Weiterschreiben, nur um seinen Testosteron-Level zu halten

Erzählung zum Thema Isolation

von  toltec-head

Mit dem Schreiben auf kV ist es wie mit dem Sex. Wenn man schon etwas länger dabei ist, einem das Texten wie der Umgang mit Geschlechtsteilen fadenscheiniger und fadenscheiniger wird, muss man sich halt schon auch etwas zwingen, um überhaupt noch was auf die Beine zu stellen. Und hat man sich denn gezwungen, sein Häufchen gelegt, in einen Arsch investiert:  am nächsten Tag unweigerlich die Frage - wirklich weiter so?

Längere Zeit hier nichts geschrieben. Es war jemand bei mir eingezogen und nach ein paar Wochen dann auch schon wieder ausgezogen. Scheinbar brauche ich zum Schreiben aber, was Freud ganz normales mittleres Elend nennt. Um in einem Zustand echten Glücks oder einer Depression weiter zu schreiben, müsste man schon richtiger Schriftsteller sein. Daher die Lebensverweigerungsstrategie der Kunstprosaisten. Thomas Mann wie er sich morgens, bevor er sich an seinen Schreibtisch setzt (und nach überstandenen Wichsattacken) erst einmal eine Krawatte bindet.

Und dann habe ich  festgestellt, dass ich die Menstruationslyriker und Meinungsonkels um mich herum mittlerweile genauso einfach  brauche. Dass sie Teil meiner ganz persönlichen psychischen Hygiene sind - wie eine Therapie mit Pisse oder Kot. Ohne das Texten auf kV musste ich beobachten, wie  ich tagsüber immer aggressiver und abends dann depressiver wurde. Außerdem fetter, weil ich ja in dieser Yogahaltung auf dem Boden liegend die Dinge in die Tastatur hämmere. Ich bin kV echt dankbar. Müsste ich mit Leuten konkurrieren, die im Jahre 2018 wirklich noch eine richtige Erzählung oder ein richtiges Gedicht schreiben, um diese dann bei den zuständigen Stellen einzureichen, ich würde zum Riesentofu gerinnen und brächte kein Wort mehr hervor.

***

Sich noch stärker einfach an das halten, was ist. Meinungen und Geschwurbel gehören dabei aber einfach mit dazu. Die sind eben auch. 

Bloß nichts glätten. Nicht damit anfangen, misslungenes zu löschen. Kein Fräulein sein, das sich die Haare föhnt. Sich nicht als Schwuchtel, um von seinem fetter werdenden Arsch abzulenken, blonde Strähnchen zulegen.

***
Lass es!, schrieb mir ein Freund, der das Manuskript gelesen hat. Ich bin für Deinen Text, aber ich bin gegen seine Veröffentlichung als Buch. Dein Text ist künstlich, herbeiredend, eitel und gefallsüchtig, um Liebe und Anerkennung flehend. Keine Lebensgeschichte, die sich nicht von ihrem Autor zu trennen vermag, geht jemanden etwas an, der den Autor nicht als Person kennt.

Wolfgang Max Faust, Dies alles gibt es also, Alltag Kunst Aids, Stuttgart, 1993

Lebensgeschichten, die sich von ihrem Autor zu trennen vermögen. Oh je. Ganz ohne Wichsattacken und so. Überhaupt: Geschichten, ob jetzt mit echten oder falschen Dialogen. So etwas geht doch heute, wo jeder total vereinzelt ist, nur noch Leute an, die in 20 Jahren dann vielleicht mal den Büchnerpreis gewinnen wollen. Biobloggen ist was ganz anderes als seine Memoiren oder dergleichen betulichen Käse schreiben. Nicht Bilanzen ziehen, sondern Selbstzertrümmerung, nicht sich in die Literatur hinein, sondern - was viel schwerer ist -  sich aus ihr heraus schreiben. Texte, die künstlich verdecken, wie künstlich, herbeiredend, eitel und gefallsüchtig sie sind, gehen gar nicht mehr. Dass man um Liebe und Anerkennung fleht. Das wie und warum. Und den Hass und den Menschengestank. Texte, die nicht eine Jury sondern einen selbst angehen. Nackt, bitteschön.

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Kommentare zu diesem Text

Lamento (38)
(28.08.18)
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 toltec-head meinte dazu am 28.08.18:
Danke:)

Von dir würde ich auch mal gern wieder was ungeschminktes lesen...
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