Der Mann und die Amsel zweiter Teil.

Erzählung zum Thema Erinnerung

von  franky

Jeder neue Tag schürte die Ängste, die durch Radio und Tageszeitung in die Häuser gebracht wurden. Auch die Wochenschauen in den Kinos trugen Ihres dazu bei. 
Mütter sorgten sich um die Söhne, Ehefrauen um ihre jungen Männer. Niemand war da, der sie in den schweren Stunden trösten konnte.
Einer um den Anderen verschwand im Rachen der Kriegsmaschinerie von Größenwahnsinnigem Adolf Hitler. 
September Vierzig Frankreichfeldzug, der viel zu leicht ohne viel Gegenwehr erfolgen konnte. Was die Deutsche Heeresführung auf die leichte Schulter nahm und sie zu überheblich werden ließ, dass sich für später als verheerend auswirken sollte.
1942 Rußlandfeldzug, der sich Schwieriger gestaltete als anhin angenommen.

Eines Tages traf bei Familie Grassecker ein Schreiben ein, dass Sohn Leopold für die Ostfront eingezogen werden soll. Die sechste Armee unter Herman Paulus benötigte frisches Blut für den Rußlandfeldzug.
Stiefmutter Grassecker weinte bitterliche Tränen bei dieser Nachricht. Sie könnte ihren Leopold, den sie immer mehr als Franz ins Herz geschlossen hatte, an der Front verlieren,
Vater Grassecker schmeckte sein Schmalzbrot auch nimmer so recht.

Ehe man so richtig denken konnte, wurde es ernst. Der Tag x brach an und Mama Grassecker begleitete ihren Stiefsohn zum Bahnhof nach Frohnleiten, wo Leopold zu einen Truppentransporter an die Ostfront zustieg.
Dann wurden es fürchterliche lange Wochen und Monate, bis endlich eines Tages Post von Leopold ins Haus flatterte.
„Bin gut bei der Truppe angekommen. Feindberührung erfolgt in den nächsten Tagen.
Denke an euch, betet für mich.

Der jüngere Sohn Franz hatte nach dem Hinausschmiss aus der elterlichen Wohnung, sein provisorisches Lager im Heustadl eingerichtet. Es nagte an seinem Selbstbewusstsein, dass sein älterer Bruder schon für den Führer kämpfen durfte und er, Franz, noch am Kalender die Tage bis zu seinem sechszehnden Geburtstag abstreichen musste, wo er sich dann freiwillig zur Marine Melden konnte. 
Franz ernährte sich in diesen Herbstmonaten zusätzlich von dem Stück Brot und Glas Wasser welches er in der Küche von Seinen Eltern erhielt, nur von den Früchten die die Natur zu dieser Zeit noch hergab.
Ich fand mal wilde Erdbeeren am Waldrand und wollte sie wie selbstverständlich in den Mund schieben, da schoss Franz ganz aufgeregt an meine Seite und erklärte mir: „Diese Beeren gehören mir, sie helfen meinen großen Hunger zu stillen.“ Franz befand sich in der körperlichen Entwicklungsphase, wo er von Natur her das Vielfache benötigt hätte.
Franz beauftragte mich alle Beeren und auch Kirschen die ich fand, bei ihm abzuliefern, das sei gewissermaßen auch Dienst am Führer, was mich in meiner kindlichen Begeisterung mit Stolz erfüllte. Meine nationale Gesinnung wurde von der Einstellung seitens meines Vaters und seiner Brüder, „Alles bei der SS “ stark geprägt.

Große Freude Herrschte im Hause Grassecker, als Sohn Leopold überraschend auf einen kurzen Heimaturlaub eintraf. Er wurde von Mama Grassecker  von hinten bis vorne verwöhnt. Leopold trug eine grau grüne Freizeitmontur. Die dazu gehörende Keilhose hatte eine Bügelfalte, die mit einer Nat mit schwarzem Zwirn gegen ausbeulen verstärkt wurde. Bei näherer Kontrolle entdeckte Leopold, dass eine kleine Stelle der Naht am Knie aufgetrennt war. Mama zückte pflichtbewusst Nadel und Zwirn, um die Lücke zu schließen.
Mich überraschte, dass der einfache Metzgerlehrling so ein ausgeprägtes Schönheitsbewusstsein hatte.     
Bei einem Gespräch, wo es um die Front ging, fragte ich: „Was wird unternommen, wenn ein Soldat in deiner Nähe verletzt wird und nicht mehr aus eigener Kraft weiterkommen kann?“
„Dann packen wir den verletzten Kameraden auf eine der Decken, die zu unserer Ausrüstung gehört und tragen ihn so zu zweit durch die feindlichen Linien. Immer bei Feuerpausen in geduckter Stellung ein Paar Schritte laufen und dann sofort wieder in der nächsten kleineren Vertiefung in Deckung gehen. Immer so, dass wir dem Feind kein permanentes Ziel abgeben können. Diese Aktion muss aber von den beiden Rettern genauest koordiniert werden, sonst könnte der Patient von der Decke rollen und eine gefährliche Situation hervorrufen.“ 

An einem freundlichen Frühlingstag in März 44, Mama Grassecker arbeitete grade im Gemüsegarten, erschien Franz im dunkelblauen Anzug und weißem Hemd, mit Koffer in der linken Hand, am Gartenzaun und machte Anstalten das kleine Tor am Weidenzaun zu öffnen, grüßte verhalten freundlich mit der Rechten Hand zum Hitlergruss erhoben zu seiner Stiefmutter, die anscheinend den Zank für den Augenblick vergessen hatte. „Gute Reise und komm wieder gesund nachhause!“ Franz nickte mit dem Kopf, setzte aufrechtem Gange den Weg nach Frohnleiten zum Bahnhof fort.
Mama Grassecker beschlich ein leicht wehes Gefühl im Herzen, das gegen abends stärker und stärker wurde. Vor dem Einschlafen rannen ihr Tränen der Reue und Trauer übers Gesicht und verloren sich im Kissen. Nun war alles sowieso zu spät, das Schicksal nahm seinen unerbittlichen Lauf. „Wer von den beiden Söhnen, Leopold oder Franz, werden wohl nach dem Krieg wieder gesund nachhause kommen;“

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