Bernhard

Tagebuch zum Thema Tod

von  Inlines

Omas Kind ist gestorben. 1970 war das. Mit 7 Jahren, wegen einer Blinddarmoperation, die in einem kleinen Nachbarort stattgefunden hat, wo im Zentrum heute noch bloß alte Bäume stehen.

Der Junge sei schlau gewesen, sagte sie immer stolz. Er habe besser rechnen können als sein älterer Bruder, der schon länger in die Schule ging. Ich glaubte ihr das, versuchte mir vorzustellen, wie er war. Sah die schönen Bilder an, doch die Bilder, an Omas Wohnzimmerwand, ließen mich sein Wesen bloß erahnen, seine Fröhlichkeit, wenn man das breite Grinsen sieht.

Lange ist das her, dass sie mir davon erzählte. Die Schwarz-Weiß-Bilder sind vergilbt und von Spinnenweben überzogen. Und obwohl Oma nicht mehr lebt, frage ich mich ausgerechnet heute, wie sie diese Zeit ertragen konnte. Großes Mitleid spüre ich in mir und ein Bedauern, dass ich sie deswegen nie getröstet habe; nie in den Arm genommen habe, um ihr eine Träne zu erlauben. Dass ich ihr nie ein wenig von dem Schmerz genommen habe, der wie Hagel manchmal aus den Wolken fiel, wenn der kleine Sarg vor ihrem innren Auge prangte.

Getrieben von Terminen, im Rauschen der Tage, übersieht man solche Dinge leicht. Wäre ich nicht zur Apfelernte auf den alten Bauernhof gekommen und hätte ich nicht den Grabstein in der Hütte liegen sehen, weil ich nach einer Leiter suchte, hätte ich mich nicht erinnert. Ich hätte mich nur mit dem Aussortieren verfaulten Obstes beschäftigt und mir Gedanken über die aktuellen Zentnerpreise gemacht.

Es mag sein, dass daran Denken alleine nicht viel wert ist, meine Erinnerung niemand mehr zur Kenntnis nehmen kann, dem daran läge. Dem ist kaum zu widersprechen. Es ist kein Trost für die, die an Verlusten litten und vor Jahrzehnten selber zum Verlust geworden sind. Aber wenigstens hätte es einer sein können.

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Kommentare zu diesem Text

Stelzie (55)
(27.09.18)
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Marjanna (68)
(27.09.18)
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