Einzeller

Sonett zum Thema Misshandlung

von  Irma

Sie durchleuchten mich. Seit Tagen
brennt in meiner Zelle Licht,
blendet mich. Ich halte dicht,
nachts, wenn sie mich löchern. Fragen

schlagen heftig auf den Magen,
doch ich spuck nichts aus. Man bricht
niemals ein Versprechen! Nicht
mal ein Wort werd‘ ich je sagen.

Meine Haut verbrannt, zerstochen,
meine Knochen angebrochen -
Zellteilung wird mir verwehrt.

Aussichtslos. Wer sich beschwert,
wird auf ewig weggesperrt:
Einzelhaft für hundert Wochen.

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Kommentare zu diesem Text

Sternenstaub (49)
(19.11.18)
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 Irma meinte dazu am 20.11.18:
Dankeschön, Sternenstaub. Ich freue mich, dass dir mein Sonett gefällt. Das "Drama in der Petrischale" übersteigt etwas mein Vorstellungsvermögen, aber gut, vielleicht ... LG Irma

 EkkehartMittelberg (19.11.18)
Hallo Irma, ich habe noch nie ein Gedicht zu gnadenloser Verhörtaktik gelesen. Und dann ein Sonett. Man sollte meinen, dass es den Inhalt schönt. Der kommt durch die Wortwahl aber dennoch brutal rüber.

 Irma antwortete darauf am 20.11.18:
Das freut mich, lieber Ekki, dass dir meine sprachliche Umsetzung gefällt. Viele liebe Grüße und Dank für die Empfehlung, Irma

 TassoTuwas (19.11.18)
Wird man jetzt schon wegen einem Sonett eingesperrt und böse traktiert ??
So schlecht ist es doch gar nicht ))
LG TT

 Irma schrieb daraufhin am 20.11.18:
Verhört? Ja mein lieber Tasso, ich glaube, ich habe mich hier wohl verhört. "So schlecht ist es doch gar nicht". Phheee.
LG und Dank für die Empfehlung, Irma

 Isaban (17.12.18)
Hallo Irmchen,

hier musst du mir auf die Sprünge helfen, da scheine ich so weit vom Thema entfernt zu stochern, dass sich mir die Zusammenhänge nicht wirklich erschließen.

Wenn ich den Text auf künstliche Befruchtung beziehe, stört das Versprechen und das Wort - es sei denn, dieses bezieht sich auf "am Anfang war das Wort" wobei das Verspechen auf die Perfektion (Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde).

Das würde auch die Verweigerung der Zellteilung erklären: Nur die nachweislich perfekten Zellen dürfen sich befruchteter Weise teilen. Diejenigen, die durch das Raster fallen werden entsorgt oder für "Nachbehandlungen" aufbewahrt - da könnte dann die Einzel(l)haft für 100 Wochen, also ungefähr 2 Jahre, eventuell zum Tragen kommen, so richtig bin ich da nicht informiert.

Aber selbst wenn ich diese Bibelbezüge heraufbeschwöre, erschließt sich mir nicht, warum diese Zelle nur nachts gelöchert wird. Ich bin ganz sicher, in den Laboren werden eher die üblichen Arbeitszeitmodelle praktiziert. Ich scheine da also auslegungstechnisch eindeutig auf dem falschen Weg zu sein. Neuer Anlauf.

Hm. Dass diese nächtlichen Aktionen und die Magenschläge sich auf (un-)menschliche Folterpraktiken beziehen, scheint klar. Einzelhaft wohl ebenfalls. Aber wie das alles zusammenhängt, welchen Gedankenschritt ich da ausgelassen oder wo ich den richtigen Pfad verlassen habe - ich komm nicht drauf. Vielleicht schleiche ich in den nächsten Tagen noch mal um den Text herum, mal sehen, ob meine Hirnzellen was ausspucken.

Hoffentlich zellbildende Grüße

Sabine

 Irma äußerte darauf am 17.12.18:
Liebe Sabine, du bist anscheinend wie Sternenstaub in der Petrischale gelandet. Für mich sehr interessant, weil ich dachte, dass das Gedicht ganz klar nur in Bezug auf Folter und Misshandlung lesbar ist. Der „Einzeller“ ist schlicht und ergreifend ein Häftling in Einzel(l)haft, also jemand, dem Zell(en)teilung verwehrt wird. Habe letztens einen Beitrag über die schlimmen Verhältnisse in ausländischen Gefängnissen gesehen, wo Folter an der Tagesordnung ist. Man versucht dort mit allen Mitteln, die Leute zum Reden zu bringen: Schlafentzug, Isolation, brutalste Misshandlungen usw.

Während in den Quartetten nur das Licht dauerhaft brennt und man den Gefangenen mit Fragen löchert, die auf den Magen schlagen, wird in den Terzetten schnell klar, dass die Schläge nicht nur übertragen gemeint sind (Spucken und Erbrechen, Knochen angebrochen). Und gequält wird nicht nur mit brennendem Lampenlicht und löchernden Fragen, sondern mit brennenden Zigaretten und spitzen Gegenständen (meine Haut verbrannt, zerstochen). Das „Zellteilung wird mir verwehrt“ könnte man neben der strengen Isolationshaft also auch noch in Richtung: Erholung und Heilung ist nicht möglich, weil fortwährend gefoltert wird.

Man bricht / niemals ein Versprechen! Nicht (doppelte Verneinung im Vers) / mal ein Wort werd‘ ich je sagen. Egal wie sehr sich der Häftling auch geschworen hat, dichtzuhalten, mit solchen Mitteln bekommt man wohl jeden zum Reden. Wem die Knochen gebrochen werden, der wird irgendwann sein (gegenüber seinem Freund, Mittäter) gegebenes Versprechen brechen. Denn er ist ein gebrochener Mann. Und diesen Prozess des Gebrochen-Werdens habe ich versucht, durch die vielen Brüche in den Versen, die den Lesefluss immer wieder durchbrechen, zu verdeutlichen.

So in der Art dachte ich mir das. Scheint aber nicht so geklappt zu haben. Schade. Auf jeden Fall vielen lieben Dank für deine ausführliche Beschäftigung mit meinem Sonett. Ganz liebe Grüße, Irma
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