W-M

zog hallgrím an den gletscher
und log gedichte
über die geburt der basalte
reiste ugla die henne
im gepäcknetz vom nordland nach reykjavík
kam sie unter die räder eines straßenkreuzers
verlor sie ihr leben
da weinte das wollgras

wir lagen im gletscherbett
an seinem grund schlief der see
die berge ringsum
waren nunatakker
wurden geschliffen die inseln
geschleifte drumlins
trieben mit den booten dahin

tastete ich deinen finerokörper
grünes gestein
das sich geschält hatte aus seinem erdmantel
trug ich stimmen in die wälder
schürfte sich seine haut wund an der erdkruste

lief die schwarze katze von links ins bild
konnte das gedicht gelingen

erweiterte ich meine sammlung um eine muschelschale
legte sie zwischen das pfennigstück
und das welkgepresste
blatt eines bergahorns

wog hallgrím das gewicht des mittelatlantischen rückens


Anmerkung von W-M:

.

  OSTRAGEHEGE Heft 92 - II/2019, Zeitschrift für Literatur und Kunst, Dresden (ISSN 0947-1286)

  http://signaturen-magazin.de/werner-weimar-mazur--atomdichter-und-zungenbecken--canto-verbano-.html

.

Links zum Begriff "Atomdichter":

http://www.die-horen.de/9783835311817-bei-betagten-schiffen.html

https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr3/wdr3-kulturfeature/audio-islands-atomdichter-oder---der-schock-der-moderne-100.html

https://de.wikipedia.org/wiki/Atomstation

https://lyrikzeitung.com/2012/09/23/97-atomdichter/

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Kommentare zu diesem Text

Bette (70)
(17.06.18)
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 W-M meinte dazu am 17.06.18:
Danke sehr.

 Bergmann antwortete darauf am 18.06.18:
Sehr oft syntaktische Nähe zu Holger Benkel, dessen Lyrik hat es dir offenbar besonders angetan ... Finero - nie gehört ... Die Tiere sind derzeit offenbar alle aus deinem lyrischen Zoo ausgebrochen, mit Ausnahme der mythologischen Henne, - und das tut der lyrischen Geologie gut.

 W-M schrieb daraufhin am 18.06.18:
@Uli: ah, du schreibst keinen eigenen kommentar sondern setzt dich unter einen anderen, ist verwirrend das neue layout von kV.

ja, H.B. steckt an. Ugla = isländich Eule, ich machte aber eine Henne draus.

Finero ist ein kleiner Teilort der Gemeinde Malesco am Übergang des Valle Cannobina zum Ossola-Tal und Centovalli, westlich des Lago Maggiore. Geologisch ist die Gegend dort sehr interessant, weil sie an einer der Hauptsuturen (geologische Lineare bzw. Störungszonen bzw. Nahtstellen) der Alpen liegt, die das Südalpin vom Zentralalpin trennt. Bei dem Finerokörper handelt es sich um einen Ultramafitit-Schürflich aus der Unteren Erdkruste (früher vermutete man aus dem Oberen Erdmantel). gesteinssplitter davon findet man unweit des Bergdorfes Finero. ich war da als junger Student 1976 und 1977 auf Exkursion. ultramafe Mineralien sind "dunkle" bzw. "basische" Mineralien wie Pyroxene, Hornblenden, Olivine etc., wie sie für basaltische Gesteine bzw. deren Tiefengesteinsäauivalente typisch sind, also ehemalige ozeanische Kruste, heute bei Finero alpidisch üpberprägt hochmetamorph ... das Gedicht stellt eine Verbindung zwischen Island und dem Lago Maggiore her, da die heutige Landprägung eiszeitlich ist (der L.M. ist das Zungenbecken eines Gletschers), das fiel mir dort sofort auf (1976 war ich auch mal paar Wochen auf Island). Nunatakker und Drumlins sind glazialgeologische Begriffe. Landschaftlich und entstehungsgeschichtlich (geomorphologisch) ähneln sich die beiden Landschaften ( I. und L.M., mal abgesehen von der unterschiedlichen Vegetation).

http://n.ethz.ch/~annettem/excursions5.html

 Bergmann äußerte darauf am 18.06.18:
Lieber Werner,
aus Versehen nicht Kommentartaste gedrückt - du siehst, ich falle langsam aus dem Rahmen ....
Dank für deine interessante geologische Erklärung - ich finde diese Fachbegriffe wunderbar.
Deine Gedichte in dieser Art gefallen mir sehr!

 W-M ergänzte dazu am 18.06.18:
richtig: Schürfling! (Schürflich = Tippfehler), richtig: ultramafisch! (ultramafe= falsch), richtig: Tiefengesteinäquivalente!, ich hatte sehr schnell eingetippt und nicht mehr gelesen. außerdem verblassen die Buchstaben auf meiner Tastatur langsam. am L.M. bin ich seit Jahren jedes Jahr, in Finero bzw. durchfahren alle paar Jahre mal, von Cannobio das Tal hoch. sgl. Nunatak, pl. Nunatakker ist ein Eskimo- oder Inuitwort für aus dem Eis herausragende Berge, d.h. Bergespitzen, die nicht vom Gletscher überfahren wurden. Drumlins ist schwedisch und bezeichnet vom Eis bzw. Gletscher überfahrende kleinere Berge, die Gesteine bzw. der ganze Berg (Drumlin) erhalten dabei Gletscherschliffe oder -schrammen. Auch die Form der Drumlins gibt Hinweise auf die Bewegungsrichtung der des Eises / der Gletscher, flach ansteigende Seite auf der Eisherkunftsseite, steiler auf der Eisabgewandten Seite ... z.B. typische Drumlins sind die schwedischen Schäreninseln ... oder im L.M. die Inseln (z.B. Le Isole di Brissago, die Borromäischen Inseln usw.) ... die Atomdichter ist klar: siehe Sonderheft Die Horen Bd. 242, http://www.die-horen.de/9783835311817-bei-betagten-schiffen.html (die Atomdichter waren auch für H.B. neu, jetzt kennt er sie). Verbano ist der alte keltische oder vorkeltische (ligurische, die Gegend war vor den Kelten von den Ligurern besiedelt) Name des Lago Maggiore, der auch heute im Italien noch in Gebrauch ist, piemontesische Provinz, Cusio-Verbano-Ossola, oder z.B. Ortschaft Verbano am Lago, oder das berühmte ehemalige Exilanten- und Künstlercafe Verbano in Ascona usw. usw. ... früher habe ich fast alle Halldor Laxness Romane gelesen, der Atomdichter entstammt dem Roman Atomstation, isländisch Atómstöðin (dort heißt die Protagonistin, das Dienstmädchen, übrigens Ugla, siehe auch https://de.wikipedia.org/wiki/Atomstation), Atomdichter war ursprünglich ein Schimpfwort für die modernen Dichter in Island, die die traditionellen Wege der isländischen Dichtung der Sagas und Lieder usw. verließen. das alles habe ich da mit reingemischt ins gedicht, freut mich, dass es dir gefällt! danke sehr.

Antwort geändert am 18.06.2018 um 18:53 Uhr

 W-M meinte dazu am 10.04.19:
das gedicht soll im juni in der zeitschrift OSTRAGEHEGE Nr. 92, Dresden, erscheinen, heute kam die Korrekturfahne.
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