Zwei Ansichten

Szene zum Thema Begegnung

von  Xenia

Sie:
"Es ist drei Uhr nachts und mir gegenüber sitzt so ein alter Sack. Warum glotzt der mich die ganze Zeit an? Irgendwas stimmt mit dem nicht. Bestimmt so ein Perverser, der mich ficken will. Vielleicht sollte ich ihn fragen, was er mir bezahlen würde, wenn ich mit ihm nach Hause gehe.... Nur um ihn zu verunsichern. Er starrt mich immer noch an. Ich bekomme Angst. Wenn mich etwas verunsichert, bekomme ich jedes Mal automatisch diese harten Gesichtsausdruck, von dem ich nachher Schmerzen im Kiefer bekomme. So fest beiße ich die Zähne dabei aufeinander. Gerne würde ich an meinen Fingernägeln kauen, aber das geht im Moment nicht. Es ist ein Zeichen von Schwäche. Ich kann es nicht zulassen, dass der Penner erkennt, wie unsicher seine Blicke mich machen. Gerne würde ich ihm auf die Fresse hauen. Warum hört der nicht auf, zu glotzen? Ich starre ihn an, bis er endlich verlegen rot wird und weg schaut. Pff. Gewonnen. Genüsslich ziehe ich an meiner Kippe. Dass Rauchen hier verboten ist, kümmert mich einen Scheißdreck. Leben verboten. Atmen verboten. Aufstehen und den Typ verprügeln verboten. Ihm meine Titten zeigen und ihn damit noch mehr in Verlegenheit bringen verboten. Was ist eigentlich in dieser scheiß Welt nicht verboten und warum macht mich das noch wütend? Der arme Kerl. Vielleicht meinte er es gar nicht böse. Vielleicht hat er mich nur angestarrt, weil er mich spannend findet. Ich würde ihm gerne meinen Arm um die Schultern legen und ihn auf die Stirn küssen. Egal. Noch ein Zug an der Kippe. Die nächste Haltestelle ist meine. "

Er:
" Es ist drei Uhr nachts und mir gegenüber sitzt ein Mädchen mit einer bundeswehrgrünen Hose und einem viel zu weiten schwarzen Misfitspullover. Misfits. Die, die nicht passen. Das ganze Metall in ihrem Gesicht wirkt wie ein Versuch, sich zu bewaffnen. Als müsste sie sich vor irgendwas schützen. Zwei Ringe in der Lippe, einer in der Nase. Ihre Glatze streitet sich mit ihrem seltsam weiblichen Mund. Ihre Hände sind unruhig und die Fingernägel abgekauft. Gott, sind ihre Hände hässlich. Irgendwie berührt mich das seltsam unangenehm und ich bekomme einen Kloß in den Hals. Vielleicht weint sie bei Liebesfilmen. Ich habe den Ausstieg verpasst, weil ich damit beschäftigt war, sie anzusehen. Ich glaube, sie wäre schön, wenn sie nicht so finster gucken würde, sobald ich ihren Blick erhasche. Ich wünschte, sie würde mich anlächeln, aber sie scheint einfach nur breit zu sein von der Kippe, die sie raucht. Während der Bahnfahrt ist das Rauchen nicht gestattet. Ich fühle mich alt. Ich würde sie gerne ansprechen und fragen, ob sie mit mir ficken will, meinetwegen auch gegen Geld, aber ich traue mich nicht. Daheim werde ich mir einen runterholen und mich dabei fragen, ob sie unterum einen Iro hat. Bundeswehrgrün."

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Kommentare zu diesem Text

Hermann (72)
(24.01.19)
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 Xenia meinte dazu am 19.01.20:
Und warum hat ER so reagiert?
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