Ereignishorizont

Sonett zum Thema Annäherung

von  Isaban

Am Birnbaum baumeln weder Blätter
noch Birnen. Dort sitzt, blau und leise,
wie aus Gewohnheit eine Meise
und schweigt ihr Lied bei klirrem Wetter.

Das Bild im Spiegel ist verzogen.
Es wintert. Ich schau nicht mehr hin,
erkenne die kaum, die ich bin;
hab zu viel Zeitraum eingesogen.

Der Frühling hat so süß gelogen,
versprach uns Sommerwind und Früchte,
verschwieg den Herbst und ach, ich fürchte:
Das Wetter war uns nie gewogen.

Am Birnbaum baumeln keine Blätter.
Die Meise schweigt ihr Winterlied.

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Kommentare zu diesem Text

Nimbus† (45)
(29.11.18)
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 Isaban meinte dazu am 03.12.18:
Hallo Heike,

doch ja, die Engländer machen ja immer alles ein kleines bisschen anders. ;) beim sogenannten Englischen Sonett (Shakespeare-Sonett) wird meist mit drei Quartetten und einem abschließenden Verspaar, der sogenannten Conclusio gearbeitet.

Vielen Dank für deine Beschäftigung mit dem Text. Eine interessante Interpretation hast du gefunden - auch dafür natürlich herzlichen Dank. Und du weißt ja, es gibt keine falschen Interpretationen, jeder Leser darf seine ganz eigene finden.

Liebe Grüße

Sabine
fdöobsah (54)
(29.11.18)
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 Isaban antwortete darauf am 03.12.18:
Hach! Im besten Sinne: Hach!

Du siehst mich in höchstem Maße begeistert. Mit diesem Rekomm hier habe ich lange gewartet, was kann man, ohne redundant zu werden schreiben, wenn jemand sich immer wieder selbst übertrifft und so viel aus einem Text herausholt, dass man Gedankenübertragung befürchten muss? Ich lüpfe hochachtungsvoll den Hut.

Sogar mit der 3. Strophe hast du Recht und selbst mit dem Meisenpaar, das sich 10 Verse weit auseinander schweigt und mit der kleinen Reimverschiebung (ja verdorri, wie leicht muss ich zu durchschauen sein!) - was soll ich dazu noch sagen?

Der Ereignishorizont bot sich mir an, nicht nur Altern und Übergang zum Jenseits, sondern auch das unwiderrufliche Abseits zu bebildern und den unaufhaltsamen Sog, der die Umkehr früher oder später unmöglich macht.

Tausend Dank für den Vertrauensvorschuss, die Betrachtung der Stilmittel, die herrliche Interpretation. Deine Rückmeldung war mir eine riesengroße Freude.

Immer noch überwältigte Grüße

Sabine

 Dieter Wal (29.11.18)
Die Doppelung von "schweigt" stört, die Reimverweigerung des Schluss-Couplets nervt und der "Reim" von Früchte/fürchte ist gruselig. Sonst wirklich sehr schön. Die übrigen Reime sind so lala, doch sie stechen nicht buchstäblich ins Auge. Nimmt man Wohlklang und Natürlichkeit für Reime und metrische Verse als Maßstab, dann sind sie gelungen. Nochmal: Ich halte dein Sonett über weite Strecken für gelungen, die bewusst eingesetzte Dissonanz für misslungen.

 Isaban schrieb daraufhin am 03.12.18:
Hallo Dieter,

tja, dann muss ich wohl was falsch gemacht haben, denn genau die stilistischen Mittel der von dir bemängelten Stellen sollten - so war es zumindest von mir angedacht - das Sonett zusätzlich bebildern, spürbar machen und tragen.

Eine Lösung, die dich zufriedenstellen könnte, hab ich jetzt nicht parat.

Liebe Grüße

Sabine

Antwort geändert am 03.12.2018 um 19:22 Uhr
Piroschka (55)
(29.11.18)
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 Isaban äußerte darauf am 03.12.18:
Hallo Piroschka,

schön, dass dich das Lied erreicht und dass du die Melodie als zart und klingend empfindest. Jeder Text wächst an seiner Interpretationsbreite. Vielen Dank für deine Rückmeldung.

Liebe Grüße

Sabine
Echo (34)
(29.11.18)
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 Isaban ergänzte dazu am 03.12.18:
Auch eine spannende Interpretation, herzlichen Dank!

Liebe Grüße

Sabine

 Lluviagata (29.11.18)
Hallo Sabine,

zu diesem Deinen Gedicht wurde schon so viel gesagt, insofern habe ich dem nur hinzuzufügen, als dass ich Lust bekomme, wieder mal etwas zu schreiben. Ja, Dein Gedicht mach Lust auf winterliche, schöpferische Melancholie.

Liebe Grüße
Llu ♥

 Isaban meinte dazu am 03.12.18:
Es freut mich rieseig, dass du wieder schreibst, liebe Llu.
Lass die Melancholie nur nicht Überhand nehmen.

Liebe Grüße

Sabine
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