Seltsame Geschehnisse, schon seit Monaten

Beschreibung zum Thema Unsicherheit

von  Inlines

Morgens wache ich dann auf und wundere mich. Doch was ich auch tue - mir den Kopf kratze oder auf die Wange patsche - ich erinnere mich nicht, wo ich gewesen bin. Habe Erde an den aufrissenen Händen, tote Tiere (Grashüpfer) in den Hosentaschen. Der Hosenschlitz ist auf, das umgebende Gewebe durchnässt. Durchsuche ich meine Kleidung genauer, stelle ich fest, dass in der Hemdtasche mit Kussmündern versehene Zettel stecken, auf denen sich Email-Adressen und Handynummern aneinanderreihen. Weil das Bett verschoben ist, schlage ich mir den Kopf am Regal an. Weil der große Spiegel fehlt, betrachte ich statt mir selber bloß ein helles Viereck an der Wand. Manchmal ist das Sparschwein aufgeschlagen. Einmal lag die Stereo-Anlage draußen, auf der Straße, neben einem Beutel, den ich bloß von Blutspende-Aktionen drüben in der Waldorf-Schule kenne.

Es gibt Menschen, die genießen solche Umstände - ich habe solche schon bei der Beratungstelle getroffen. Die erlaben sich förmlich daran, weil es für Abwechslung in ihrem öden Lebensalltag sorgt. Die berichten wie Erleuchtete von den Konsequenzen solcher Nächte. Protzen und prahlen ärger, wie die jugendlichen Türken in der Innenstadt.

Ich hingegen mag dieses unheimliche Geschehen nicht. Es reicht mir, jedesmal vom Zahnarzt angeblafft zu werden, weil an den Eckzähnen wieder einmal nicht die Feilenlänge reicht, obwohl die selbe Größe noch ein Jahr zuvor gereicht hätte, um in mein Hirngewebe vorzudringen. Ehrlich, ich habe die Schnauze voll, öffentlich so unbeholfen aufzutreten, und hinterher den wirren Beschreibungen Beteiligter lauschen zu müssen, die mich in der Zeit vorfanden, an die ich mich dann nicht mehr erinnern kann. Man erlebte mich, und eines Nachts hat man mich sogar gefilmt, als ich über den Dachfirst von Sankt Georg balancierte, fröhlich pfeifend. Man hat nach mir geschriehen, alles versucht, um sprachlich auf mich einzuwirken, schließlich aus dem Glockenturm eine Leiter geholt. Der katholische Pfarrer ist höchstselbst hinauf gestiegen, um mich mit Tiraden zum Herunterkommen zu bewegen. Er berichtete später, unter Tränen, er hätte aus Verzweiflung ein Ave-Maria gesungen, aber erst als er mir mit der Taschenlampe ins Gesicht geleuchtet hatte, eine Reaktion bei mir auszulösen vermocht. Und zwar in der Form, dass ich nach Anlauf vom Dach sprang, mich eine Weile in der Luft befand, um am Ende, unter Knacken und Geraschel, in einer nahe gewachsenen Eiche zu landen. Von da an verloren sie meine Spur. Sie suchten zwar die Umgebung des Baumes ab, aber bis der Pfarrer und seine Haushaltshilfe gründlich kucken konnten, war ich längst verschwunden. Hätten sie mich nicht gefilmt, wären sie wohl nicht in der Lage gewesen mich eindeutig zu identifizieren. Und vermutlich nicht veranlasst ein Betretungsverbot zu erwirken.

Alle Gemeindemitglieder wissen von dem Vorfall, seit ich nicht mehr ministriere und am Sonntag nicht mehr in die Morgenmesse kam. Sie warnen ihre Kinder vor Kontakt seither, meiden mich, sind völlig von der Rolle. Besonders die Familie, die ich mein eigen nennen muss. Der Erzeugerverbund sucht nach Erklärungen, schleppte mich letzten Samstag zum sozialpsychiatrischen Dienst, um stützende Gedanken zu erhalten. Insgeheim meinen Mama und Papa aber, dass so was schon Mal passieren kann, in der Pubertät Hormone eine große Rolle spielen, Irritationen zu dieser Zeit ganz selbstverständlich wären. Meine Schwester dagegen denkt, dass sich meine Identität viel intensiver noch verändert. Dass ich ein Vampir wäre, der sich in einem Zwischenstadium befindet. Einer, der im Grunde noch die alte Lebensform ist, doch dessen Körper sich schon auf das Neue vorbereitet. Das ist schräg, ich weiß... Doch sie findet das wünschenswert und cool. Und es animiert sie zur Freude von Amazon, sich noch mehr von diesen Vampirromanen reinzuziehen. Diese Twilight-Imitate, mit den heftig werbenden Herren, die gegen die ihrige Natur und um das unerreichbar schöne Mädchen kämpfen. Mit den bleichen Burschen, die Potenz zu Stande bringen, mit einem Milliliter Blut.

Ich glaube nicht an diese Theorie. Und es spielt wohl auch kaum eine Rolle, woran ich glaube. Was es auch ist, das mit mir passiert, selbst wenn sie recht hat und die ganze Nachbarschaft dran glauben müsste - dann wäre es halt so. Das müsste man dann einfach akzeptieren, wie man auch das Atmen akzeptiert und die Natur der Dinge, die oftmals grausam und barbarisch ist. Vielleicht erschrecke ich mich daran, wenn ich eines morgens nicht mehr in einem verwüsteten Zimmer, sondern irgendwo in einer kühlen Gruft erwache. Vielleicht wachsen mir Haare an den Händen -  aus den Geschichten geht das ja nicht so genau hervor - aber erst wenn ich die roten Augen kriege, werde ich mir richtig Sorgen machen.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (02.11.18)
"Aktionenen"?

 Inlines meinte dazu am 02.11.18:
Danke für den Hinweis!
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