LitForen und Oralität

Essay zum Thema Hygiene

von  toltec-head

Ein Kind erzählt unter der Bettdecke zwei Freunden, die heute ausnahmsweise einmal bei ihm übernachten dürfen, eine Geschichte. Ihm gelingt, was den Erfinder solcher Produktionen belohnt, die Neugierde zu erregen, die Aufmerksamkeit zu fesseln, zu voreiliger Auflösung undurchdringlicher Rätsel zu reizen, die Erwartungen zu täuschen, durch das Seltsamere, das an Stelle des Seltsamen tritt, zu verwirren, Mitleid und Furcht zu erregen, besorgt zu machen, zu rühren und endlich durch Umwendung eines scheinbaren Ernsts in geistreichen und heitern Scherz das Gemüt zu befriedigen, der Einbildungskraft Stoff zu neuen Bildern und dem Verstand zu fernerem Nachdenken zu hinterlassen.

Was viele nicht begreifen: Das Posten von Texten auf LitForen ist näher an dieser existentiellen Situation des Kindes unter der Bettdecke dran, als an der Publikation eines Bandes mit Erzählungen oder Gedichten. Das Posten von Texten auf LitForen zielt auf Oralität, nicht Schriftlichkeit, weshalb Kommentarstränge meist witziger sind als die Texte selbst. Manchmal können aber auch Texte selbst über diesen Forenwitz verfügen, wenn sie sich nämlich nicht an der Buchform orientieren, sondern nur im Hier und Jetzt der Forengegenwart wirken wollen. Dass dieser Witz in Buchform gegossen aller Wahrscheinlichkeit nach seine Wirkung verlieren würde, ist kein Einwand. Sollte jemand künftig die Höhepunkte dieses Forums gedruckt lesen und zweifeln, wie sie eine solche Wirkung haben hervorbringen können, so bedenke derselbe, dass der Mensch eigentlich nur berufen ist, in der Gegenwart zu wirken. Schreiben ist ein Mißbrauch der Rede. Der Mensch wirkt alles, was er vermag, auf den Menschen durch seine Persönlichkeit, die Jugend am stärksten auf die Jungend, und hier entspringen auch die reinsten Wirkungen.

Das Talent, das man benötigt, um einen guten LitForen-Text zu schreiben, ist ein Talent, das einem an keiner anderen Stelle der Gesellschaft als außerhalb eines LitForums weiterhilft, insbesondere nicht in der Literatur, da diese schon des längeren, genau genommen seit Homer, nicht mehr berufen ist, in der Gegenwart zu wirken, sondern ihre ganz eigenen Systemzusammenhänge fortspinnt. Aber auch dies ist kein Einwand, sondern nur der Beweis dafür, dass LitForen ein neuer Ort sind, wo Bedürfnisse befriedigt werden, die anderenorts verkümmern und wohlmöglich durch diese Bedürfnisse mittels der ihnen entsprechenden technischen Umsetzungen überhaupt erst hervorgerufen wurden. Es wäre nur schön, wenn jeder Benutzer diese Oralität als Schreibform bei seinen Texten auch immer hübsch reflektierte; dann würd´s auch sehr schnell weniger langweilig. Was mich angeht: Durch solche Darstellungen, die mich gar Nichts kosteten, machte ich mich bei Kindern beliebt, erregte und ergötzte die Jugend und zog die Aufmerksamkeit älterer Personen auf mich, die sich in aller Regel angewidert abwandten. Daher musste ich in der Sozietät, wie sie gewöhnlich unter den Gegebenheiten der funktionalen Differenzierung nun einmal ist, solche Übungen gar bald einstellen. Die Leute hier, die Literatur simulieren, statt das Kind unter der Bettdecke nachzuahmen, lassen mich immer wieder verzweifeln. Also lösche ich meine Texte und melde mich ab. Nach einer Weile stelle ich dann aber fest: Ich habe nur zu sehr an Lebensgenuss und freier Geistesförderung durch dieses Abmelden verloren. Also melde ich mich wieder an und mache weiter.

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Kommentare zu diesem Text

michaelkoehn (76)
(29.10.18)
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 toltec-head meinte dazu am 29.10.18:
Was kommt als nächstes? Merkels Mutter??? Ich habe Angst...

 Oskar (29.10.18)
Da bekomme ich fast wieder Lust.
Aber, nur Yogamatte reicht dir nicht?

 toltec-head antwortete darauf am 29.10.18:
Beschluss, ab jetzt richtig schön fett zu werden. Den Bio-Blogging Part wirst du übernehmen müssen. Bin durch.
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