Theaterstück

Tagebuch zum Thema Begegnung

von  Augustus

Dieser Text ist Teil der Serie  Tagebuch
Wie soll ich's erzählen? – Ich verstehe mich nicht! – Sie, die noch vor ein paar Tagen in meinen Augen erhöht erschien, erschien mir heute nicht mehr so. Mein nüchterner Blick klärte das bisher Verklärte auf. Eine höfliche Distanz drückte sich zwischen uns und mein Geist sprühte keine Funken mehr, wie denn sonst gewöhnlich in dem Umgang mit ihr. –
Ich wunderte mich über meine gefühllose Anteilnahme an ihr, wie jemand sich wundert, der bei einer Überraschung trocken sagt: das war‘s und mehr nicht.
Doch ich wollte Dir etwas anderes erzählen, das gleiche was ich auch Ihr heute erzählt habe, was wohl aber bei ihr dazu diente, das Schweigen durch Worte zu füllen, die dann wie Seifenblasen wieder bald zerplatzten.
So sollen – mein Freund – der Du mich kennst, bei Dir meine Seifenblasen nicht zerplatzen, hörst Du. Ich weiß nicht, ob ich die Worte treffe, die nötig sind um dir den Abend so genau und klar zu schildern, wie ich ihn erlebte habe. Ich bin – das musst Du wissen – ein schlechter Pianospieler und kaum ein besserer Schreiber, da mir’s immer gedanklich vorschwebt, genauso wenig im richtigen Moment die richtigen Worte wie die Klaviertasten zu treffen. Du wirst mir‘s verzeihen.
Ich wollte ins Theater und hatte mir eine Eintrittskarte gekauft für die Premiere eines modernen Stückes, das in der Großstadt S. gespielt wurde.  Ich war schon letzte Woche in einem Theaterstück, das noch gespielt wurde, ein schweres Stück aus der Feder Schillers, das über drei Stunden sich zog. Heute sollte eine Komödie gespielt werden.
Wie üblich, als ich den Eingang gegen  sieben Uhr abends betrat, diesmal alleine ohne Begleitung, verplauderte ich die ersten Minuten mit der Kassiererin, die mich schon von letzter Woche kennt und mit der ich mich schon so gut wie angefreundet habe.
Sie erzählte mir ausführlich und etwas umständlich von ihren vier Katzen, wie fürsorgliche sie sich um sie kümmert und dass die Tiere viel Aufmerksamkeit brauchen und war glücklich in mir einen Zuhörer gefunden zu haben, der an ihrem einfachen Leben aufrichtige Anteilnahme zeigte. Wir schieden bald freundlich voneinander, da sie die Absicht hatte für ihre Katzen Futter einzukaufen.  Ich ging dann die Treppen hoch in den ersten Stock zu meinem Sitz. Es stand schräg auf der linken Seite ganz hinten an der Wand in einer fünfer Sitzreihe. Ich hatte den zweiten Sitz von links gehabt, drei weitere neben mir rechts waren erst Mal noch frei.
Ich schlug die Broschüre auf, die ich – aus dem Foyer – mitgenommen hatte aus und las, alsbald sich nach und nach der Saal mit Menschen füllte. Eine Familie kam durch die Tür und trat  an mich heran, sie wollten zu den drei freien Plätzen neben mir hinüber. Vater, Mutter und eine junge Tochter. Ich war aufgestanden und machte den Gang frei. 
In wenigen Minuten sollte das Schauspiel anfangen und ich saß entspannt im Stuhl und guckte über die Köpfe der Leute, und dachte mir nichts dabei. Der Sitz links neben mir war frei und ich legte meine Weste drüber.
Kaum das gemacht, betritt eine seriös gekleidete Frau im fortgeschrittenem Alter die Tür und zeigte mit dem Finger auf den freien Sitz. Sie schien wohl meine Mine im Gesicht gelesen zu haben, dass es mir Mühe machte, meine Weste vom Stuhl wegzunehmen und entgegnete die Geste mit einem humorvollen Schulterzucken, das sagen will, dass sie nicht dafür könne, dass die Karte, die sie besitzt, diesen Sitzplatz ausweise, der jetzt beansprucht wird. Ich nahm die Weste an mich. Sie aber setzte sich nicht, sondern klappte den Sitz zurück und setzte sich dann darauf, von dem aus sie höher saß und im Grunde viel besser die Bühne sehen konnte. Wieso ist mir das nicht eingefallen dachte ich? – Ich tat es ihr gleich, stand auf, machte die Sitzlehne  nach oben und setzte mich oben drauf. Ich saß wirklich viel höher als eben noch und hatte plötzlich alles im Überblick.
„Das ist auch gut für die Oberschenkelmuskulatur.“ sagte sie.
„Sie haben Recht.“ antwortete ich, ich selbst wäre darauf nicht gekommen, den Sitz zuzuklappen.
Sie nahm es stillschweigend hin.
Zum Stück nur so viel als nötig. In einer Wohngemeinschaft von fünf Menschen, verbringen sie einen amüsanten Abend zusammen, dabei lässt einer von Ihnen eine Neuigkeit verlauten, dass er für ein Jahr nach New York eines Stipendiums wegen verreise. Er wünsche sich für die Zeit, in der er weg ist, dass eine syrische Flüchtlingsfamilie sein freies Zimmer bekommt. Nun ging ab da erst die Komödie los, jeder tat seine Meinung kund und das oft in witziger Weise, so dass das Publikum öfters dem Gelächter verfiel.
Ich war durchaus gebannt und gefesselt, ein so modernes Stück so heiter und humorvoll präsentiert zu bekommen.
Der Pausengong hatte geschlagen und meine Nachbarin sagte: „das ist der Wahnsinn“ Sie meinte das Stück.
Ich: „es ist wunderbar, wie denn der humorvolle Teil im Vordergrund steht, während der Ernst des Themas durchaus mitschwingt, wenn auch nur im Hintergrund, er ist aber spürbar. Man lacht und doch denkt man im weiteren Sinne darüber nach.“
Wir wechselten noch ein paar Worte, die weniger bedeutend waren. 
Die zweite Halbzeit war ebenfalls gut, wenn sie auch nicht an die Erste heranreichte.
Dabei fiel mir aber öfters auf, dass meine Nachbarin oft zusammenzuckte, wenn die Schauspieler in einer Szene auftraten, so dass ich nicht umhin konnte zu denken, dass sie in irgendeiner Art und Weise damit zu tun hätte.           
Es interessierte mich aber nicht wirklich. Denn jeder findet ja seinen Zugang zum dargebotenen Stück irgendwie, der eine mehr oder weniger als der andere.
Das Stück endigte und der Applaus war gigantisch. Mir taten – wie auch vielen anderen – danach die Hände weh.
Die ersten verschwanden, der Rest folgte aus dem Saal raus. Ich verplauderte mit meiner Nachbarin die ersten Minuten und glaube mich zu erinnern irggendwas Bedeutendes gesagt zu haben und traf dann die Servicedame am Kleiderstand an und bat um meine Tasche und Jacke.
„Sie bleiben nicht zur Premiere?“ fragte meine fremde Nachbarin.
„Ich habe morgen früh aufzustehen und habe leider zu gehen, sonst wäre ich sehr gerne geblieben, denn ich bin, wenn ich ehrlich bin, noch nie zu einer Premiere geblieben“ sagte ich.
„Nein, das kann nicht sein. Das müssen wir ändern.“ sagte sie und nahm mich zu Seite.
„Mein Name ist…“ stellte sie sich vor, „und ich bin die Geschäftsführerin und stellvertretende Intendantin dieses Schauspielhauses.“
Wir schüttelten die Hände.
„und ich würde sie gerne zur nächsten Premiere einladen.“ beendete sie ihren Satz. 
Du kannst Dir denken, wie ich überrascht und gestaunt habe.
„Da geben sie mir eine schöne Aussicht für die kommende Woche, für die ich mich herzlich bedanken möchte.“ antwortete ich.
Wir gingen herzlich miteinander um, und ich ließ sie durch ein paar Worte meine Überraschung und die darauf folgende Entdeckung fühlen, wie denn es für jemand sei, der nicht wisse, dass er neben einer bedeutenden Person sitze und erst im später von ihrer Bedeutung erfahre. Sie schien das zu amüsieren und hatte sichtlich gefallen an der Verschleierung gehabt.
Ich solle sobald ich Lust haben auf eine Premiere das Schauspielhaus anrufen,  ihren Namen sagen, so dass dann eine Karte für mich beiseitegelegt werden kann. Sie freue sich übrigens, wenn sie mich wieder sehen würde. Ich versprach es ihr.
Dann trat ich in die eisige Nacht hinaus, aber froh und heiter und verschwand in die U-Bahn.

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